Ossifizierendes Fibrom im Unterkiefer
Keyvan Sagheb, Torsten Hansen, Christian Walter
Eine beschwerdefreie, 78-jährige Frau wurde zur Abklärung einer unklaren als Zufallsbefund entdeckten, radioopaken intra- ossären Raumforderung in Regio 34 bis 35 überwiesen. Klinisch waren bei einem teilbezahnten Restgebiss mit einer Rezession nach Miller-Klasse II des zweitgradig gelockerten Zahnes 34 keine weiteren Auffälligkeiten vorhanden. Es lag keine sicht- oder tastbare Raumforderung vor, die Mucosa war intakt und verschieblich. Die Zähne 34 und 35 reagierten vital und waren nicht perkussionsempfindlich.
In der anschließenden Schichtbildgebung mittels digitaler Volumentomografie zeigte sich eine annähernd runde, scharf begrenzte, zementdichte Masse mit einem radioluzenten Randsaum gegenüber der Wurzelspitze des Zahnes 34. Nach basal projizierte sich die Verschattung über das Foramen mentale (Abbildung 1). Die vestibuläre Knochenlamelle schien durch den Befund partiell anresorbiert, eine Auftreibung des Unterkiefers lag, korrespondierend zur Klinik, nicht vor (Abbildung 2).
Nach marginaler Inzision mit lateraler Entlastung an Zahn 34 sowie subperiostaler Präparation zur Darstellung des Nervus mentalis (Abbildung 3a), konnte nach Extraktion des nicht erhaltungswürdigen Zahnes 34, der circa ein Zentimeter große grau-weißliche, noduläre Tumor mit knochenfester Konsistenz (Abbildung 3b) problemlos aus dem Knochen herausgelöst werden (Abbildung 3c). Abschließend erfolgte die Kürettage der Höhle mittels eines scharfen Löffels. Der Defekt wurde mit Eigenblut und Kollagen gefüllt und plastisch gedeckt. Die histopathologische Aufbereitung ergab mit Fasergewebe und isomorphen Spindelzellen sowie reifen Knochentrabekeln mit regelhaften Osteozysten die Diagnose eines ossifizierenden Fibroms (Abbildung 4).
Diskussion
In der aktuellen WHO-Klassifikation der Kopf-Hals-Tumore wird das ossifizierende Fibrom zur Gruppe der Tumore und anderer Läsionen des Knochens gezählt [Barnes et al., 2005]. Da eine Unterteilung in zementierendes und ossäres Fibrom als Endpunkte des kontinuierlichen Spektrums der zemento-ossifizierenden Fibrome [Jundt et al., 2000] nicht mehr vorgenommen wird, werden diese Begriffe häufig synonym gebraucht [Barnes et al., 2005].
Beim ossifizierenden Fibrom handelt es sich um eine seltene, echte, benigne Neoplasie aus zellreichem, fibrösem Stroma mit variablem mineralisiertem Anteil [Barnes et al., 2005], was das radiologische Bild von der Osteolyse bis zum radioopaken Befund prägt. Es tritt am häufigsten im zweiten bis vierten Lebensjahrzehnt auf, bevorzugt bei Frauen und findet sich meist im Bereich des distalen Unterkiefers, kann aber auch multifokal vorkommen [Reichart et al.,2004]. Das juvenile trabekuläre und das juvenile psammomatoide ossifizierende Fibrom sind Subtypen, die hauptsächlich in der Maxilla respektive in den Nasennebenhöhlen auftreten [Barnes, et al., 2005].
Aufgrund der variablen Klinik und Patho-histomorphologie stellt das ossifizierende Fibrom für Pathologen und Kliniker nach wie vor ein diagnostisches und therapeutisches Problem dar. Das klinische Erscheinungsbild kann vom asymptomatischen radiologischen Zufallsbefund – wie in diesem Fall – und bei größeren Befunden bis hin zu ausgedehnten ästhetisch und funktionell beeinträchtigenden Läsionen variieren. Radiologisch dominieren scharf abgrenzbare zystischen Osteolysen mit unterschiedlich radioopaken Anteilen, bedingt durch den variablen Mineralisationsgehalt des Tumors. Histologisch ist neben einer Abgrenzung zur fibrösen Dysplasie eine Abgrenzung zum Osteosarkom nicht immer eindeutig [Freyschmidt et al., 2010]. Daher ist für die Diagnose die Zusammenschau von klinischem, histo- pathologischem und radiologischem Befund unerlässlich.
Die Therapie der Wahl beim ossifizierenden Fibrom ist die vollständige chirurgische Entfernung, da sich durch die langsame Wachstumsprogredienz funktionell und ästhetisch relevante Befunde entwickeln können. Hinsichtlich des Auftretens von Lokalrezidiven sowie potenzieller maligner Transformationen ist die Prognose als günstig einzustufen [Freyschmidt, 2010].
Der klinische Fall soll die differenzialdiagnostischen Schwierigkeiten enossaler Läsionen aufzeigen. Auch asymptomatische Zufallsbefunde bedürfen einer histologischen Abklärung sowie gegebenenfalls weiter- führender bildgebender Diagnostik, um in der Zusammenschau mit dem histopathologischen Befund eine sichere Diagnose zu garantieren.
Dr. Keyvan Sagheb, PD Dr. med. Dr. med. dent. Christian Walter, Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität, Augustusplatz 2, 55131 Mainz walter@mkg.klinik.uni-mainz.de
PD Dr. Torsten Hansen, Institut für Pathologie Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität, Langenbeckstr. 1, 55101 Mainz
Fazit für die Praxis
• Das ossifizierende Fibrom ist eine echte Neoplasie.
• Prädilektionsstelle für das ossifizierende Fibrom der Kopf-Hals-Region ist der seitliche Unterkiefer.
• Die Diagnose wird durch eine histologische Untersuchung in Kombination mit dem klinischen Befund gewährleistet. Hierbei sind differenzialdiagnostisch insbesondere die fibröse Dysplasie und das Osteosakrom von Bedeutung.
• Therapie der Wahl des ossifizierenden Fibroms ist die vollständige Entfernung, da sich durch die langsame Wachstumsprogredienz funktionell und ästhetisch relevante Befunde entwickeln können.