Weichteilemphysem nach endodontischer Behandlung
Bei der Anwendung von Aufbereitungsinstrumenten und Spüllösungen werden Zellbestandteile und Mikroorganismen aus den Kanälen entfernt und somit Reinigung und Desinfektion als Voraussetzung für eine erfolgreiche Kanalabfüllung gesichert. Die Reduktion auf die Spüllösungen Chlorhexidin und Natriumhypochlorit hat sich dabei in den letzten Jahren etabliert. Vor allem Natriumhypochlorit mit seiner Potenz, organisches Material aufzulösen und den Wurzelkanal zu desinfizieren, hat sich in der Endodontie zum Referenzmittel etabliert [Grossmann und Meimann, 1941; Grossmann, 1981]. Hierbei ist jedoch die zytotoxische Konzentration zu beachten [Lamers et al., 1980]. Wasserstoffperoxid sowie jodhaltige oder physiologische Kochsalzlösungen gelten nach heutigem Wissensstand als ineffizient und sind obsolet. Die Gefahr der Emphysembildung, bedingt durch den Übertritt von entstehendem Sauerstoff über das Foramen apikale ins umgebende Gewebe [Smatt et al., 2004], stellt bei der Verwendung von Wasserstoffperoxid einen erhöhten Risikofaktor dar.
Die nicht korrekte Anwendung der Spüllösungen führt zur Entwicklung von Weichteilemphysemen, wie in den vier Fallberichten festgestellt werden kann. Ferner ist die unsachgemäße Verwendung ultradünner Spülkanülen, die bis weit in die Nähe des Foramen apikale platziert werden können, ebenso ursächlich für die Entwicklung von Weichteilemphysemen wie das Spülen unter zu viel Druck bei nicht ausreichender Abflussmöglichkeit. Des Weiteren sollte während des Spülvorgangs die Kanüle stets in vertikaler Richtung in Bewegung bleiben, um ein Sistieren und Blockieren der Spülkanüle zu verhindern.
Im Folgenden sollen die Genese und das klinische Erscheinungsbild endodontisch bedingter Weichteilemphyseme illustriert werden. Besonders soll die anatomische Ausdehnung hervorgehoben werden, da die maximale anatomische Ausdehnung eines durch eine endodontische Behandlung bedingten Weichteilemphysems häufig unterschätzt wird. Über einen Zeitraum von vier Monaten erfolgte die Vorstellung von vier Patienten in der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie der Universitätsklinik Jena. Allen Patienten war ein plötzlich auftretender Schmerz während der endodontischen Behandlung gemein. Im Rahmen der klinischen Untersuchung zeigte sich darüber hinaus eine druckdolente uni- beziehungsweise bilaterale Weichteilschwellung im Bereich des Mittelgesichts. Die entsprechenden Weichteilareale waren überwärmt und gerötet. Bei Palpation war eine ausgeprägte Krepitation im Bereich dieser Areale kennzeichnend. Bei einigen Patienten erschien außerdem ein Weichteilhämatom im Bereich des Punktum Maximums der Schwellung. Alle Patienten wiesen auf ein ausgeprägtes Fremdkörpergefühl hin sowie auf ein retrosternales Druckgefühl, wohingegen das Allgemeinbefinden der Patienten nicht wesentlich eingeschränkt war.
Erstes Fallbeispiel
Siehe Abbildung 1 bis 4.
Zweites Fallbeispiel
Eine 71-jährige Patientin im Zustand nach endodontischer Behandlung am Zahn 23 alio loco wurde in unserer Klinik vorstellig. Nach Spülung des Wurzelkanals mit Natriumhypochlorit beim Hauszahnarzt wurde die Behandlung aufgrund einer eintretenden Schwellung im Bereich der Oberlippen beidseits abgebrochen. In unserer Klinik wurde ein Weichteilhämatom im Bereich der Nasolabialfalte und des Mentums links diagnostiziert, sowie eine Ausbreitung des Weichteilemphysems entlang der perioralen Muskulatur ausgehend vom Zahn 23 nach submental und bukkal.
Drittes Fallbeispiel
Eine 62-jährige Patientin im Zustand nach endodontischer Behandlung am Zahn 14 stellte sich bei uns in der Uniklinik vor. Bei der Spülung der Wurzelkanäle mit Natriumhypochlorit kam es zur Überpressung von Spülflüssigkeit in das periapikale Gewebe. Nach Abbruch der Behandlung bei einer eintretenden Schwellung im Bereich der Wange wurde die Patienten in die Klinik überwiesen.
Viertes Fallbeispiel
Siehe Abbildung 10 bis 12.
Diskussion
Uni- und/oder bilaterale Weichteilemphyseme im Bereich des Mittelgesichts nach zahnärztlicher Behandlung werden regelmäßig in der Fachliteratur beschrieben. Eine unsachgemäße Anwendung von parodontaltherapeutischen Geräten und Spülflüssigkeiten [Frühauf et al., 2005] kann zu erheblichen, bis ins Mediastinum reichenden Luftansammlungen führen. Über die kommunizierenden Gesichts- und Halslogen wird das Mediastinum über para- und retropharyngeale Ausbreitungen erreicht [Frühauf et al., 2005]. Insbesondere die Behandlung mit Wasserstoffperoxid kann durch frei werdenden Sauerstoff über die anatomischen Logen und Spatienräume zu einer mediastinalen Luftausbreitung führen [Smatt et al., 2004]. Mit der verschleppten Luft kann die orale Keimflora in die Halsweichteile und ins Mediastinum gelangen. Diese Keimfloraverschleppung kann zu lokalen Komplikationen, der Mediastinitis [Heyman und Babayof, 1995] oder zu einer komplexen systemischen Entzündungsreaktion führen [Reznick und Ardary, 1990]. Im Falle der Mediastinitis sollte sich zeitnah die extraoral geführte Inzision und Drainage anschließen, um eine Progredienz zu verhindern [Morey-Mas et al., 1996]. Hier verbessert der frühzeitige Eingriff die Prognose wesentlich [Balcerak et al., 1988]. Die obligate antibiotische Behandlung sollte entsprechend dem anzunehmenden Keimspektrum [Dinubile et Lipsky, 2004] erfolgen. Kommt es im Verlauf nicht zum Auftreten von Kardinalsymptomen einer Entzündung, kann von einem benignen Verlauf des subkutanen Emphysems ausgegangen werden. In diesem Fall kann selbst bei mediastinaler Verschleppung die Therapie auf die Antibiotikagabe sowie eine suffiziente Analgesie beschränkt werden [Liechti und Achermann, 2002; Marioni et al., 2003; St-Hilaire et al., 2004]. Jedoch wird in Anbetracht der genannten möglichen Komplikationen die Notwendigkeit einer ganzheitlichen Diagnostik und Therapie unter stationären Bedingungen ersichtlich. Im Rahmen der Diagnostik ist die Anfertigung einer Thoraxröntgenaufnahme in zwei Ebenen Standard. Hiermit können die kaudalen Halsanteile sowie das Mediastinum aussagekräftig dargestellt werden [Terzic et al., 2006]. Darüber hinaus bedarf es zur Darstellung der Weichteilbeteiligung im Bereich des Halses einer Computertomografie [Lopez-Pelaez et al., 2001]. Abschließend muss der Vollständigkeit wegen auch das seltene Auftreten eines Pneumatothorax [Shackelford und Casani, 1993] oder einer Luftembolie [Sandler et al., 1975] Erwähnung finden.
Schlussfolgerung
Gemessen am Gesamtumfang der zahnärztlich-konservierenden Behandlungen in Deutschland sind die Weichteilemphyseme nach endodontischer Behandlung nicht häufig. Noch seltener sind schwerwiegende Komplikationen wie eine Mediastinitis beschrieben worden. Dennoch sollte die Gefahr einer systemischen Infektion nicht unterschätzt werden. Kommt es im Rahmen einer endodontischen Behandlung zu einschießenden Schmerzen, Fremdkörpergefühl und plötzlich auftretenden, druckdolenter Schwellungen mit Krepitation muss an ein Weichteilemphysem und an die Möglichkeit einer retro- und parapharyngealen Ausbreitung in den Mediastinalraum gedacht werden. Zur Komplikationsprophylaxe sollten die Patienten einer weiteren Abklärung und adäquaten Therapie zugeführt werden. Nur so können Komplikationen wie Mediastinitis, Pneumothorax und Pneumoperikard vermieden werden. Diese Folgebehandlungen sollten immer in einer Fachklinik stationär erfolgen und gehören nicht in die ambulante Nachsorge.
Tipps für die Praxis
Typische klinisch-anamnestische Merkmale bei der Durchführung einer endodontologischen Behandlung sollten den Zahnarzt aufmerksam werden lassen:
• fehlender Rückfluss von Spülflüssigkeit
• einschießender Schmerz durch Mikroperforationen der Mukosa
• akut einsetzende, druckdolente, schmerzhafte Schwellung mit Begleithämatom
• Pergamentknistern im Weichgewebe
• Fremdkörper- und Druckgefühl vor allem retrosternal
• Schluckbeschwerden bei ausgeschlossener fiebriger Genese
Daniel Reymann
Korosh Roshanghias
Prof. Dr. Dr. Stefan Schultze-Mosgau
Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie / Plastische Chirurgie Klinikum der Friedrich Schiller Universität Jena
Bachstr. 18
07743 Jena