WHO Tuberkulose Report

Erfolg mit Fragezeichen

Heftarchiv Gesellschaft
eb
Der Kampf gegen Tuberkulose macht weltweit Fortschritte, zeigt der aktuelle Report der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Erfolgsgeschichten wie Kambodscha machen Mut. Doch in einigen Regionen ist die Infektionskrankheit weiterhin ein ähnlich großes Problem wie HIV/Aids.

Insgesamt 20 Millionen Leben konnten durch eine verbesserte Behandlung und Vorsorge von Tuberkulose (TB) gerettet werden, heißt es im „Global Tuberculosis Report 2012“.

Allerdings gab es im Untersuchungszeitraum 2011 immer noch 8,7 Millionen Neuinfektionen. Die meisten Fälle gab es in Asien (59 Prozent) und in Afrika (26 Prozent). „Der erfolgreiche Kampf gegen die Krankheit ist in Gefahr“, erklärt der Direktor des WHO-Stop-TB-Department, Dr. Mario Raviglione. „Wir stehen jetzt an der Weggabelung zwischen einer Ausrottung von TB zu unseren Lebzeiten oder weiteren Millionen TB-Toten.“

Das Geld fehlt

Trotz der Erfolge wie dem verbesserten Zugang zu Behandlungen für viele Menschen bleibt TB eine der tödlichsten Krankheiten weltweit. Insgesamt 1,4 Millionen Menschen fielen ihr 2011 zum Opfer. Rund 13 Prozent der Betroffenen leiden zusätzlich an einer HIV-Infektion.

Ein Hauptproblem ist die Zunahme von multiresistenten TB-Erregern, bei denen Medikamente kaum mehr wirken. Nur bei einem von fünf Patienten wird die Infektion mit diesen sogenannten MDR-Erregern überhaupt diagnostiziert. In den beiden Ländern mit den größten Fallzahlen, Indien und China, ist es sogar nur einer von zehn. Große Hoffnung setzt die WHO deshalb in einen neuen Test, der TB innerhalb von 100 Minuten erkennen kann. Der vollautomatische Nukleinsäure-Verstärkungstest ist bereits heute in 67 Entwicklungs- und Schwellenländern erhältlich. Zudem berichtet der Report von einem neuen TB-Medikament, das schon 2013 auf den Markt kommen könnte. Es wäre das erste neue TB-Mittel seit 40 Jahren. Die WHO hofft auch auf die Entwicklung eines Impfstoffs bis 2020.

Für die Forschung fehlen laut Gesundheitsorganisation jedoch rund 1,1 Milliarden Euro im Jahr. Für die Zeit zwischen 2013 und 2015 wird außerdem im Bereich der Krankheitskontrolle eine Deckungslücke von 2,3

Milliarden Euro erwartet. Die Gefahr bestehe, dass die Versorgung von TB-Patienten sich verschlechtert und Eindämmungsmaßnahmen geschwächt werden, heißt es bei der WHO. Am meisten gefährdet sind die Entwicklungsländer. Die Organisation ruft deshalb die westlichen Geberländer dazu auf, ihre finanziellen Anstrengungen nicht zu reduzieren. Knapp 90 Prozent der Mittel gegen TB stellt der Globale Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria zur Verfügung.

Der aktuelle Tuberkulose-Report erfasst zum ersten Mal die Krankheitsverbreitung speziell bei Kindern. Demnach erkrankten 2011 knapp eine halbe Million unter 15-Jährige, circa 64 000 starben.

Die Sterberate sinkt

Aber es gibt auch gute Nahrichten. Die TB-Sterblichkeit ist seit 1990 um 41 Prozent zurückgegangen. Krankheitsraten und Mortalität sinken in allen sechs WHO-Regionen (Afrika, Amerika, Europa, Östliches Mittelmeer, Südostasien, Westlicher Pazifik). Auch in den meisten der 22 am stärksten betrof-fenen Staaten sinkt die Infektionsrate. Das Millennium-Entwicklungsziel der Vereinten Nationen, bis 2015 die weitere Ausbreitung von TB zu stoppen, wurde bereits erreicht. Zwischen 1995 und 2011 wurden 51 Mil-lionen Menschen erfolgreich behandelt. Heute liegt der Behandlungserfolg einer neu diagnostizierten Tuberkulose bei 85 Prozent.

Die gemeinsame Behandlung von TB und HIV macht ebenfalls Fortschritte. Der Anteil der TB-Patienten, die auf HIV getestet wurden, stieg von drei Prozent 2004 auf 69 Prozent im vergangenen Jahr. Weltweit hat 2011 knapp die Hälfte der Menschen, die sowohl an TB als auch an HIV leiden, eine anti-retrovirale Therapie begonnen.

Kambodscha hat Erfolg

Eine Erfolgsgeschichte beim Kampf gegen TB ist Kambodscha. Die WHO lobt das südostasiatische Land als Paradebeispiel, wie sich Asien als am stärksten von TB betroffene Region aus den Fängen der Krankheit befreien kann. Vier (China, Indien, Indonesien und Pakistan) von den fünf Staaten mit den weltweit meisten TB-Fällen liegen in Asien.

Anfang der 1990er-Jahre war Kambodschas Gesundheitssystem nach Bürgerkrieg und Herrschaft der Roten Khmer ruiniert. Die Infrastruktur war zerstört, von vormals 600 Ärzten praktizierten kaum mehr als 50. Das Land hatte eine der höchsten TB-Raten der Welt. Diagnose und Behandlung war nur in Hospitälern möglich, und die meisten Menschen konnten sich die Kosten für Reise und Unterbringung – damals dauerte eine Behandlung zwölf bis 18 Monate – nicht leisten. Andere warteten viel zu lange, bevor sie Hilfe suchten und steckten in der Zwischenzeit noch viel mehr Menschen an.

1993 entschied sich die neu gewählte Regierung dafür, mit Unterstützung des kürzlich eröffneten nationalen WHO-Büros ein TB-Programm aufzulegen. In der Folge kam es zu einem radikalen Umbau des Gesundheitssystems. Die Zahl der Krankenhäuser wurde reduziert, stattdessen setzte die Regierung auf dezentrale, lokale Gesundheitsdienste. „Diese Reform bot die perfekte Gelegenheit, einen Wandel im Umgang mit TB herbeizuführen“, erklärt Dr. Pieter van Maaren, WHO-Vertreter in Kambodscha. In den lokalen Gesundheitszentren wird ein allgemeiner und kostenloser Zugang zu TB-Behandlungen gewährt.

Die Zahl der Zentren hat sich von 60 im Jahr 2000 auf circa 1 000 im Jahr 2005 vervielfacht. Im selben Zeitraum stieg die Zahl des Gesundheitspersonals, das speziell in TB-Kontrolle ausgebildet wurde, von 800 auf 2 500. Eine im Jahr 2011 durchgeführte Studie zeigt, dass seit 2002 die Krankheitsrate von 1 500 auf 820 Fälle pro 100 000 Einwohner gesunken ist – ein Rückgang von 45 Prozent innerhalb von neun Jahren. „Wir haben bei null angefangen“, berichtet van Maaren. „Und innerhalb von fünf Jahren ist es uns gelungen, TB praktisch überall zu behandeln. Aber TB-Kontrolle ist mehr, als Patienten Pillen schlucken zu lassen. Viele Aspekte müssen für einen nachhaltigen Erfolg zusammen kommen.“

Für das kambodschanische Gesundheits- ministerium ist der Erfolg drei Faktoren zu verdanken: Engagement und Führung der Regierung, technische Expertise und Unterstützung von internationalen Geldgebern. „Kambodschas Erfolg bei der TB-Behandlung ist bemerkenswert, aber es liegt noch ein langer Weg vor uns“, warnt van Maaren. „Viele Menschen sind infiziert, und die Arbeit des öffentlichen Gesundheitssektors wird noch lange gebraucht werden.“

Trotzdem ist für Mario Raviglione die Entwicklung in Kambodscha „ein großartiger Erfolg für die TB-Kontrolle. Sie zeigt, dass auch in Entwicklungsländern Beharrlichkeit, Engagement und Sachkenntnis Leben retten können.“ eb

Info

Fakten zu Tuberkulose

• TB wird durch Bakterien (Mycobacterium tuberculosis) ausgelöst und greift meistens die Lunge an.

• TB wird durch die Luft von Mensch zu Mensch übertragen.

• Circa ein Drittel der Weltbevölkerung hat latente TB. Das heißt, die Personen wurden mit TB-Bakterien infiziert, sind aber (noch) nicht krank und können die Krankheit auch nicht übertragen.

• TB ist die weltweit zweittödlichste Infektionskrankheit nach HIV/Aids.

• 2011 gab es 8,7 Millionen Neuinfektionen und 1,4 Millionen Todesopfer.

• 95 Prozent der TB-Toten stammen aus Entwicklungs- und Schwellenländern.

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