Nichts oder alles auf einmal
Man ist gerade mitten in der Behandlung eines Patienten, plötzlich kommt die Zahnmedizinische Fachangestellte (ZFA) herein und will etwas wissen. Man überlegt kurz, antwortet und will dann wieder zur Behandlung zurückkehren – und zögert einen Augenblick, um zu überlegen, wo man gerade stehen geblieben war.
Oder man telefoniert gerade mit einem Patienten, erklärt aus Zeitmangel parallel der ZFA etwas und unterschreibt dabei noch Unterlagen – und sagt plötzlich zur ZFA etwas, was man eigentlich zum Patienten sagen wollte.
Zwei Beispiele, die sicher viele Zahnärzte aus der Praxis kennen, und zwei Beispiele, wie Arbeitsunterbrechungen und Multitasking sich im Alltag niederschlagen. Auch die Wissenschaft hat sich mit beiden Phänomenen beschäftigt.
Arbeitsunterbrechungen
Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) definiert in einer aktuellen Studie eine Arbeitsunterbrechung als „die Aussetzung einer ausgeführten Arbeitsaufgabe, die durch eine externe Quelle verursacht wird“. Sie führe zu einem Aufschub der eigentlichen Handlung, da eine ungeplante Aufgabe angefangen wird. Sie sei kaum vorhersehbar und auch zeitlich nicht zu steuern. Damit unterscheide sie sich von der vom Betroffenen bewusst gewählten Unterbrechung, um einer anderen Tätigkeit nachzugehen oder um eine Pause einzulegen.
Eine extern verursachte Arbeitsunterbrechung sei weder produktiv noch erholsam. Man gerate in eine unvorhergesehene Situation und stehe im schlechtesten Fall plötzlich unter Koordinierungs- und/oder Zeitdruck.
Insbesondere im Gesundheitswesen hätten Arbeitsunterbrechungen ein hohes Stresspotenzial, erklärt Dr. Matthias Weigl, Psychologe am Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin des Uniklinikums München. Wenn der (Zahn-)Arzt in seinem Zielhandeln, zum Beispiel der Versorgung eines Patienten, unterbrochen wird, werde seine Aufmerksamkeit auf dieses neue, zweite Ereignis gelenkt, mit dem er umgehen muss. Anschließend müsse er sich wieder auf seine erste Aufgabe konzentrieren. Dadurch könnten sich Zeitdruck und Informationen akkumulieren, was im Endeffekt Stress auslösen kann, erläutert Weigl. Andererseits: „Arbeitsunterbrechungen sind für eine schnelle, patientenorientierte Versorgung aber ein Stück weit nötig.“ Wenn sich der Mediziner um einen Notfall kümmern muss, sei dies eine notwendige Arbeitsunterbrechung seiner aktuellen Tätigkeit. Dies komme aber beispielsweise in der Notaufnahme eines Krankenhauses häufiger vor als in einer Zahnarztpraxis.
Multitasking
Auf Arbeitsunterbrechungen wird laut Weigl nicht selten mit Multitasking reagiert. Der Begriff stammt ursprünglich aus der Informatik und beschreibt das gleichzeitige Ablaufen von Prozessen. Nach Definition der BAuA bedeutet Multitasking, dass eine Person in einem begrenzten Zeitraum mit mehreren separaten Aufgaben beschäftigt ist, und nicht, dass sie mehrere Aufgaben gleichzeitig ausführt. Vielmehr werde zwischen den Aufgaben – oft im Millisekunden-Bereich – hin- und her„geschaltet“, wodurch der Eindruck der Gleichzeitigkeit entstehe.
Prof. Iring Koch, Kognitionspsychologe an der RWTH Aachen University, weist darauf hin, dass jede Bearbeitung von Aufgaben in Teilprozesse unterteilt sei, nämlich in die Wahrnehmung eines externen Reizes, in die Entscheidung, wie auf diesen Reiz reagiert werden soll, und schließlich in die daraus resultierende Handlung. Und das habe auch Auswirkungen auf das Multitasking. Denn zwei Entscheidungen parallel zu treffen, sei für das menschliche Gehirn viel schwieriger als beispielsweise die Wahrnehmung eines Reizes bei gleichzeitiger Handlung. Kurz gesagt: Je komplexer die Aufgaben beziehungsweise die Aufgabenteile sind, desto schwieriger fällt Multitasking.
Nach Angaben von Dr. Cora Dzubak, Erziehungswissenschaftlerin an der Pennsylvania State University, ist es möglich, seine Multitasking-Fähigkeiten zu verbessern, je öfter man es praktiziert. Das bedeute aber nicht, dass man mehr lernen, besser denken oder besser Probleme lösen würde. Multitasking könne jedoch helfen, die Langeweile zu brechen, die vor allem jüngere Leute bei einer längeren konzentrierten Arbeit empfinden. So könne das subjektive Stressgefühl gemindert werden. Speziell ältere Zahnärzte sollten daher im Umgang mit jüngeren Kollegen oder Angestellten bedenken, dass diese eventuell andere Arbeitsmethoden haben, also die Aufgabe häufiger wechseln.
Gesundheitliche Probleme
In der Arbeitswissenschaft werden laut BAuA Arbeitsunterbrechungen und Multitasking als psychische Belastungen angesehen – was nicht wertend gemeint sei, vielmehr könnten Belastungen auch als positive Herausforderung wahrgenommen werden. Problematisch werde es, wenn es zu Überforderungen kommt.
Denn Unterbrechungen könnten dazu führen, dass Aufgaben wieder von vorn begonnen werden müssen, weil man sich in ein Problem neu hineindenken muss. Das koste nicht nur Zeit, sondern könne auch zu Ärger, Stress und im schlechtesten Fall zu gesundheitlichen Problemen führen. Ähnliches gelte, wenn man häufig multitasken muss.
„Hoher Aufgabendruck bei gleichzeitigem Zeitdruck ist besonders stressig“, erklärt Koch. Wird der Stress am Arbeitsplatz chronisch, könne dies nach BAuA-Angaben zu Leistungs- und Konzentrationsstörungen, Nervosität, Schlafstörungen, Magen-Darm-Problemen und Bluthochdruck führen. Über eine längere Zeit könnten Herz-Kreislauf-Erkrankungen hinzukommen. Im schlechtesten Fall führe der Stress zu Burn-out und Depressionen.
Doch Arbeitsunterbrechungen hätten nicht nur auf das Wohlbefinden des Zahnarztes Auswirkungen, sondern auch auf das des Patienten, erläutert Weigl. Zum einen zeigten Studien, dass der Patient desto unzufriedener wird, je häufiger er im Behandlungsgespräch unterbrochen wird. Zum anderen hätten Unterbrechungen auch Auswirkungen auf die Patientensicherheit, sie könnten dazu führen, dass der Mediziner häufiger Fehler macht.
Gegenmaßnahmen
„Arbeitsunterbrechungen haben ihre Ursache oft in der ungenügenden Organisation einer Praxis beziehungsweise medizinischen Abteilung“, sagt Weigl. „Durch eine bessere Strukturierung können sie abnehmen.“ Will man die Unterbrechungen reduzieren, sollte man sich die internen Abläufe in der Praxis genauer ansehen: Wer unterbricht wen wie häufig? Dadurch ließen sich die hauptsächlichen Störungsquellen finden.
In einer (Zahn-)Arztpraxis ließen sich laut Weigl die häufigsten Unterbrechungen auf das Telefon, Kollegen und (zahn-)medizinische Fachangestellte zurückführen. Um die Störungen zu reduzieren, sollten feste Absprachen getroffen werden: Nur bei unmittelbar wichtigen Angelegenheiten lässt sich der Zahnmediziner in seiner Tätigkeit von einer ZFA oder einem Kollegen unterbrechen. Für nicht-akute Dinge werden feste Absprachezeiträume geschaffen, in denen Dinge besprochen werden können. Ergänzend rät Koch, Aufgaben möglichst der Reihe nach zu erledigen, insbesondere bei komplexeren Aufgaben. „Sonst entstehen ’Zeitkosten’, wenn man sich wieder neu in die Frage hineindenken muss.“ Solche „Kosten“ entstünden auch durch ungewollte beziehungsweise ungeplante Arbeitsunterbrechungen, zum Beispiel durch eine andere Aufgabe. Geplante Arbeitspausen wiederum hätten einen günstigen Einfluss auf die Leistung, weil sie Ermüdung vorbeugen, sagt Koch.
Wer die Möglichkeit zur Kompensation des durch Arbeitsunterbrechungen entstandenen Stresses hat – sprich die Gelegenheit, in Ruhe zu arbeiten – könne leichter mit Stress umgehen, erklärt Weigl. Außerdem sollte man in der Freizeit präventiv gegen Stress vorgehen, durch ausreichend Ruhe beziehungsweise Schlaf, regelmäßige körperliche Bewegung und gehirnanregende Tätigkeiten. Das komme im Endeffekt nicht nur dem Wohlbefinden des Zahnarztes, sondern auch dem seiner Patienten zugute. eb