Gastkommentar

Kein Jahr für Kompromisse

Angesichts der politischen Herausforderungen der kommenden Legislaturperiode erfordert gerade 2012 eine selbstbewusste berufsständische Selbstverwaltung, meint Thomas Grünert, Chefredakteur von Vincentz Network, Berlin.

„Ut desint vires tamen est laudanda voluntas“ (Auch wenn die Kräfte fehlen, ist der Wille zu loben), hieß es im Lateinunterricht. Bezieht man das auf die Gesundheitspolitik, fällt die Bereitschaft zu loben schwer. Der politische Wille, mit dem die Gesundheitspolitik 2011 gesteuert wurde, war nicht der erklärte Wille, dem folgend manches Kreuzchen im liberalen Kästchen auf den Wahlzetteln landete.

Nach gut zwei Jahren Legislaturperiode dürfte die Handschrift einer Regierung zu erkennen sein. Zieht man Bilanz, weckt auch die jüngste Reform, das GKV-Versorgungsstrukturgesetz, keineswegs die Hoffnung, dass unser zu Recht geschätztes Gesundheitswesen zukunftsfester wird. Eine Reform bedingt die nächste. Und so geht es immer schneller weiter. Auch, weil scheinbar Liberale in der Verantwortung nicht mehr die Courage hatten, Ideen kämpferisch zu vertreten, mit denen sie sich jahrelang für eine Regierungsverantwortung warmliefen, in der sie nun floppen. Wären sie noch Lernende, so müssten jetzt wohl „blaue Briefe“ flattern. Im echten Politikerleben werden solche durch Wahlprognosen ersetzt: Versetzung (in den nächsten Bundestag) gefährdet!

Ausblicke sollten aber auch etwas Versöhnliches haben. Nun denn: Kleine Rädchen sind gedreht worden. Man könnte auch sagen, dass manch Schlimmeres verhindert werden konnte – wenn man beispielsweise das beschämende Ergebnis einer GOZ-Reform vor dem Hintergrund sieht, was ohne energisches Engagement von BZÄK und KZBV gedroht hätte. Die Gesundheitspolitik der bisherigen Legislaturperiode zeigt nämlich deutlich, dass Fortschritte für das Gesundheitswesen kaum von der Politik erreicht werden. Sie werden aus dem System heraus – vor allem von den Leistungserbringern – erkämpft. Eine Politik, die vornehmlich zentralistische Tendenzen zeigt, kann weder Motor noch Verbündeter für eine zukunftsfähige Gesundheitspolitik sein. Schon gar nicht für den immer wieder beschworenen wachsenden Gesundheitsmarkt, der mit über vier Millionen Beschäftigten eine Lokomotive unserer Wirtschaft werden soll.

Was also ist 2012 zu tun? Es hilft nichts, wenn die allenfalls als Horrorszenario einzustufenden gesundheitspolitischen Visionen der SPD die floppenden Liberalen am Ende noch in den Rang von Gralshütern des Systems befördern würden. Dreh- und Angelpunkt unseres Gesundheitswesens ist und bleibt eine funktionierende Selbstverwaltung. Freilich nicht die, die nur pro forma eine ist, faktisch aber dem Diktat der Politik unterliegt. Aber wenn Selbstverwaltung offensiv verteidigt wird, wenn jede noch so kleine Einflussnahme, jeder zu etablierende Regelungsansatz der Politik mit vereinten Kräften der wirklich Heilenden und Helfenden im Gesundheitswesen abgewehrt wird, bleibt das System zukunftsfähig. Die simple Einsicht, dass Gesundheit nicht von Managern und politischen Schönrednern erzeugt wird, sondern von Medizinern und denen, die Heilungsprozesse unterstützen, hat nicht weniger Wahrheit, weil sie in kaum noch nachvollziehbaren politischen Prozessen seit Langem zerredet und profanisiert wird. Auch wenn viele Rahmenbedingungen schon feststehen: Normative Kraft des Faktischen bleibt eine gut funktionierende Selbstverwaltung.

2012 ist im Hinblick auf in der kommenden Legislaturperiode denkbare Szenarien kein Jahr für Kompromisse. Jede Reglementierung, jede Be- oder Verhinderung von aus der Selbstverwaltung entstandenen Prozessen ist ein Casus Belli. Nur mit Selbstvertrauen und verdientem Selbstbewusstsein lassen sich am Ende auch akzeptable Rahmenbedingungen verwirklichen. Das deutsche Gesundheitswesen, das in Umfragen noch hoch gelobt wird, dessen Zusammenbruch aber offenbar der überwiegende Teil der Bevölkerung fürchtet, muss kein Auslaufmodell sein. Und die Zahl derer, die das einsehen, wächst ständig.

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