Vertragsärzte sind keine Amtsträger
Die Richter des BGH hatten in einem konkreten Fall zu entscheiden, bei dem eine Pharmareferentin der Firma Ratiopharm Schecks an einen Kassenarzt übergeben hatte, die der Mediziner auch angenommen hatten. Die Summe der von der Referentin an den Arzt ausgezahlten Boni belief sich auf rund 10 000 Euro, basierend auf einem Prämiensystem des Ulmer Pharma-Unternehmens: Diejenigen Ärzte, die Arzneimittel von Ratiopharm verordneten, sollten fünf Prozent des Abgabepreises erhalten. Juristisch gesehen machen sich Amtsträger oder „Beauftragte der öffentlichen Verwaltung“ jedoch wegen Bestechlichkeit strafbar, wenn sie von Dritten Zuwendungen annehmen. Daher hatte der BGH zugleich zu entscheiden, ob niedergelassene Kassenärzte als Amtsträger einzustufen sind, die als Beauftragte der Krankenkassen arbeiten.
Besonderes Vertrauen
Im erwähnten Fall waren ursprünglich sowohl die Außendienstmitarbeiterin als auch der Arzt vom Landgericht Hamburg wegen Bestechlichkeit zu einer Geldstrafe verurteilt worden – die Referentin, weil sie die Finanzzuwendungen angeboten, der Arzt, weil er sie angenommen hatte. Während der Mediziner das Urteil akzeptierte, zog die Referentin vor den Bundesgerichtshof.
Dieser sah nun seine wesentliche Aufgabe darin, wie es in einer Mitteilung des BGH heißt, „nur zu entscheiden, ob korruptives Verhalten von Kassenärzten und Mitarbeitern von Pharmaunternehmen nach dem geltenden Strafrecht strafbar ist“. Dies sei zu verneinen gewesen. „Darüber zu befinden, ob die Korruption im Gesundheitswesen strafwürdig ist und durch Schaffung entsprechender Straftatbestände eine effektive strafrechtliche Ahndung ermöglicht werden soll, ist Aufgabe des Gesetzgebers“, so der BGH.
Aus dem Blickwinkel der Mediziner heißt dies juristisch konkret, dass sich Vertragsärzte zivilrechtlich nicht strafbar machen, wenn sie sich von Pharmaunternehmen Vorteile gewähren lassen oder Geschenke annehmen. Kassenärzte seien nicht dazu da, Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrzunehmen, führte der BGH aus. Sie würden vielmehr aufgrund der individuellen, freien Auswahl des gesetzlich Versicherten tätig. Ihr Verhältnis zu dem Versicherten sei wesentlich von persönlichem Vertrauen und von einer Gestaltungsfreiheit gekennzeichnet, die der Bestimmung durch die gesetzlichen Krankenkassen entzogen ist, so der BGH. Im Umkehrschluss erhielten durch das Urteil der Richter auch jene Mitarbeiter von Pharmafirmen, die Vertragsärzten Zuwendungen anbieten, einen Freispruch.
Vonseiten der Ärzte stieß das BGH-Urteil größtenteils auf Wohlwollen. So erklärte etwa der Vorsitzende des Vorstands der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, Dr. Jürgen Fedderwitz: „Die Klarstellung des BGH ist eine wichtige Bestätigung für die Freiberuflichkeit des Zahnarztes. Damit wird auch das Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Arzt als wesentliches Merkmal einer guten Versorgung geschützt.“ Ähnlich sieht es Dr. Siegfried Götte, Präsident der Gemeinschaft Fachärztlicher Berufsverbände (GFB): „Der ärztliche Anspruch, allein dem Patientenwohl verpflichtet zu sein, ist unantastbar“, betont er. Auch der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Dr. Andreas Köhler, der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. Frank Ulrich Montgomery, sowie der Vorsitzende des Hartmannbundes, Dr. Klaus Reinhardt, begrüßten das Urtei als Stärkung der Freiberuflichkeit.
Urteil mit Folgen
Doch mit dem Urteil hat sich der BGH „nicht nur Freunde gemacht“, wie die Pharmazeutische Zeitung anmerkt. Der Umstand, dass angestellte Ärzte, die etwa in Medizinischen Versorgungszentren oder in Krankenhäusern tätig sind, sich im Gegensatz zu ihren freiberuflichen Kollegen strafbar machen, wenn sie Vorteile annehmen, dürfte die Geschlossenheit der Ärzte untereinander nicht gerade fördern. Für den Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung ist das Urteil „kein Freifahrtschein für niedergelassene Ärzte und Pharmareferenten, sondern ein klarer Auftrag an den Gesetzgeber, die in diesem Rechtsstreit sichtbar gewordenen Lücken im Strafrecht zu schließen“, wie Gernot Kiefer, Vorstandsmitglied des GKV-Spitzenverbands, feststellte. Auch der AOK-Bundesverband sieht „dringenden politischen Handlungsbedarf“ und das Vorstandsmitglied der KKH-Allianz, Rudolf Hauke, moniert: „Leider ist die erhoffte Signalwirkung, dass für Bestechung im Gesundheitswesen kein Platz ist, ausgeblieben.“
Innerhalb der Zahnärzteschaft schlug der Freie Verband Deutscher Zahnärzte (FVDZ) neben Wohlwollen hinsichtlich der Unterstützung der zahnärztlichen Berufsausübung in Freiberuflichkeit auch (selbst-)kritischere Töne an, was die Strafbarkeit von Korruption im Gesundheitswesen anbelangt. „Natürlich sind wir der Meinung, dass Fehlverhalten geahndet werden muss“, so die stellvertretende Bundesvorsitzende Kerstin Blaschke. Damit stellt sie sich in eine Reihe mit der GFB. Die weist darauf hin, dass Korruption mit dem Arztberuf unvereinbar sei und entsprechend geahndet werden müsse. Allerdings seien die hierfür erforderlichen rechtlichen Grundlagen bereits im Berufsrecht und im Sozialrecht verankert. Ihre Umsetzung gehöre zur gelebten Selbstverwaltung.
SPD will Gesetzesänderung
Auf geteiltes Echo stieß das Urteil (auch) in den Reihen der Politik. Während Gesundheitsminister Daniel Bahr über einen Sprecher zunächst ausrichten ließ, keinen Handlungsbedarf im Urteil zu entdecken, sagte er in einer aktuellen Stunde des Bundestags zu, das Urteil gründlich auszuwerten und mögliche Sanktionen zu prüfen.
Wesentlich konträrer sieht die Opposition den Richterspruch: Der SPD-Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach kündigte an, dass seine Partei einen Gesetzesentwurf zur Änderung des Strafgesetzbuches hinsichtlich der Strafbarkeit von Korruption im Gesundheitswesen erarbeiten und bis Ende des Jahres im Bundestag einbringen wolle. Die Vize-Vorsitzende des Bundestags-Gesundheitsausschusses, Kathrin Vogler (Linke), sieht ebenfalls das Parlament gefordert, schließlich seien Bestechung und Bestechlichkeit von Medizinern „kein Kavaliersdelikt“. sg