Gerechtigkeit ist Trumpf
Ziel der Bürgerversicherung sei es, gegen „eine zunehmende Zwei-Klassen-Medizin“ vorzugehen, sagte SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles, die mit einer Rede vor den Delegierten für das Konzept warb. Es solle nicht länger von der Versicherungskarte (privat oder gesetzlich) abhängen, wie jemand behandelt wird.
Abschaffen will die SPD die private Krankenversicherung (PKV) aber nicht vollständig. Vielmehr ist vorgesehen, ein „Versicherungssystem für alle Bürger“ zu etablieren, auch Privatversicherungen sollen die Bürgerversicherung anbieten, ihre Versicherten innerhalb eines einjährigen Zeitfensters wechseln können. Damit will die SPD die Gleichbehandlung aller Versicherten gewährleisten und einen massiven Anstieg der Kosten verhindern.
Die Einführung der Bürgerversicherung bedeute für die PKV „einen tiefen Einschnitt“, heißt es im offiziellen Beschlusspapier. Sie würde „eine neue Rolle in einem einheitlichen Versicherungsmarkt übernehmen“. Dafür willdie SPD mit den PKV-Unternehmen in einen Dialog treten.
Lauterbach erklärt
Finanziert werden soll das SPD-Konzept hauptsächlich durch eine stärkere Beteiligung der Arbeitgeber – sie sollen auf der Grundlage eines lohnsummenbasierten, prozentualen Bemessungsverfahrens wieder zur Hälfte an den Kosten des Gesundheitssystems beteiligt werden. „Wir wollen die paritätische Finanzierung. Das ist gerecht“, sagte Nahles.
Nach der Vorstellung der Sozialdemokraten sollen aber nur die Arbeitgeber mehr bezahlen, die besonders hohe Löhne und Boni zahlen – als Beispiele wurden Banken und Versicherungen genannt. Die Arbeitnehmerbeiträge sollen im Gegenzug sinken, wodurch eine Entlastung von insgesamt fünf Milliarden Euro angestrebt wird.
Durch eine Angleichung der Honorarsysteme soll ein Arzt künftig keinen Grund mehr haben, einen Privatpatienten zu bevorzugen, erklärte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach gegenüber der „Berliner Zeitung“. Denn es soll eine einheitliche Honorarordnung für alle Versicherten eingeführt und die „Zwei-Klassen-Medizin“ abgeschafft werden.
Dass es die Sozialdemokraten mit der Umsetzung ernst meinen, bestätigte Lauterbach im Gespräch mit der Zeitung: „Die Bürgerversicherung soll Regierungsprogramm werden, kein Wahlkampfgag.“ Die Partei spekuliert auf eine Machtübernahme nach der nächsten Bundestagswahl 2013 – und somit auch auf eine baldige Möglichkeit zur Umsetzung der Bürgerversicherung.
Außerdem plant die SPD auch im Pflegebereich eine Bürgerversicherung. Deren Kosten sollen Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu gleichen Teilen tragen. Die Pflege durch Angehörige und professionelles Personal soll „aufgewertet“ werden, beispielsweise durch eine bessere Vereinbarkeit von Pflege und Beruf.
Schwarz-Gelb kritisiert
Die schwarz-gelbe Regierungskoalition kritisierte die Pläne der SPD. Der CSU-Gesundheitsexperte Johannes Singhammer bemängelte, dass durch die Bürgerversicherung der Faktor Arbeit in Deutschland wieder stärker belastet werde. Die geplante Abschaffung der Bemessungsgrenze für den Arbeitgeberanteil beim Krankenkassenbeitrag sei „nichts anderes als eine Sondersteuer auf Arbeitsplätze“, sagte Singhammer. Insgesamt sei die Bürgerversicherung der falsche Weg. Sie führe nicht dazu, dass die Gesundheitsversorgung in Deutschland besser wird.
Der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Heinz Lanfermann, bezeichnete die Bürgerversicherung als „reines Abzockemodell“. Die SPD wolle Arbeitnehmer und Arbeitgeber insgesamt viel höher belasten. Das Versprechen einer Beitragssenkung sei Augenwischerei, sagte Lanfermann. „Das SPD-Konzept ist in Wahrheit ein Sammelsurium unausgereifter Forderungen, die nicht ernsthaft durchgerechnet wurden.“ eb