Die Wundertüte
Claudia Kluckhuhn
Selbst wer nicht postet, muss damit leben, dass andere im Netz über ihn reden. Das gilt nicht nur für uns privat. Auch Unternehmen und Verbände sind Subjekt wie Objekt der Netzkommunikation. Wie also umgehen mit der Dynamik sozialer Medien? Welche Do’s und Don’ts gibt es?
Zunächst bereichern Social Media die Welt der Kommunikation quantitativ wie qualitativ, meinte Adrian Hotz vom Institut für Handelsforschung (IfH): „Über soziale Netzwerke erzielen Sie Reichweiten, die über die klassischen Medien gar nicht denkbar sind.“ In Zahlen: Twitter hat, so Hotz, 700 000 Schreiber und 2,9 Millionen passive Nutzer. YouTube ist der erfolgreichste Kanal mit über 700 000 Abonnenten, nicht wenige davon noch Schüler. Über zwei Milliarden Videos werden dort weltweit jeden Tag angeklickt. Im Sommer kommt Facebook auf eine Milliarde Mitglieder. Allein am Neujahrswochenende wurden auf der Plattform 750 Millionen Fotos hochgeladen.
Nicht nur mehr Klicks
Social Media bieten aber nicht nur die Aussicht auf mehr Klicks auf der eigenen Web-site, betonte Hotz. Wer sie gezielt einsetzt, könne auch sein Image verbessern und Kunden, respektive Patienten, stärker an sich binden. Unverzichtbar dabei: die Strategie. Hotz: „Wichtig ist, dass man vorher seine Ziele definiert und in der Umsetzung vom Nutzer her denkt.“ Der wolle vor allem eins: seine bestehenden Kontakte pflegen und sich mit Freunden austauschen. Zahnärzten rät er, ihr Profil in Sachen Behandlung und Service herauszustellen. Im Übrigen werde das Internet regional: „Die Suche nach dem Zahnarzt erfolgt zunehmend via Google statt per Telefonbuch.“
Fast wie im realen Leben
Dass die One Voice Policy vorbei sei, postulierte Martin Schleinegge, Geschäftsführer der PR-Agentur Clever and Smart: „Social Media – ja oder nein, die Frage stellt sich nicht. Es wird ohnehin über Sie gesprochen!“ Im Unterschied zum analogen Zeitalter sei eine Kontrolle nicht mehr ohne Weiteres möglich. Auch Schleinegge empfiehlt, die Social-Media-Aktivitäten gut zu planen, sprich Themen zu setzen, Deeskalationsstrategien einzubauen, die Zielgruppe zu definieren und am Ende nachzuhalten: Was wird über uns geredet? „Social Media heißt Dialog statt Verlautbarung“, sagte Schleinegge. „Es ist wie im realen Leben: Man stößt auf sehr viele unterschiedliche Ansichten. Das Medium spiegelt letztlich die pluralistische Gesellschaft wider.“
Entscheidend ist für ihn, dass man eine entsprechende Kultur schafft: Gefragt sei weniger der Umgang mit Fakten, denn mit Emotionen. Natürlich müsse man im Vorfeld genau analysieren, was alles passieren könne und wo man verwundbar sei. Doch sei das Verhalten oft wichtiger als die Botschaft. Polemik und Beleidigungen dürfe man dabei getrost ignorieren, ohne dass man sich verdächtig macht, Kritik auszusitzen oder Fehler zu vertuschen. Social Media sei: diskutieren, partizipieren und – aufgepasst – zentral und schnell entscheiden. Schleinegge: „Der Web-1.0-Habitus ist passé!“ Was man immer bedenken sollte? „Das Internet vergisst nichts!“
„Unternehmen und Agenturen müssen erkennen, dass Social Media nichts anderes ist als das klassische Einmaleins der Kundenpflege in digitaler Form“, forderte Olaf Hoffjann, Professor für Medienmanagement an der Ostfalia Hochschule in Salzgitter. Social-Media-Experten seien wichtig, wenn es um die Beratung und die Implementierung von Plattformen geht – die tägliche Kommunikation mit dem Kunden beziehungsweise Patienten könnten sie den Unternehmern und Praxischefs aber nicht abnehmen.
Wir sind Social Media
Hoffjann: „Social Media ist nicht die Geheimwissenschaft einer Online-Elite, sondern ein Massenphänomen“. Fast drei Viertel der deutschen Onliner ab 14 Jahre gehörten mindestens einem sozialen Netzwerk an: „Wir sind Social Media.“ Er forderte die Öffentlichkeitsarbeiter aus Kammern und KZVen auf, nicht in Kampagnen, sondern in Kundenbeziehungen zu denken. „Kreative Feuerwerke sind gut und schön, aber Service und Information sind in den meisten Fällen wichtiger als Entertainment.“
Die Herausforderungen, denen Zahnärzte bei der Nutzung von Sozialen Medien in rechtlicher Hinsicht begegnen können, thematisierte der auf IT- und Medienrecht spezialisierte Berliner Rechtsanwalt Jan Mönikes von Schalast und Partner. Er wies darauf hin, dass hier neben allgemeinen Fragen von Verantwortlichkeit und Persönlichkeitsrecht besonders Datenschutzprobleme und das Berufsgeheimnis von Belang sind. Facebook ist seiner Meinung nach das einzige nicht-akademische Marketinginstrument, will sagen, das alle unabhängig von Herkunft und Bildung erreicht. Mönekes: „Sie haben heutzutage 30 Minuten Zeit, um zu verhindern, dass eine falsche Meldung um die Welt geht!“
Seine Erfahrungen mit dem Ärztenetzwerk Hippokranet schilderte Chefredakteur Jan Scholz, Vorstand des Ärztenachrichtendienst Verlags (änd). Gegründet 2001 bestehe Hippokranet mittlerweile aus etwa 50 000 Mitgliedern. Obwohl einer änd-Umfrage zufolge Ärztenetzwerke noch gar nicht richtig wahrgenommen werden, wolle sich mehr als jeder zweite Mediziner in sozialen Netzwerken beruflich engagieren. Außerdem gehen immer mehr Ärzte mobil ins Web, um sich fachlich auf dem Laufenden zu halten oder um Diskussionen unter Kollegen zu verfolgen, berichtete Scholz. Während allgemeine Netzwerke laut Scholz dazu dienen können, per Dialog neue Patienten zu gewinnen und ein Feedback zu erhalten, seien Ärztenetzwerke ein geschützter Raum. Scholz: „Hier findet gezielter Austausch mit Kollegen statt. Man hilft sich bei medizinischen Fragen, engagiert sich berufspolitisch und baut eigene Diskussionsräume auf.“
Von Zahnis für Zahnis
Was junge Zahnmediziner von Social Media erwarten, erläuterte Jan-Philipp Schmidt vom Bundesverband der zahnmedizinischen Alumni (BdZA) am Beispiel von alumni-groups.com, einem Netzwerk für ehemalige Zahnmedizinstudierende, und der geschlossenen Fachcommunity zahnigroups.de, die aktuell 4 831 Zahnmedizinstudenten erreicht.
Ziel war, den Unialltag zu organisieren, indem Studenten selber Prüfungstermine und -unterlagen zentral einstellen und verwalten. Entscheidend für den Erfolg seien unter anderem die geringen Vernetzungskosten beziehungsweise der geringe Aufwand. Auch die hohe Anzahl der möglichen Vernetzungsknoten spiele eine große Rolle. Dass die Plattform bei der Zielgruppe ankommt, liege hauptsächlich daran, dass sie – Stichwort Credibility – glaubwürdig ist. Die Studis wünschen sich, dass sie in ihrem Studium praktisch unterstützt werden – genau diese Erwartung wird erfüllt: Wissensaustausch, möglichst unkompliziert, immer unter der Wahrung von Datenschutz und Privatsphäre. Schmidt: „Unsere User identifizieren sich mit den zahnigroups, weil wir ihnen genau das bieten, was wir versprechen. Das heißt, sie dort abholen, wo sie stehen.“