Wenn morgen die Zahnfee bei mir vorbeikäme ...
Ich weiß – die Zahnfee ist eine sehr beschäftigte Frau mit einem unglaublich dichten Reiseplan. Rein statistisch ist es wahrscheinlicher, dem Weihnachtsmann über den Weg zu laufen als der Zahnfee. Der Weihnachtsmann muss die Kinder einmal im Jahr beglücken – die Zahnfee hingegen ist das ganze Jahr für alle Altersklassen beschäftigt. Aber für den Fall, dass ich der Zahnfee morgen begegne, bin ich darauf gut vorbereitet.
Mein vierter Wunsch wäre eine spürbare Reduzierung der Bürokratie. Auch wenn ich dafür einen kräftigen Obulus entrichten müsste, was ich sogar gerne täte (und viele meiner Kolleginnen und Kollegen sich sicherlich daran beteiligen würden). Mehr Zeit, meiner originären Aufgabe als Zahnarzt nachzukommen, mehr Zeit für die Familie, mehr Zeit, Mensch zu sein – hach, das wäre traumhaft!
Ein Wunsch: Die Dinge beim Namen nennen
Die ersten drei Wünsche sind ja bekanntlich kostenfrei, aber nichtsdestotrotz ähnlich im Ausmaß ihrer Bescheidenheit:
Mein allererster Wunsch ist, dass alle Kolleginnen und Kollegen in Deutschland die aktuellen Forschungsergebnisse von Professor Edzard Ernst aus Exeter (GB) wahrnehmen. Als niedergelassener Zahnarzt und somit aktiver Bestandteil unseres Public-Health-Wesens verspüre ich die Pflicht, fundamentale Erkenntnisse aus der Medizin weiterzugeben und dafür Sorge zu tragen, dass sich Verfahren und Meinungen, die sich als Scharlatanerie, als Irrglaube und als therapeutischer Unsinn herausgestellt haben, Edzard Ernst spricht deutlich von „bogus-therapies“, öffentlich auch als Scharlatanerie, als Irrglaube und therapeutischer Unsinn bezeichnet werden. Als Einstieg für Neulinge und Interessierte auf diesem Gebiet dient das hervorragende geschriebene Buch „Gesund ohne Pillen“ von Ernst/Singh. Das Buch ist steuerlich voll absetzbar.
Mein zweiter Wunsch ist, dass sich alle diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die sich trotz Hochschule nicht gut ausgebildet fühlen, und jene, denen unser Studium nicht genug praxisorientiert erscheint und denen, die um Fortbildung im esote- rischen Bereich nachsuchen, manche davon in ihrer Verzweiflung sogar eine Heilpraktiker-Lehre in Erwägung ziehen, sich darüber klarwerden:
- ob sie sich in unserer Stammdisziplin, der konservierenden Zahnheilkunde und Endodontie mit ihren zahlreichen Varianten und Möglichkeiten der ästhetischen Füllungsversorgung, der Inlay-Versorgung in verschiedenen Ausführungen, der Kanallängen-Messung mittels Echolot und anderen bunten Verfahren, langweilen;
- ob sie auf dem Gebiet der Zahnärztlichen Chirurgie schon alles gesehen haben: Resektionen, Re-Implantationen, Transplantationen, Implantate, Explantate, interdisziplinäre Versorgung von Risikopatienten und Tumorpatienten;
- ob sie mit Kieferorthopädie nichts am Hut haben und auch nichts am Hut haben wollen, weil sie die Kieferorthopädie ja schon im Studium nicht so recht verstanden haben und sie kleine und große Patienten mit Fehlstellungen und phonetischen Problemen grundsätzlich zum Kieferorthopäden schicken. Außerdem versteht doch wohl niemand die Abrechnung von kieferorthopädischen Leistungen wirklich, oder?
- ob sie das spannende und große Fachgebiet der Funktionsdiagnostik und Funktionstherapie für völlig überflüssig halten, weil sich ihre Kronen und Brücken schließlich schon seit Jahren und Jahrzehnten immer von selbst „einbeißen“? Weil Patientinnen mit larvierten Depressionen, die ihre Zähne als Projektionsfläche benutzen, um von eigenen Problemen abzulenken und in ihrer Verzweiflung oftmals unter höllischen Verspannungsschmerzen leiden, zielsicher zum Neurologen geschickt werden?
- ob sie das wunderbare Fachgebiet der Parodontologie und Parodontal-Chirurgie nebst „Soft-Tissue-Management“ mit ihren wahrlich ganzheitlichen Bezügen zur kardialen Gesundheit und zur Ästhetik des unverkrampften Lächelns nicht für so wichtig halten, weil schließlich jeder mal Zahnfleischbluten hat und „Gummy-Smile“ eine Kaugummimarke ist?
- ob sie die Totalprothetik verabscheuen, weil sie unterbezahlt und frustran ist und sie den Namen Alexander Gutowski noch nie gehört haben?
- ob sie das ganzheitlich wichtige Gebiet der forensischen Zahnmedizin ebenfalls verabscheuen, weil forensische Zahnmediziner eine (leider noch) zu kleine, vernachlässigte Randgruppe unserer Kollegenschaft sind?
Dankbare Patienten
Es ist wichtig, dass sich die Kolleginnen und Kollegen, die sich engagiert mit seriöser Zahnmedizin ihre Brötchen und mitunter auch prall gefüllte Crossaints hart erarbeiten, dass sich diese Kollegen am Wochenende von der ganzheitlich fordernden Tätigkeit erholen können, abschalten und relaxen können, damit die Ressourcen am Montag wieder aufgefüllt sind und sie sich der aufrichtigen Dankbarkeit ihrer Patientinnen und Patienten erfreuen können. Wegen unserer aufrichtigen Art haben wir einen hohen Zulauf. Zum Weihnachtsfest brauchen wir viel Kraft, damit wir all die vielen Geschenke von unseren Patienten ins Auto tragen können. Dafür ist jedes entspannte Wochenende wichtig. Es ist allemal besser, faul im Liegestuhl zu dösen, als in Kursen herumzusitzen, in denen für teures Geld Märchen erzählt werden von „biologisch, ganzheitlicher, komplementärer, homöopathischer, kinesiologischer und entgiftender Alternativ-Medizin“, nebst der kruden Theorie von „Restostitis“ und „Odontomen“ und „Chelat-Therapien“ die nicht einer einzigen seriösen Betrachtung standhalten.
Schutz vor Schröpfen
Mein dritter Wunsch ist es, dass Patientinnen über wirksame und seriöse Therapien aufgeklärt und geschützt werden vor Heilsversprechern im weißen Kittel, die außer dem Schröpfen der Geldbörse keinerlei weitere therapeutische Intention verspüren oder eine weitere Intention nur vorschützen. Dass die Patientinnen geschützt werden vor Kollegoiden, die mit zwei linken Händen Zuflucht in der Esoterik suchen und – einmal auf der esoterischen Uferseite angekommen – verloren sind für rationale Argumente, weil sie schließlich so viel Geld für Kurse bezahlt haben und dieses Geld wieder refundiert werden muss – egal wie. Es wäre schön, wenn Patientinnen (es sind meist Frauen, die darauf reinfallen) gewarnt würden, bevor sie sich im Glauben, eine Heilung zu erfahren, von Heilern (es sind meist Männer) einer üblen Manipulation unterzogen werden und dieses selbst nach eigener und besserer Erkenntnis aus Scham nicht zugeben können oder wollen. Es wäre schön, wenn der Gesetzgeber endlich auch für Heilpraktiker eine Dokumentationspflicht einführte, damit operative Eingriffe von Scharlatanen nicht folgenlos bleiben. Es wäre schön, wenn der Gesetzgeber eine Unterschrift für die Genehmigung von nicht nachweisgeschützter Medizin vorschriebe, weil eine Klage für Patientinnen gegen Heiler mangels festgelegter Standards bis dato leider immer noch nicht möglich ist.
Ich muss jetzt los – vielleicht treffe ich die Zahnfee.
Übrigens: wenn Sie nach seriös getaner Zahnarbeit das Verlangen verspüren, sich im Public-Health-Bereich für eine Verbesserung der Gesundheit einzusetzen: nur zu! Sie finden bestimmt etwas. Mir macht es jedenfalls sehr viel Freude. Schauen Sie doch mal rein: www.bcgh.de.
Dr. Hans-Werner Bertelsen
Ambulante Klinik am St. Joseph Stift
bertelsen@t-online.de
INFO
Dr. Hans-Werner Bertelsen
Der Autor studierte Zahnmedizin an der RWTH Aachen und arbeitet – nach verschiedenen fachberuflichen Stationen, unter anderem einem Auslandsaufenthalt in den USA an der University of Texas Health Science Center at Houston Department of Oral and Maxillo-facial Surgery – seit 1991 als niedergelassener Zahnarzt in eigener Praxis in Bremen.