Gastkommentar

Krise – nein, danke

Maike van Delden, gesundheitspolitische Fachjournalistin im LetV Verlag, wendet sich gegen eine rigorose Negativbetrachtung der Entwicklung im deutschen Gesundheitswesen.

Für das Gesundheitswesen sind die Zeiten äußerst bewegt. Die einen reden voll Überzeugungskraft von einer künftigen, vor allem durch den medizinischen Fortschritt bedingten Finanzierungskrise, andere fordern mehr Gerechtigkeit in Versorgung und Finanzierung.

Ein Skandal jagt den anderen, Impfstoffe gehen aus, manche Medikamente werden importiert, weil die Hersteller sie nach gescheiterten Verhandlungen vom deutschen Markt genommen haben, die Medizintechnikbranche klagt über zu wenig Umsatz und eine innovationsfeindliche Politik der Krankenkassen. Die Ärzteschaft fühlt sich in mehrerlei Hinsicht depriviert, die Politik hat sich ewig lang über die Praxisgebühr gestritten und beginnt Wohltaten für das Wahljahr auszuschütten.

Stecken wir mitten in einer ernsten Krise des Gesundheitswesens?

Hört man die Klagen, könnte man es beinahe vermuten. Betrachtet man nüchtern unaufgeregt die Realität, dann bietet sich ein anderes Bild. Noch nie zuvor hat die GKV so viel Geld für die Versorgung ausgegeben wie heute. Noch nie zuvor gab es so viele Ärzte wie heute. Die Lebenserwartung steigt stetig, Alte bleiben immer länger fit. Viele früher todbringende Krankheiten sind zu chronischen mutiert und wir haben einen weltweit bemerkenswert niedrigschwelligen Zugang zu unserem Gesundheitswesen erhalten.

Eigentlich eine Erfolgsstory, die sich sehen lassen kann. Sicherlich läuft nicht alles glatt, aber Skandale hat es immer gegeben und wird es immer geben, wenn Menschen am Werk sind. Nicht jeder ist von hoher Moral getrieben. Manche glauben, wenn andere falsch handeln, sei es auch ihnen erlaubt. Es gibt keine Katharsis durch Gemeinschaft im Bösen. Was geschieht, wenn dem nicht Einhalt geboten wird, sieht man in Griechenland.

Dasselbe gilt auch für das Gesundheitswesen. Wo immer sich unvertretbare Zustände eingeschlichen haben, muss Einhalt geboten werden. Das ist eine permanente Aufgabe, ebenso mehr Rationalität, Effizienz und Effektivität in die Versorgung zu bringen. Das Gesundheitswesen kann kein Schlaraffenland für Systembeteiligte sein.

Die Politik hat aus diesem Denken heraus in dieser Legislatur einige neue Regeln vorgegeben, so die frühe Nutzenbewertung für Arzneimittel. Sie beginnt zu greifen. Noch „üben“ Selbstverwaltung und Industrie, wie diese Spielregeln anzuwenden sind, einige, die sich früh darauf eingelassen haben, sind höchst zufrieden, andere eher entsetzt.

Die Medizinprodukte-industrie wird sich auf ähnliche Spielregeln für viele ihrer Produkte einstellen müssen, auf strengere Zertifizierungen und auf Nutzenbewertungen mit Preisverhandlungen, so sehr sie sich auch dagegen wehren mag.

Krankenkassen werden sich zum Beispiel für eine rationalere Bonipraxis und für rationalere Präventionsmaßnahmen entscheiden,

Ärzte und Zahnärzte sich weiterer Qualitätsmessung öffnen müssen. Das sind völlig normale Weiterentwicklungen des Gesundheitswesens. Es werden vor allem bottom up weitere Kooperationen in der Versorgung aufgebaut, die Integrierte Versorgung wird ausgebaut werden.

Die Systembeteiligten werden diese Veränderungsprozesse erfolgreich bewältigen. Es gibt nur eine Schwachstelle und das ist die Politik. Die Praxisgebühr ist dafür ein gutes Beispiel. Sie sollte eine Steuerungswirkung zur Verringerung der Arztkontakte haben, hatte sie aber nicht, war also eine Fehl- maßnahme. Von Anfang an gab es Sonderregelungen für wirtschaftlich Schwache, für in Hausarztverträge Eingeschriebene und Boni. Inzwischen erstatteten schon viele Kassen ihren Mitgliedern die Praxisgebühr.

Der Sturm im Wasserglas wurde bekanntermaßen durch einen Kuhhandel in der Koalitionsrunde beendet – aber gleichzeitig wurden die Fondszuweisungen gekürzt.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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