Fortbildungsteil 2/2012

Management endodontischer Misserfolge

Vor der prothetischen Restauration eines Zahnes – als Einzelzahnversorgung oder im Rahmen einer Verbundlösung – stellt sich nicht selten die Frage nach der Bewertung einer vorhandenen endodontischen Versorgung des Zahnes und der Notwendigkeit einer Revision nicht erfolgreicher Wurzelkanalbehandlungen. Im Folgenden werden grundlegende Gesichtspunkte der endodontischen Revisionsbehandlung diskutiert, ohne dabei gezielt auf technische Aspekte der Revisionsbehandlung einzugehen.

Michael Hülsmann

Obwohl die Wurzelkanalbehandlung mit einer – abhängig vom Ausgangsbefund – 80- bis 90-prozentigen Erfolgsquote eine Therapieform mit sehr guter Prognose darstellt [Ng et al., 2008a], kommt es in einigen Fällen zum Ausbleiben einer Heilung der Parodontitis apicalis. In anderen Fällen entwickelt sich erst postoperativ eine peri- radikuläre Läsion. Um die mit dem Begriff Misserfolg verbundene indirekte Schuld- zuweisung an den Primärbehandler zu vermeiden, wird hierfür zunehmend häufig der Terminus der „Posttherapeutischen Erkrankung“ oder der „Postendodontischen Erkrankung“ verwendet [Friedman, 2002]. Auch wenn diese Begriffe nur wie unwich- tige semantische Randnotizen erscheinen mögen und obwohl die röntgenologischen Befunde identisch sind, vernebelt die Verwendung des klassischen Begriffs „Parodontitis apicalis“ in beiden Situationen, dass es sich um differenzierte Krankheitsbilder handelt. Sie unterscheiden sich ätiologisch, mikrobiologisch und unter Umständen auch histologisch und bedürfen daher auch unterschiedlicher Therapievarianten.

Nicht nur nach insuffizienter Wurzelkanal-behandlung, sondern auch nach scheinbar optimaler Vorgehensweise wird das Therapieziel – die Heilung oder Prävention einer Parodontitis apicalis – nicht immer erreicht [Ng et al., 2008a; Nair, 2004; Siqueira, 2001].

Ursachen für Misserfolge endodontischer Primärbehandlungen können sein (Tabelle):

• Im Wurzelkanal verbliebene Mikroorganismen: Dies ist sicher einer der Hauptgründe für Misserfolge, da es mit den gegenwärtig zur Verfügung stehenden Methoden, und das schließt „Wunderwaffen“ wie den Laser oder CHKM (Chlorphenol-Kampfer-Menthol-Gemische) ein, nicht möglich ist, das gesamte, anatomisch sehr komplexe Endodont vollständig zu desinfizieren oder gar zu sterilisieren [Nair et al., 1990; Siqueira, 2001; Nair, 2004; Peculiene et al., 2001].

• Die sekundäre Infektion oder Reinfektion eines zunächst ausreichend gereinigten und gefüllten Wurzelkanals aufgrund einer undichten koronalen Restauration (coronal leakage) (Abbildungen 1a bis 1c) [Nair, 2004; Siqueira, 2001].

• In beiden Situationen ist davon auszugehen, dass sich das Keimspektrum von dem einer Primärinfektion unterscheidet [Schirrmeister et al., 2009], so dass sich in der Konsequenz auch das Desinfektionsprotokoll von dem einer Primärbehandlung unterscheiden muss. Insbesondere Enterococcus faecalis und Candida-Spezies wurden bei endodontischen Misserfolgen häufig identifiziert. E. faecalis gilt als Problemkeim, da er in der Lage ist, ein stark alkalisches Milieu (Ca(OH)2und NaOCl) und hohe Temperaturen ebenso zu tolerieren wie lange substratlose Zeiten. Zudem ist E. faecalis in der Lage, eine Monoinfektion in wurzelkanal-gefüllten Zähnen auszubilden und zu unterhalten [Kaufman et al., 2005; Heppeler Hülsmann, 2006; Portenier et al., 2003]. Insgesamt ist von einer reduzierten Zahl bakterieller Spezies auszugehen, die aber schwieriger zu eliminieren sind.

Weitere Ursachen endodontischer Misserfolge können sein:

• Extraradikulärer Biofilm: Auch außerhalb des Endodonts können sich in ungünstigen Fällen Mikroorganismen befinden, die an der Wurzelaußenfläche einen auf ortho- gradem Wege nicht mehr erreichbaren (und zerstörbaren) Biofilm bilden können [Sunde et al., 2000]. Vor allem Actinomyces-Spezies und Propionibacterium wurden in solchen posttherapeutischen extradadikulären Biofilmen identifiziert [Wang et al., 2012], aber auch Enterococcus faecalis. Zurzeit ist davon auszugehen, dass sich in periradikulären Biofilmen bislang noch nicht bekannte Zusammensetzungen unterschiedlicher Spezies finden lassen [Wang et al., 2012].

• Echte Zysten: Diese sind differenzial- diagnostisch weder von orthograd therapierbaren Taschenzysten, noch von apikalen Parodontitiden sicher abzugrenzen [Nair, 1998].

• Fremdkörperreaktionen: Hierbei handelt es sich um nach extraradikulär extrudiertes Fremdmaterial, das eine immunologische, entzündliche Reaktion verursacht [Siqueira, 2001].

• Wurzellängsfrakturen oder -infrakturen, Cracks

• Periapikale Aktinomykosen [Siqueira, 2008]

• Technische Probleme während der Primärbehandlung allein sind ohne eine mikrobielle Kontamination des Endodonts keine Gründe für einen Misserfolg, sie können aber in einer nicht ausreichenden Keimreduktion bei der Primärbehandlung resultieren.

Es liegt in der Natur der Sache, dass die definitive Ursache eines Misserfolgs ohne Biopsien und ähnliche Maßnahmen nicht mit völliger Sicherheit diagnostiziert werden kann. Zu beachten ist aber auch, dass eine radiologisch perfekte Wurzelkanalfüllung kein Garant für eine ebenso perfekte vorangegangene Desinfektion darstellt.

In der Regel wird somit eine Revisionsbehandlung unter folgenden Prämissen durchgeführt:

• Innerhalb des endodontischen Systems sind Mikroorganismen anwesend, die mit einiger Wahrscheinlichkeit durch einen orthograden Ansatz entfernt werden können.

• Es ist möglich, das vorhandene Füllmaterial vollständig zu entfernen, das physiologische Foramen zu erreichen, das komplexe anatomische System so zu erreichen und zu bearbeiten, dass eine hinreichende Desinfektion gelingt. Misserfolge mit nicht erreichbarer interner Anatomie sind somit als eine der Kontraindikationen zur Revisionsbehandlung anzusehen.

• Es ist voraussichtlich möglich, Fehler und Unzulänglichkeiten der Primärbehandlung (nicht instrumentierte Wurzelkanäle, nicht ausreichende Arbeitslänge, Stufen, Perforationen, frakturierte Instrumente, Begradigungen und mehr) auszugleichen.

Diese Prämissen können sich während der Revisionsbehandlung oder während der folgenden Kontrollphase als richtig oder falsch herausstellen. Ist bereits präoperativ zu erkennen, dass sich diese Prämissen als unhaltbar erweisen, ist von einer Revisionsbehandlung in der Regel abzusehen.

Indikationen und Kontraindikationen

[ESE 2006; DGZMK,2004]Eine Indikation liegt vor bei:

• vermutlich endodontisch bedingten, klinischen Symptomen an einem wurzelkanalbehandelten Zahn (Schmerzen, Druck- dolenz, Fistel, Perkussionsempfindlichkeit und mehr),

• röntgenologischem Hinweis auf das Vorliegen einer persistierenden oder neu entstandenen periapikalen Läsion,

• nicht behandelten Wurzelkanälen,

• ausgedehnten, nicht behandelten Wurzelkanalbereichen.

Zur Prävention einer Parodontitis apicalis, also an wurzelkanalgefüllten Zähnen ohne röntgenologisch oder klinisch manifeste Symptome einer periapikalen Erkrankung, ist eine Revisionsbehandlung indiziert bei

• klinisch und/oder röntgenologisch erkennbaren Mängeln der Wurzelkanalbehandlung,

• Verdacht auf physikalisch oder biologisch nicht akzeptable Wurzelkanalfüllmaterialien (nicht erhärtende Füllpasten wie N2 oder Silberstifte),

• Speichelexposition einer Wurzelkanalfüllung.

Dies beinhaltet, dass eine Revisionsbehandlung auch an Zähnen indiziert ist, deren Wurzelkanalfüllung (beziehungsweise deren röntgenologische Erscheinungsweise) ein vermutlich hohes Risiko des Scheiterns in naher oder ferner Zukunft beinhaltet.

Diese präventive Revisionsbehandlung weist gegenüber der Revisionsbehandlung an Zähnen mit Parodontitis apicalis eine deutlich bessere Erfolgsprognose auf. Der Unterschied beträgt mehr als zehn Prozent [Paik et al., 2004; Ng et al., 2008b].

Kontraindikationen sind:

• Nicht endodontische Ursache klinischer oder röntgenologischer Symptome an wurzelkanalgefüllten Zähnen (wie parodontale Erkrankungen, die unter Umständen differenzialdiagnostisch nur schwer abzugrenzen sind)

• Eine Verbesserung des Zustands ist mit eigenen Mitteln nicht zu erwarten. Hier ist zu überprüfen, ob eine Überweisung an eine/n Kollege/in mit weitergehender Qualifikation oder besserer instrumenteller und apparativer Ausstattung sinnvoll und möglich ist.

• Ablehnung des Patienten: In diesem Fall sollte der Zahn aber nicht wider besseres Wissen trotz endodontisch insuffizienter Versorgung kostenaufwendig restauriert oder sogar in eine umfassende prothetische Rehabilitation integriert werden. Um eine weitere Schädigung des Zahnes zu verhindern, scheint maximal eine adhäsive Restauration gerechtfertigt.

In Zweifelsfällen sollten nach Präparation einer Zugangskavität am Wurzelkanaleingang durch Inspektion und Sondierung Art, Konsistenz und Homogenität der vorhan-denen Füllung überprüft werden (Abbildungen 2a bis 2d).

Es sollte deutlich geworden sein, dass es sich bei einer Revisionsbehandlung nicht um den Austausch einer Wurzelkanalfüllung, die Erneuerung des Füllmaterials, sondern um die Revision, also die Wiederholung der Primärbehandlung („Retreatment“) mit Korrektur der vorliegenden Fehler und Unzulänglichkeiten handelt. Im Mittelpunkt steht die erneute Desinfektion des wieder oder weiterhin kontaminierten endodon- tischen Systems.

Zeitpunkt einer Revisionsbehandlung

Lange Zeit galten vier Jahre nach einer Wurzelkanalbehandlung als angemessener Beobachtungszeitraum, um eine relativ sichere Aussage über Erfolg oder Misserfolg der Behandlung machen zu können. So bezeichnen auch die Behandlungsrichtlinien der Europäischen Gesellschaft für Endo-dontie [ESE, 2006] diese Zeitspanne als adäquat. Dies ist insofern zutreffend, als dass die Heilung einer Parodontitis apicalis so viel (oder noch mehr) Zeit in Anspruch nehmen kann.

In der Mehrzahl der Fälle – in zwei Studien waren dies immerhin 85 Prozent – ist eine Heilung aber bereits nach spätestens zwei Jahren zu erkennen, häufig auch schon früher [Ørstavik, 1996; Bystroem et al., 1987].

Hieraus leitet sich die Empfehlung ab, die Entscheidung deutlich früher zu fällen: Zeigen sich nach einem Jahr Anzeichen einer Heilung, ist weiteres kontrolliertes Abwarten gerechtfertigt. Stellt sich die Situation aber unverändert dar, kann über eine Revisionsbehandlung oder eine apikalchirurgische Intervention nachgedacht werden [Wu Wesselink, 2006].

Therapieoptionen

Prinzipiell ist die Therapie einer postendodontischen Erkrankung möglich durch Kontrolliertes Abwarten:

Das kann indiziert sein, wenn die Wurzelkanalbehandlung vor weniger als ein bis zwei Jahren vorgenommen wurde und keine Vergrößerung der Läsion und keine klinischen Symptome (Schmerzen, Schwellung, Fistel und mehr) vorliegen.

Orthograde Revisionsbehandlung: Diese bietet in der Regel eine akzeptable Prognose und vermeidet einen chirurgischen Eingriff, der aber bei Bedarf anschließend immer noch als weitergehende Option zur Verfügung steht.

Rein chirurgische Intervention: Wurzel- spitzenresektion (WSR) mit retrogradem Verschluss: Ohne eine parallele Revision der Wurzelkanalbehandlung ist die WSR mit einer deutlich reduzierten Erfolgsquote behaftet, da die Verbindungen des infizierten Endodonts zum periradikulären Knochen durch ein alleiniges Abtrennen der Wurzelspitze nur noch vergrößert werden und hierbei keinerlei Maßnahmen zur Reduktion/Elimination der intraradikulären Infektion, also der Ursache der extraradikulären Entzündung, unternommen wurden.

Rein chirurgische Intervention: WSR ohne retrograden Verschluss: Die WSR ohne retrograde Füllung entspricht nicht mehr dem aktuellen „state of the art“. Das Grund- problem der Infektion des Wurzelkanalsystems wird auf diese Weise nicht gelöst.

Die Extraktion: Diese löst zwar das Problem der persistierenden Infektion des Wurzel- kanalsystems, ist aber mit der Notwendigkeit einer mehr oder weniger kostenaufwendigen Rehabilitation (Brücke, Implantat, herausnehmbarer Zahnersatz) verbunden (siehe Flussdiagramm).

Die Entscheidung muss nach gründlicher Aufklärung über die Ursachen des Problems, die unterschiedlichen Therapiemöglichkeiten, deren Prognosen und Risiken und die entstehenden Kosten vom Patienten getroffen werden („informed consent“). Diese Entscheidungsfindung ist ein komplexer Prozess, in den zahlreiche Aspekte einfließen.

Nicht zuletzt sind dies auch ethische Aspekte sowie die Erwartungen und Bedürfnisse des Patienten, aber auch die Gesamtplanung der oralen Rehabilitation [Friedman, 2002; Kvist, 2001].

Diagnostik vor Revisionsbehandlungen

Im Rahmen der präoperativen Diagnostik sollte auch allen Aspekten Aufmerksamkeit gewidmet werden, die die nachfolgende Behandlung und deren Prognose beeinflussen können:

Veränderungen der ursprünglichen Wurzelkanalanatomie:

Stufen, Perforationen, apikale Begradigungen, Verlagerungen des Kanalverlaufs und des apikalen Foramens oder die Erweiterung des Foramens können unüberwindbare Hindernisse bei der Revisionsbehandlung darstellen und dazu führen, dass eine für eine ausreichende Desinfektion notwendige Arbeitslänge nicht erreicht wird [Hülsmann et al., 2006]. Während einige anatomische Veränderungen (Stufen) unter Umständen beherrschbar sind [Lambrianidis, 2006], sind Veränderungen wie die Begra-digung oder die Erweiterung des Foramens irreversibel und nicht in allen Fällen zufriedenstellend zu therapieren [Schäfer Dammaschke, 2006]. Nicht alle dieser Probleme sind präoperativ mit ausreichender Sicherheit und Genauigkeit zu diagnostizieren (Abbildungen 3a und 3b).

Perforationen:

Neben einer Parodontitis apicalis und Veränderungen der ursprüng- lichen Anatomie stellen Perforationen einen wichtigen prognostischen Faktor dar. Auch wenn sich Perforationen bei ausreichend gutem Zugang verschließen lassen, senken vor allem ältere und gingiva-nahe Perforationen die Prognose eines Zahnes deutlich. Zum Perforationsverschluss wird zurzeit überwiegend MTA (Mineral-Trioxid-Aggregat) empfohlen, es liegen bislang aber nur wenige Daten zur Erfolgsaussicht vor [Mente et al., 2010]. Röntgenologische Läsionen im Furkationsbereich, an der Wurzelaußenseite in der Nähe von Stiftaufbauten sowie an der Innenkurvatur stark gekrümmter und begradigter Wurzelkanäle können auf Perforationen hindeuten (Abbildung 4).

Nicht identifizierte und somit nicht behandelte Wurzelkanäle: Die exzentrische Lage einer Wurzelkanalfüllung in einer Wurzel kann einen ersten Hinweis auf nicht entdeckte Wurzelkanäle geben. Eine isolierte Läsion an der mesio-bukkalen (mb) Wurzel eines Oberkiefermolaren kann zum Beispiel Indikator für die Präsenz eines zweiten mesio-bukkalen (mb2) Wurzelkanals sein (Abbildungen 5a und 5b). Während Revisionsbehandlungen an Oberkiefermolaren wurde in 67 Prozent der Fälle ein mb2 entdeckt, bei der Primärbehandlung war nur in 59 Prozent der Fälle ein mb2 gefunden worden [Wolcott et al., 2005; Cantatore et al., 2006].

Bei der Neupräparation der Zugangskavität ist auf eine ausreichende Größe zu achten, um dann unter guter Ausleuchtung und mit optimaler Vergrößerung (Lupenbrille, Mikroskop) gezielt nach weiteren Kanaleingängen forschen zu können.

Schwer entfernbares Füllmaterial: Art und Konsistenz des zu entfernenden Füllmaterials lassen sich mit ausreichender Präzision erst nach Präparation der Zugangskavität und vollständiger Reinigung des Pulpakavums bestimmen. Vorsichtig wird mit mäßigem Druck exploriert, wie einfach und wie tief sich das Füllmaterial penetrieren lässt.

Wurzelkanalstifte: Ein besonderes Problem stellen Zähne mit intrakanalären Stiftverankerungen dar. Die präoperative Diagnostik sollte ermitteln, um welche Art Stift es sich handelt (konfektioniert/individuell gegossen,

Glas-/Quarzfaserstift oder Zirkonoxidstift, geklebt/geschraubt/zementiert, mit oder ohne Kernaufaufbau und mehr), wie sich die Dimensionen des Stiftes darstellen (Länge, Konizität, Durchmesser) und wie daraus resultierend die Möglichkeit einer Entfernung, aber auch die Risiken des Ent-fernungsversuchs einzuschätzen sind. Die Prognose der Entfernung konfektionierter Wurzelstifte mithilfe von Ultraschallsystemen ist prinzipiell als sehr gut einzuschätzen, individuell gegossene Stifte sind oft deutlich schwieriger zu lockern und zu entfernen.

Für alle Schritte der Revisionsbehandlung ist eine gute Fallauswahl von großer Bedeutung. Wird keine Möglichkeit gesehen, den Fall mit eigener Erfahrung und eigenem Instrumentarium zu lösen, sollte eine Überweisung an einen besser ausgestatteten und eventuell routinierteren Spezialisten in Erwägung gezogen werden.

Wird der Revisionsversuch aber selbst unternommen, sollte für einige Schritte (wie die Entfernung von Stiften oder frakturierten Instrumenten, die Suche nach zusätzlichen Wurzelkanälen und mehr) ein auf eigenen Erfahrungen basierendes Zeitlimit definiert werden. Nach dessen Erreichen wird der Revisionsversuch abgebrochen, da sonst die möglichen negativen Folgen (Perforation, übermäßiger Substanzverlust) eine Zahn- erhaltung gefährden. Dies ist der Zeitpunkt, über eine chirurgische Therapie oder eine Überweisung nachzudenken.

Fallbeispiel 1

Der Zahn 36 (Abbildung 6) zeigt röntgenologische Anzeichen einer Parodontitis apicalis nach Wurzelkanalbehandlung (postendodontische Erkrankung). Bei der Entscheidung über die weitere Therapie sind präoperativ mögliche Schwierigkeiten und Komplikationen zu evaluieren. Was zunächst wie eine relativ einfache Revisionsbehandlung aussieht, entpuppt sich bei genauerer Analyse als komplexer Fall mit erhöhtem Schwierigkeitsgrad.

Es zeigen sich die folgenden Probleme:

• Unklarheit über die Qualität und Erhaltungswürdigkeit der koronalen Restauration

• Unklarheit, welches Aufbaumaterial verwendet wurde.

• Unklarheit, wie viel solide Zahnhartsubstanz koronal noch verbleibt und ob eine Neuversorgung noch möglich ist (Ferrule und biologische Breite).

• Verdacht auf eine Perforation im Furkationsbereich

• Füllung mit Silberstiften, deren Korrosion möglicherweise eine Entfernung erschwert oder unmöglich macht.

• Mesial liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit ein ungefüllter und vermutlich auch uninstrumentierter Wurzelkanal vor.

• Am apikalen Ende der Silberstifte ist jeweils mit einer Stufe und/oder Blockade zu rechnen.

• Es ist unklar, ob die apikalen Kanal-bereiche noch erschlossen werden können.

• An beiden Wurzeln zeigt sich eine Parodontitis apicalis.

Damit liegen (mindestens) drei gravierende Probleme vor, die jeweils die Prognose einer Revisionsbehandlung deutlich verringern:

• Parodontitis apicalis

• Perforation

• Veränderung der ursprünglichen Kanal-anatomie.

Fallbeispiel 2

Der Patient stellt sich mit symptomatischer Parodontitis apicalis an den Zähnen 26 und 27 vor (Abbildung 7a).

Die Gesamtplanung erfolgt unter Berücksichtigung nicht zahnbezogener Faktoren wie Erwartungen, Compliance, Mundhygiene und der finanziellen Möglichkeiten des Patienten, aber auch der Situation der Antagonisten, des Okklusionsprofils und mehr.

Die erste Frage lautet: Sollen die Zähne erhalten werden? Die nächste Frage lautet: Können die Zähne erhalten werden?

Zahn 26 Probleme und mögliche Komplikationen:

Mesio-bukkale Wurzel:

• Unklarheit über die Menge und den Zustand der koronal noch vorhandenen Restzahnhartsubstanz

• Perforation der mesio-bukkalen Wurzel (ohne röntgenologische Befunde)

• langes frakturiertes Instrument innerhalb und apikal der Kurvatur, apikal überextendiert

• Verdacht auf zusätzlichen Wurzelkanal in der mesio-bukkalen (mb) Wurzel

• Parodontitis apicalis an der mb Wurzel

Disto-bukkale Wurzel:

• WKF (Wurzelkanalfüllung) zu kurz,

• Verdacht auf Stufenbildung apikal der WKF

• Unklarheit, ob die Präparation bis zum Foramen physiologicum möglich ist.

Palatinale Wurzel:

• Unklarheit, ob die Präparation bis zum Foramen physiologicum möglich ist.

Zumindest in zwei der drei bis vier Wurzelkanäle besteht der Verdacht auf iatrogene Veränderungen der Wurzelkanalanatomie. Eine Perforation und eine Instrumentenfraktur liegen vor. Ob das Fragment entfernt werden kann, ist präoperativ nicht exakt abzuschätzen. Die Überextension und die Länge des Fragments sind von untergeordneter Bedeutung; das Hauptproblem besteht vermutlich darin, den koronalen Teil des Fragments freizulegen, ohne die Perforation wieder zu eröffnen und übermäßig viel Zahnhartsubstanz zu opfern.

Zahn 27

• Der mesio-bukkale und der palatinale Wurzelkanal scheinen bis zum Foramen (und geringfügig darüber hinaus) instrumentiert und gefüllt.

• Die Entfernung des Füllmaterials und eine Reinstrumentation erscheinen möglich.

• Eine gravierende iatrogene Veränderung der Anatomie scheint nicht vorzuliegen.

• Mindestens ein Wurzelkanal (db, eventuell auch mb2) ist nicht gefüllt und vermutlich auch nicht instrumentiert. Wird der Kanaleingang gefunden, ist auch hier eine Instrumentierung möglich.

Als vermutlich entscheidender, prognostisch limitierender Faktor sind weniger technische Probleme, sondern ist vielmehr die Parodontitis apicalis anzusehen.

Unter Berücksichtigung aller Faktoren und Aspekte erscheint die Revisionsbehandlung an Zahn 27 einfacher und Erfolg versprechender als die an Zahn 26 (Abbildung 7b).

Prognose

In einer systematischen Übersicht werteten Ng et al. [2008] 17 zwischen 1961 und 2005 publizierte klinische Kontrollstudien mit Daten zur Erfolgsquote endodontischer Revisionsbehandlungen aus, darunter fünf prospektive Untersuchungen. Wurden die Daten im Sinne einer Meta-Analyse gepoolt und neu berechnet, ergab sich eine Erfolgsquote von 76,7 Prozent. Eine detailliertere Analyse der zugänglichen Einzelfaktoren zeigte, dass vor allem die Präsenz einer Parodontitis apicalis, die Größe der Läsion und die präoperative apikale Extension der Füllung einen signifikanten Einfluss auf die Erfolgsquote aufwiesen. Einer Übersicht von Hepworth Friedman [1997] über ebenfalls 17 Studien zufolge, liegen die Erfolgsquoten überwiegend zwischen 70 und 80 Prozent. Perforationen senken die Erfolgsquote auf etwa 42 Prozent [Farzaneh et al., 2004]. War bei der Primärbehandlung die ursprüngliche Anatomie der Wurzelkanäle verändert worden, sank die Erfolgsquote von 86 Prozent auf 47 Prozent [Gorni Gagliani, 2004].

Unter Berücksichtigung aller Probleme, die bei Revisionsbehandlungen unter Umständen zu bewältigen sind, und des Benefits, den ein erhaltener Zahn für den Patienten mit sich bringt, stellt die orthograde Revi- sion postendodontischer Erkrankungen bei strenger Fallauswahl und sorgfältiger präoperativer Planung der Behandlung somit eine sinnvolle Therapieoption mit akzeptabler Erfolgsaussicht dar.

Zusammenfassung

Bei einer Revision werden im Grundsatz die gleichen Ziele wie bei einer endodontischen Erstbehandlung verfolgt:

• Entfernung allen infizierten Wurzelkanalinhalts,

• Desinfektion des gesamten Kanalsystems (einschließlich aller Ausbuchtungen, Isthmen und weiterer infizierter Hohlräume),

• Erneute Formgebung der Hauptkanäle,

• Obturation des gesamten Kanalsystems,

• Verhinderung der koronalen Reinfektion.

Dennoch stellt eine Revisionsbehandlung eine spezifische Therapieform dar, die sich in fast allen Einzelschritten (Zugangskavität, Desinfektion, Präparation und mehr) von einer Primärbehandlung mehr oder weniger deutlich unterscheidet. Die Revisionsbehandlung weist mit 60 bis 80 Prozent Erfolgsquoten eine akzeptable Prognose auf und sollte bei Auftreten postendodontischer Erkrankungen ernsthaft als Therapieoption diskutiert werden. Entscheidend für den Erfolg einer Revision sind neben der gründlichen (Re-)Desinfektion in erster Linie exakte präoperative Diagnostik, strenge Fallauswahl und penible Behandlungsplanung.

Prof. Dr. Michael HülsmannUniversitätsmedizin GöttingenGeorg-August-Universität Zentrum ZMKAbteilung Präventive ZahnmedizinRobert-Koch-Str. 4037075 Göttingenmichael.huelsmann@med.uni-goettingen.de

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