Grußwort 2012
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
das Resümee zur Gesundheitspolitik des zurückliegenden Jahres weckt gemischte Gefühle:
Da ist zum einen nach wie vor der „Blick zurück im Zorn“. Er drängt sich auf, wenn wir das Ergebnis der jüngsten GOZ-Reform – ohne Berücksichtigung politisch-gesellschaftlicher Umstände – nach rein wissenschaftlich und mathematisch gestützten Mechanismen kalkulieren. Wer das macht, dem bleibt bitterer Beigeschmack, eine auf „nicht ausreichend“ hinauslaufende Bewertung, die uns den Praxisalltag vergällen wird, wenn wir uns nicht aktiv mit den realen Möglichkeiten dieser GOZ-Novelle auseinandersetzen.
Dass es hinterm Horizont weiter geht, wird der entdecken, der sich im Alltag mit den neuen Realitäten befasst. Wohlgemerkt: Wir haben auch die über zwei Jahrzehnte zurückliegende letzte GOZ als schlecht und unzulänglich angenommen und mit ihr unseren eigenen Weg gefunden. Jetzt ist es – nolens volens – wieder an uns, gemeinsam aus unzulänglichen Voraussetzungen das Beste zu machen.
Landauf landab zeigen die intensiv genutzten Informationsangebote, dass kaum jemand aus unserem Berufsstand bereit ist, trotz dieser Lage die Flinte ins Korn zu werfen. Wir Zahnärzte sind, auch wenn das alles längst nicht mehr als sportlich verstanden werden kann, augenscheinlich „hart im Nehmen“.
Das Schlimmste ist sicherlich für manchen von uns die Erfahrung, dass gerade die Parteien, in die wir über Jahre Hoffnungen auf Veränderung gesetzt hatten, keinen klaren Kurswechsel vollzogen haben.
Aber wo Schatten liegt, gibt es auch Licht: Das Versorgungsstrukturgesetz zeigt, dass man in der Politik verstanden hat, dass der Druck zu groß wird. Unsere Überzeugungsarbeit zur Notwendigkeit, im Bereich der zahnmedizinischen Versorgung von älteren Menschen und Menschen mit Behinderungen dringend Verbesserungen anzugehen, wurde genauso angenommen wie die Chance, unter die Jahre der budgetierten Versorgung in der GKV einen Strich zu ziehen und den Vertragspartnern Optionen auf eine Welt jenseits strikter Budgets zu ermöglichen. Hier öffnen sich spannende Wege zur Besserung der Sachlage.
Wer meint, dass angesichts der unzulänglichen Situation die Fesseln längst zu eng geworden sind, um im System an Verbesserungen zu arbeiten, der sollte mit offenen Ohren hinhören, wie die staatstragenden Parteien fast schon unisono über die Konvergenz von privater und gesetzlicher Krankenversicherung nachdenken. Während Rot und Grün inzwischen wieder laut vernehmlich über die künftigen Chancen einer GKV-lastigen Bürgerversicherung als einheitliches System nachdenken, ist es innerhalb der CDU still um das ehemals als Konterpart entgegengestellte Prämienmodell geworden. Und es wirkt alles andere als beruhigend, wenn einzelne CDU-Abgeordnete inzwischen – auch innerhalb ihrer eigenen Fraktion unwidersprochen – von einer Vereinheitlichung der Systeme sprechen, damit aber nicht mehr den Weg in die Privatisierung der Versicherungswelt meinen. Hier offenbaren sich mögliche Abgründe, gegen die wir uns in den nächsten Monaten absichern müssen. Die Zahnärzteschaft hat sich strategisch gut aufgestellt und hat Handlungsoptionen, die wir gemeinsam verfolgen werden.
All das erfordert unsere gemeinsame Stärke. Wir wünschen Ihnen, Ihrer Familie und Ihrem Team weiterhin die Kraft, Vernunft und das Durchhaltevermögen, das ein Dasein als Zahnarzt innerhalb dieser Gesellschaft inzwischen abfordert. Wir werden an diesem Strang ziehen, mit dem Bewusstsein, dass Anstrengendes vor uns liegt, aber niemand unsere Aufgabe übernehmen kann. Das sind wir unseren Patienten, das sind wir dieser Gesellschaft – und letztlich auch uns selbst schuldig.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Jürgen FedderwitzVorstandsvorsitzenderder Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung
Dr. Peter EngelPräsident der Bundeszahnärztekammer