Behandeln ohne Stolperfallen
Susanne Priehn-Küpper
Vorab: Senior ist nicht gleich Senior. Soziologen unterscheiden zwischen sogenannten „young olds“ oder auch „go goes“, wie die US-Amerikaner sie nennen. Diese Gruppe der Senioren ist zwar mehrheitlich im Rentenalter, aber noch körperlich fit, kulturell und gesellschaftlich sehr engagiert und meist auch sportlich aktiv. Sie achten auf ihr Äußeres und sind in ihrer Erwartungshaltung an eine Zahnbehandlung recht anspruchsvoll. Dasselbe gilt natürlich für die Praxis allgemein und den Umgang des Personals mit ihnen.
Die nächste Gruppe nennen die Engländer freundschaftlich „old olds“, auf Neuenglisch sind es die „slow goes“. Diese Senioren haben erste Gebrechen. Mal sind es die Augen, die nicht mehr so recht wollen, mal das Gedächtnis, wegen erster Symptome einer Altersdemenz, oder ein überstandener Infarkt oder gar Apoplex. Ihre Bewegungsfähigkeit ist eingeschränkt, das Hören reduziert, aber sie sind eigenständig genug, zur Kontrolle oder zur Behandlung die Zahnarztpraxis alleine aufzusuchen. Bisweilen kommen diese Senioren aber auch in Begleitung.
Die „very olds“ oder „no goes“ sind Patienten, die immobil sind und daheim oder im Pflegeheim betreut werden. Sie und ihre speziellen Bedürfnisse an eine Zahnbehandlung sollen hier nicht behandelt werden. In diesem Zusammenhang sei auf das Konzept zur vertragszahnärztlichen Versorgung von Pflegebedürftigen und von Menschen mit Behinderungen verwiesen, das mit verschiedenen Gremien erarbeitet und von der Bundeszahnärztekammer (BZÄK) und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) herausgegeben wurde.
Anforderungen an den Praxisauftritt
Es gilt: Auftritt, Anmutung und Einrichtung müssen beide Gruppen, die „go goes“ wie die „slow goes“ ansprechen – und genau darin liegt die Herausforderung. Die schicke Design-Praxis bietet zwar für den modebewussten Mittsechziger ein akzeptables Umfeld, aber auch ein Senior mit Gehhilfe sollte sich in derselben Praxis wohl, behaglich und vor allem sicher fühlen.
Eigentlich beginnt alles bereits mit dem Telefonbuch. Nur die Praxis, die im Ärzteverzeichnis auch für alte Augen noch gut lesbar ist, wird gefunden und aufgesucht. Das heißt also, bereits der Eintrag im Branchen-/Telefonbuch ist entscheidet darüber, ob auch alte Patienten, die auf der Suche nach einem neuen Zahnarzt sind, in die Praxis kommen. Denn nicht jeder Senior ist mit einem PC oder iPad ausgestattet oder ist der Recherche im Netz mächtig. Daher wäre die übersichtliche Ansicht im herkömmlichen Telefonbuch, gekoppelt mit einer Anfahrtsskizze optimal.
Dass ein auch für betagtere Online-User nicht zu komplizierter, aber für diese Zielgruppe ansprechender Auftritt im Netz eine zusätzliche Pflichtübung darstellt, versteht sich heutzutage von selbst und ist mit Unterstützung einer Online-Agentur sicherlich zu realisieren. Aber Vorsicht hierbei: Online-Kreative haben oft ausgesprochen progressive Ideen im Visier. Hier sollte der Auftraggeber genaue Vorgaben machen und vor der Endabnahme möglicherweise noch den einen oder anderen Senior dazu befragen.
Wenn nun der neue Patient in der Praxis anruft, ist es von Nutzen, wenn die Dame an der Rezeption nicht nur den Namen des Patienten und den Grund des gewünschten Zahnarztbesuchs notiert, sondern auch sein Geburtsjahr, die genaue Adresse und Vorerkrankungen erfragt. Hierbei handelt es sich zwar datenrechtlich um eine Grauzone, aber es ist sehr hilfreich für die Terminierung der Behandlungszeit. So ist ein unterzuckerter Diabetiker per se schon ein Risikopatient und der Patient mit sehr niedrigem Blutdruck ist besser mit einem Termin am späteren Vormittag bedient, wenn sein Kreislauf schon „angelaufen“ ist. Dasselbe gilt für alkoholabhängige Patienten, deren Abusus bekannt ist. Da bei Senioren der Alkoholkonsum auch in Deutschland inzwischen eine erschreckende Höhe erreicht hat, wie Foundation66 durch eine Umfrage ermitteln konnte, sollte auch dieser Gedanke in Erwägung gezogen werden.
1 000 Meter bis zur Tür
Es ist eine sinnvolle Investition, wenn nach der Terminvergabe der Patient von seinem neuen Zahnarzt umgehend Post erhält. Mit einem freundlichen Anschreiben in großer Schriftgröße kommt dann eine übersicht- liche Anfahrtsskizze zur Praxis ins Haus geflattert, auf der auch die Wegabstände zum Beispiel von der Haltestelle zur Praxis vermerkt sein sollten. Denn wenn die Assistenz am Telefon sagt, „dann ist es nur noch ein Häuserblock“, bedeutet das im Klartext für den Senior mit Gehhilfe schon fast sein kaum zu bewältigendes Tagespensum. Um Irrtümer zu vermeiden und den Blutdruck des zu Behandelnden nicht zusätzlich zu strapazieren, sind solche Angaben wichtig.
Wenn mit der Post als Anlage der Anamnesebogen mitgeschickt wird, schlägt man damit gleich mehrere Klappen. Denn so können der Partner oder die Kinder zu Hause beim Ausfüllen helfen. Auch die wichtigen Angaben zu den Medikamenten werden genauer und es kommt nicht zu Verwechslungen („Das bekam ich früher einmal.“). Es wird auch weniger vergessen. Patienten mit einer schwerwiegenden Vorerkrankung bekommen auf diese Weise die Gelegenheit, vorab mit ihrem Facharzt Rücksprache zu halten. Nicht zu unterschätzen ist auch der geringere Stressfaktor für den alten Menschen, wenn er seinen Anamnesebogen im häuslichen Umfeld ausfüllen und mehrmals nachlesen kann, als wenn er – auf den Knien balancierend – im Wartezimmer seine Kreuzchen in der falschen Reihe macht, weil die Lesebrille nicht dabei ist oder der graue Star die Zielsicherheit vermindert hat.
Der Leitfaden der BZÄK für die Behandlung von Senioren empfiehlt, umfangreiche Therapiemaßnahmen möglichst nicht in den Wintermonaten durchzuführen, um die „glatte“ Jahreszeit und damit die erhöhte Sturzgefahr zu vermeiden.
Nützlich ist es auch, mit einem zuverläs- sigen Taxiunternehmen Kontakt zu haben, das Gehhilfen und Rollstühle transportiert, dessen Fahrer den Patienten beim Aussteigen behilflich sind und sie sicher bis in die Wohnung geleiten.
Wunderbar, wenn eine Zahnarztpraxis über eigene Parkplätze verfügt, von denen aus man barrierefrei den Hauseingang erreichen kann. Dabei ist zu beachten, dass ein Mensch mit Behinderung die Autotür zum Aus- und Einsteigen ganz öffnen muss, der einzelne Parkplatz also entsprechend groß markiert und auch die Möglichkeit, einen Rollstuhl zu wenden, gegeben ist.
Nicht immer liegt die Praxis im Erdgeschoss, und selbst dann können unüberwindbare, einzelne Treppenstufen ein Hindernis sein. Eine sichere optische Markierung und möglichst beidseitige Handläufe (wichtig für Menschen mit halbseitiger Muskelschwäche oder Lähmung) sowie eine nachrüstbare Rollstuhlrampe machen es auch dem Rollstuhlfahrer möglich, seine Zähne behandeln zu lassen. Für Zwischengeschosse kann ein Treppenlift eingebaut werden, das ist heute problemlos im Innen- und im Außenbereich möglich.
Besser noch, es ist ein Aufzug vorhanden. Aber auch der kann zur „Seniorenfalle“ werden, denn nicht jeder ist schwindelfrei. Die Sturzgefahr ist dadurch stark erhöht.
Ein möglichst bis auf 60 Zentimeter Höhe angebrachter Spiegel macht es einem Rollstuhlfahrer möglich, rückwärts zu rangieren und hilft bei der Orientierung. Übrigens: Wichtig ist auch eine großzügige und aus der Sitzposition heraus lesbare Beschriftung im Aufzug, wo die Praxis zu finden ist. Eine weitere Hürde kann eine zu schwere Haustür mit sehr hoch angebrachten Griffen sein. Kein alter Mensch mit Stock, Gehhilfe oder gar sitzend im Rollstuhl vermag sie zu öffnen. Ein elektrischer aber langsamer(!!) Öffnungsmechanismus, gesteuert über die Lichtschranke, kann hier Abhilfe schaffen. Dass die Beleuchtung an der Haustür, im Treppenhaus und im Flur mit Sensoren geregelt ist, damit immer ausreichende Sicht vorhanden ist, versteht sich von selbst. Näheres für die Gestaltung von Räumen für Menschen mit Behinderungen regelt die DIN 18040. Bei Neubauten sollte sie berücksichtigt werden. Sie ist aber nicht in allen Bundesländern in die Baugesetze verankerte, verbindliche Vorschrift.
Das Entree
Der erste Eindruck ist entscheidend: Der Eingangsbereich sollte großzügig und übersichtlich gestaltet sein. Der neue „Gast“ muss sich auf den ersten Blick orientieren können. Sehr einladend ist es, wenn eine Mitarbeiterin ihn an der Tür empfängt, zur Garderobe begleitet und aus dem Mantel hilft. Wenn er dabei auch noch mit seinem Namen angesprochen wird, ist das sicherlich eine patientenbindende Maßnahme. Ein Rezeptionstisch, an dem man an einer Stelle dem Rollstuhlfahrer auf Augenhöhe begegnet, wird von diesem sicher gern gesehen. Zwei Stühle neben dem „Tresen“ laden zum Ausruhen nach dem Treppensteigen oder dem beschwerlichen Weg vom Bus in die Praxis ein. Zwei Stühle sollten es sein, da oft der Ehepartner als Begleitung mitkommt. Einer Begleitperson könnte angeboten werden, während der Wartezeit Besorgungen zu erledigen. Das bedeutet allerdings, dass das Praxisteam dann stärker auf den älteren Menschen achtgeben muss. Ist der Patient fertig behandelt und wird abgeholt, sollten Angehörige oder Betreuer erfahren, welche Behandlung durchgeführt wurde und welche Probleme möglicherweise dadurch zu Hause auftreten könnten, wie Nachblutungen, Druckstellen durch die neue Prothese, leichte Schmerzen nach Wurzelkanalbehandlung und mehr.
Der eine oder andere Patient hat auch schon vor dem Zahnarzttermin seine Einkäufe erledigt und ist dankbar, wenn er eine Tasche an der Rezeption „unterstellen“ kann. So muss er nicht mehr darauf aufpassen. Die Damen an der Rezeption müssen dann allerdings darauf achten, dass das „Gepäck“ auch wieder mitgenommen wird.
Eine Ecke am Eingang, in der der Rollator Platz findet, ein Angebot an Gehstöcken verschiedener Länge, mit deren Hilfe sich der Besucher einfacher und bequemer in den Praxisräumen bewegen kann, wären weitere sinnvolle Angebote, um dem betagten Patienten den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen.
Viele ältere Patienten haben ihren Lebenspartner verloren und sich einen Hund angeschafft. Der Weg zur Zahnarztpraxis bietet sich als mögliche „Gassi-Geh-Strecke“ an. Grundsätzlich muss jede Praxis klären, ob Hunde mitgebracht werden dürfen und wo sie während der Behandlung bleiben. Klar ist, dass sie bei operativen Eingriffen vor der Türe warten müssen. Aber was ist zum Beispiel mit dem Blindenhund? Diese Frage bleibt weiter ungeklärt. Eine „Hundebar“, auch vor der Tür, wäre eine nette Geste, ebenso stimmt ein bereitgehaltenes Leckerli auch den aggressivsten Hund freundlich.
Licht und Schatten
Die Beleuchtung sollte für eine blendfreie, helle, aber angenehme Atmosphäre sorgen. Strahler, die direkt auf den Patienten gerichtet sind, blenden und irritieren besonders die Senioren, die mit künstlichen Augenlinsen und dicken Brillengläsern leben. Störreflexe führen auch hier zu Orientierungslosigkeit, Unsicherheit im Gang und Sturzgefahr. Farblich gut markierte Verkehrswege in der Praxis, eine deutliche Beschriftung der Räume, eine markante Farbwahl der Türblätter – all das trägt zu einer für Senioren sicheren Praxisgestaltung bei.
Das "Patienten"zimmer
Wer eine neue Praxis einrichtet oder seine bisherige umgestaltet, muss sich viele Gedanken über die Einrichtung seines Wartezimmers machen. Viel besser ist es, Patientenzimmer an die Tür zu schreiben, soll es doch zur Kommunikation unter den Patienten dienen und nicht nur dafür da sein, um die Wartezeit zu überbrücken, was ja generell negativ besetzt ist. Alte Menschen sind oft einsam und dankbar, wenn sie bei Ärzten oder Zahnärzten Gleichgesinnte finden. Oft finden hier die einzigen Gespräche des Seniorenalltags statt. Wer ältere Patienten betreut, der weiß, dass diese nie „auf den letzten Drücker“ kommen, sondern es genießen, die eine oder andere Lektüre zu lesen und eben ein Schwätzchen zu halten.
Die Spielecke für die Kleinen sollte in der bisher praktizierten Form – Kiste mit Bausteinen und Spielautos – in der Seniorenpraxis nicht stattfinden (Vorsicht Stolperfallen!), sondern sich auf Kinderbücher und fest montiertes Spielzeug am Tisch oder an der Wand (Memory) beschränken. Kinder geben sicher Auskunft darüber, womit sie gern spielen würden.
Mehr in den Fokus rücken sollte die Frage nach der Aufteilung des Raumes in kleine Gruppen. Das gäbe älteren Patienten mehr Möglichkeiten, sich in intimeren Zweier- oder Dreiergruppen zu unterhalten. Dann sitzen sie enger beieinander, haben Blickkontakt und können sich akustisch besser verstehen, ohne durch das ganze Wartezimmer rufen zu müssen, weil alle aufgereiht an der Wand entlang sitzen.
Wichtig ist auch die Auswahl der Stühle. Der neueste Designerschrei tut nicht allen Seniorenrücken gut. Eine breite Sitzfläche ist wichtig, die auch den XXL-Senior nicht einklemmt. Da Menschen im Alter kleiner werden, dürfen die Stühle nicht so hoch sein, dass beim Sitzen der Fußboden mit den Füßen kaum noch erreicht wird. Das erschwert zudem das Aufstehen, denn dabei müssen sich die Füße schließlich abstützen können. Ist der Stuhl zu hoch, muss der Patient erst nach vorne rutschen, sich mit dem Oberkörper aufrichten, um dann mit den Fußspitzen an den Boden zu gelangen. Das ist sehr kräftezehrend und kann leicht zu Unfällen führen. Ist der Stuhl zu tief, kommt man nicht mehr heraus.
Die häufigsten Fehlkäufe bei Stühlen passieren deshalb, weil der Praxisinhaber seine zukünftigen Sitzstühle selbst ausprobiert, als 1,90-Mann, sportlich und ohne Gebrechen! Ein Tipp: Schwiegermutter oder die Eltern mitnehmen! Gut macht sich es auch, einige Stühle vom Einrichter zur Ansicht zu ordern und die Patienten selbst entscheiden zu lassen, worauf sie am liebsten sitzen möchten.
Der Patienten-Wartestuhl sollte unbedingt Armlehnen haben, die als Stütze zum Aufrichten dienen. Diese dürfen auch nicht zu dünn sein, sondern müssen für diesen Zweck eine gute Auflagefläche für die Hände bieten. Breite Armlehnen mit rundem, Knaufartigem Abschluss sind hier zu bevorzugen.
Wichtig ist auch ein guter, fester Stand. Klappstühle, wie sie in vielen Praxen anzutreffen sind, rutschen schnell weg, und der Unfall im Wartezimmer ist vorprogrammiert.
Die Auswahl der abonnierten Zeitschriften sollte altersgemäß sein, das heißt, die Gartenzeitung ist dem Modejournal mit jungen Models vorzuziehen.
Der sichere Tritt
Ein Teppich im Eingang signalisiert Behaglichkeit, wird aber schnell zur Stolperfalle, wenn der Rollator die Kanten hoch gebogen hat. Deshalb ist es besser, einen Bodenbelag zu wählen, der nicht zu glatt ist, nicht spiegelt und – natürlich – gut zu reinigen ist. Spezielle Schmutzfangmatten sorgen im Winter dafür, dass auftauende Schneeschuhe keine Pfützen und damit gefährliche Rutschbahnen hinterlassen. Wenn sie „draußen vor der Tür“ liegen, kann der Patient in Ruhe seine Schuhe abtreten, bis die Tür geöffnet wird. Dass zwischen den einzelnen Räumen in der Praxis keine Schwellen angebracht sind und man darauf achtet, dass die Türen breit genug sind, damit auch ein Rollstuhl hindurch kommt, ist ohnehin selbstverständlich. Hat der Innenarchitekt dieses Türproblem nicht berücksichtigt, hat sich mancher Praxisinhaber schon damit beholfen, einen schmaleren, für seine Türbreite passenden Rollstuhl anzuschaffen, in den der Patient umgesetzt werden kann. Dieses Umsetzen, gerade auch das Umsetzen in den Behandlungsstuhl, sollte mit dem gesamten Team durch einen erfahrenen Ergotherapeuten geschult werden, um Rückenschäden zu vermeiden, empfiehlt Prof. Ina Nitschke, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Alterszahnmedizin aus Leipzig und Zürich: „Hierbei sollte jeder Handgriff von jedem Praxismitglied sitzen!“
Kleiner Service nebenbei
Alte Menschen trinken zu wenig. Deshalb ist es sinnvoll, einen hygienischen Wasserspender in den Patientenraum zu stellen. Aber auch diese haben ihre Tücken: Ein alter Mensch ist nicht unbedingt allein in der Lage, eine Hand auf den Stock gestützt, dem Spender einen Becher zu entnehmen, ihn unter den meistens zu tief aufgestellten Hahn zu halten und dann auch noch einhändig zu bedienen. Das kann nur Pfützen geben! Wer Sprudelflaschen auf den Tisch stellt und einige Gläser dazu und die Mitarbeiterinnen diese immer wieder kontrollieren lässt, bietet einen besseren Service. Ganz besonders gut kommt es gerade auch im Sommer an, wenn direkt an der Anmeldung schon gesagt wird „Frau Seniora, Sie hatten heute ja schon einen anstrengenden Weg zu uns, darf ich Sie mit einem Glas Wasser erfrischen?“. Manchem Patienten und seinem Kreislauf tut am Morgen auch eine zweite Tasse Tee oder Kaffee gut.
Tabuthema Toilette
Ein von weitem gut lesbares Schild spart die Nachfragen nach dem stillen Örtchen, denn da Senioren öfter „müssen“, ist das in der Regel der erste Gang, bevor das Wartezimmer angesteuert wird. Wie die Toiletten in einer Zahnarztpraxis auszusehen haben, sprich Trennung von Personal- und Patientenbereich sowie die Verwendung von Einmal-Handtüchern, das ist vorgeschrieben.
Aber nirgends steht geschrieben, wie eine Toilette für Senioren ausgestattet sein muss. Wichtig ist generell ein geräumiger Raum, in dem auch ein Rollator oder gar ein Rollstuhl manövriert werden kann. Ein etwas erhöhter Toilettensitz, mindestens ein, besser zwei Griffe an der Wand, die das Hochziehen ermöglichen, sollten unbedingt den Toilettengang erleichtern helfen. Auch das Urinal mit Haltegriff wird dankbar akzeptiert. Toilettenpapier in Sichthöhe und gut greifbar angebracht – gilt auch für Ersatzrollen – verhindert gefährliche Verrenkungen. Der zu hoch montierte Seifenspender ist für Rollstuhlfahrer (und Kinder) nicht erreichbar und die moderne Mischbatterie ist genauso unpraktisch wie ihr Design schön ist, denn sie lässt selten klar erkennen, wie heiß das Wasser zu Beginn ist. Hier kann es sinnvoll sein, für die Sanitäreinrichtung den herkömmlichen Hahn mit heiß (rot) und kalt (blau) zu wählen, um Verbrühungen oder unnötiges Spritzen zu vermeiden. Besonders praktisch und natürlich am hygienischsten ist die Infrarot-Armatur, die heute als Standard auf öffentlichen Toiletten gilt.
Einfach und hygienisch, wenngleich auch etwas teurer sind sogenannte Hygienetoiletten. Die Hersteller haben sich hierzu unterschiedlich Praktisches einfallen lassen. Für Neueinrichtungen von Sanitärräumen ist die VDI-6000- Richtlinie informativ, die im Internet nachzulesen ist.
Ausblick
All das wird zukünftig immer bedeutender sein, damit Senioren , also „go goes“ wie „slow goes“, sich in der Zahnarztpraxis wohlfühlen.
Eine seniorengerechte Praxis, bei der möglichst viele dieser angesprochenen Einzelheiten beachtet wurden, am besten natürlich bereits bei der Neugründung oder bei der einen oder anderen Sanierung, wird auch dem „fitten“ stil- und qualitätsbewussten Senior gefallen. Wesentlich ist aber, dass die Umrüstung auf die Patientenklientel „65 plus“ allen gefällt und besonders für die „slow goes“ viel Bequemlichkeit und Mobilität bereitstellt, damit möglichst lange Eigenständigkeit erhalten bleibt und damit Lebensqualität erzielt wird.
Wenn dann noch ein deutliches „Ausgang“ an der Tür steht, dem Patienten in die Jacke geholfen wird, eine freundliche Dame fragt, ob denn der Heimweg geregelt ist und darauf achtet, dass nichts in der Praxis liegen bleibt, dann kann man sicher sein, dass dieser Patient gern wieder kommt. Und nicht erst, wenn er Schmerzen hat, sondern regelmäßig zur Kontrolle, damit auch im Alter seine gute Mundgesundheit zur Lebensqualität und zu seiner Zufriedenheit beiträgt.
INFO
Die Krux mit dem Gehör
Bei etwa 30 Prozent aller Menschen über 65 Jahren sind die Höreinbußen so gravierend, schreiben Nitschke et al. in Quintessenz Team-Journal 39 (2009) S. 183-193 und berufen sich dabei auf eine Publikation von M. Wiesner und C. Tesch-Römer über Hörgerätebenutzung im Alter in der Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie aus dem Jahr 1996, dass sie mit Hörgeräten versorgt werden müssen. In Deutschland leiden, so die Autoren, rund 20 Prozent aller Menschen (15 Millionen) unter Hörminderung, aber nur rund 2,5 Millionen tragen eine Hörhilfe. Sollte diese getragen werden, so werden Geräusche des Absaugens und des Bohrens sowie des Ultraschallgeräts eventuell zum Horror! Bitten Sie den Patienten oder seine Begleitung, eine niedere Empfindlichkeit einzustellen oder die Hörhilfe kurz abzuschalten.
Prof. Nitschkes Tipp: Lassen Sie die Mitarbeiterin bereits bei der Anmeldung durch geschicktes, interessiertes Fragen prüfen, ob eine Hörminderung vorliegt, was dann auf der Patientenakte vermerkt wird!
INFO
Thema Personal
Junges Personal ist vielleicht günstiger, aber die Mischung macht´s. So ist es gerade in der Praxis mit einer älteren Patientenklientel auch sinnvoll, ältere Mitarbeiterinnen zu beschäftigen. Denn oft sind nur sie für den Senior Vertrauenspersonen. „Wer will seine Prothesenprobleme schon gerne mit einer 20-Jährigen besprechen“, formulierte kürzlich Prof. Dr. Christoph Benz, München, Kammerpräsident Bayern und Vizepräsident der BZÄK sowie Fachmann für Alterszahnmedizin in einem seiner Vorträge.
INFO
Mobil behandeln
Wer seine Patienten über Jahre hinweg betreut hat, hat eine enge Arzt-Patienten-Bindung aufgebaut. Diese ist gegenseitig. Wenn die Patienten so gebrechlich geworden sind, dass sie zur Kontrolle oder zur Behandlung nicht mehr in die Zahnarztpraxis kommen können, ist es für sie nicht schön, wenn sie in Kollegenhände abgegeben werden. Viele Zahnärzte haben sich für solche Fälle bereits heute auf die Behandlung von bettlägerigen Patienten mit einer mobilen Behandlungseinheit ausgerüstet und wenigstens eine Assistenz eingearbeitet. Einige Kammern bieten diese sehr praktischen Geräte auch zum Ausleihen an.
Aber im Hinblick auf die Praxisstruktur der Zukunft tut man gut daran, sich schon rechtzeitig auch mit dieser Form der Behandlung seiner Patienten auseinanderzusetzen und sein Personal darauf vorzubereiten. Die Standesvertretungen kämpfen weiterhin um eine entsprechende Vergütung.
INFO
Leitfaden der Bundeszahnärztekammer
Grundsätzliche Problematik bei der zahnmedizinischen Versorgung von alten Menschen und Menschen mit Behinderungen:
• Verringerter Speichelfluss reduziert die Immunabwehr sowie die Remineralisation, was die Kariogenese fördert.
• Medikamenten-induzierte Oligosalie begünstigt die Entstehung von Druckstellen durch Prothesen, reduziert den perfekten Sitz von Totalprothesen und kann dadurch Schleimhautirritationen hervorrufen.
• Diabetes mellitus fördert Parodontopathien (und umgekehrt).
• Reduzierter Visus sowie reduzierter Geruchs-und Geschmackssinn fördern Hygienedefizite (auch des Zahnersatzes und des Restzahnbestands, soweit vorhanden).
• Gewöhnungseffekt (durch verminderte Sensibilität wie auch bei beginnender Polyneuropathie) verhindert Bemerken von Passungenauigkeiten des Zahnersatzes.
• zeitaufwendige Zahnarzt-Patienten-Kommunikation durch oft schwierige psychosoziale Situation, entstanden durch viele Lebensdekaden mit diversen Life-Events
INFO
Praxisservice für Senioren
Geschultes Personal, das gelernt hat, mit älteren Patienten umzugehen, ist für die Seniorenpraxis „Gold wert“. Hier einige Punkte, die einfach umzusetzen sind, aber unbedingt berücksichtigt werden sollten:
• den Patienten an der Tür empfangen, bei der Garderobe helfen, an seinen Platz im Wartezimmer begleiten
• Lektüre für das Wartezimmer auch seniorengerecht aussuchen (große Schriften und mehr)
• Zur Behandlung im Wartezimmer abholen, den Arm reichen, eventuell stützen
• langsam, laut und deutlich sprechen (Lautsprecheranlagen werden überhört)
• kurze Sätze formulieren, eventuell wiederholen
• Wasser anbieten, ganz besonders im Sommer
• freundlich erklären, wo sich die Toilette befindet
• Behandlungsplanungen, neue Termine mit deutlicher Schrift aufschreiben
• lange „Sitzungen“ unterbrechen, in kurzen Abschnitten behandeln
• Termine mit dem Patienten so absprechen, dass für ihn eine günstige Tageszeit getroffen wird
• nach der Behandlung wieder bei der Garderobe helfen; darauf achten, dass nichts vergessen wurde (Stock, Schirm und mehr)
• freundlich fragen, ob der Heimweg geregelt ist oder ob ein Taxi gerufen werden soll, und möglichst dafür sorgen, dass der Fahrer den Patienten in den Praxisräumen abholt und in die Wohnung begleitet