Die klinisch-ethische Falldiskussion

Behandlung Demenzkranker aus einem geriatrischen Pflegeheim

Heftarchiv Zahnmedizin
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Ina Nitschke
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Dominik Groß
Der vorliegende Fall diskutiert die Frage nach geeigneten Rahmenbedingungen der Versorgung demenzkranker, nicht- beziehungsweise eingeschränkt einwilligungsfähiger Bewohner einer geriatrischen Einrichtung durch Zahnärzte in einer der Klinik benachbarten Praxis.

Der Fallbericht:

Die Doktores SK, RM und LR führen seit einigen Jahren eine zahnärztliche Gemeinschaftspraxis in einer norddeutschen Großstadt. Die Praxis befindet sich in unmittelbarer Nachbarschaft einer geriatrischen Reha-Klinik mit angegliedertem Pflegeheim. Seit Kurzem wird das Kollegium durch den Zahnarzt Dr. GZ verstärkt, der bis dato als Oberarzt in einer Universitätsklinik gearbeitet hat. Seit circa zwei Jahren werden immer häufiger Patienten aus besagtem Pflegeheim in der Zahnarztpraxis zur Behandlung vorgestellt – etwa weil sie eine Füllung verloren haben oder weil die Ecke eines Zahnes abgebrochen ist und die Patienten in der Folge Aufbissbeziehungsweise Kälteempfindlichkeiten oder diffuse Schmerzen äußern. Manchmal handelt es sich auch um Patienten, bei denen eine Pflegekraft beim Waschen eine Auffälligkeit (wie fehlende Ecke, Prothesenriss, zunehmendes Zahnfleischbluten) entdeckt hat, ohne dass der Betreffende Beschwerden angibt. Die Patienten werden im Regelfall von einer Pflegekraft (teilweise mittels Rollstuhl) ins Wartezimmer gebracht und nach erfolgter Behandlung und einem Telefonat der Sprechstundenhilfe mit der Pflegestation wieder abgeholt. Eine Begleitung des Patienten durch ein Familienmitglied beziehungsweise den gesetzlich bestellten Betreuer erfolgt nur in seltenen Ausnahmen.

Häufig handelt es sich um kurzfristige Patientenvorstellungen, das heißt die Patienten kommen ohne Termin und werden „dazwischengeschoben.“ Einige dieser Patienten leiden an einer fortgeschrittenen Demenz, so dass das Aufklärungsgespräch entfällt oder nur pro forma – gleichsam für die Aktennotiz – durchgeführt wird. Üblicherweise werden die Patienten in derselben Sitzung bedarfsgerecht (etwa mit einer umschriebenen Füllungstherapie, einem Scaling, einer medikamentösen Einlage) versorgt. In vielen Fällen findet sich in den Akten kein Hinweis auf Namen und Kontaktdaten des gesetzlich bestellten Betreuers.

GZ beobachtet diese Praxis mit wachsendem Unbehagen und meldet in einer Dienstbesprechung ethische und rechtliche Bedenken an. Er verweist darauf, dass in der Zahnklinik keine Therapieentscheidungen getroffen und keine Behandlungen durchgeführt wurden, ohne dass zuvor entweder mit dem einwilligungsfähigen Patienten oder alternativ mit dem gesetzlich bestellten Betreuer ein Aufklärungsgespräch geführt und das therapeutische Vorgehen abgestimmt worden sei. Den Einwand der Kollegen, dass es sich doch um „Notfallsituationen“ handele, in denen man von der Aufklärungs- und Zustimmungspflicht befreit sei, will GZ nicht gelten lassen: Er entgegnet – nicht ohne Sarkasmus –, dass er allenfalls bei einem perimandibulären Abzess, nicht aber bei einem „Schneidekantenverlust im Schmelzbereich“ eine „Notfallsituation“ erkennen könne. Die Kollegen SK und RM bemerken daraufhin – ebenfalls nicht ohne Polemik –, dass er es nun eben erstmals mit dem „echten“ zahnärztlichen Praxisalltag zu tun habe, in dem man in Anbetracht voller Terminkalender und zusätzlicher unangemeldeter Patienten „pragmatische“ Lösungen zum Wohl aller Beteiligten finden müsse. Angesichts der angespannten Stimmung fassen die Kollegen den Beschluss, sich zu vertagen und bis zur nächsten Dienstbesprechung Vorschläge für ein festes Prozedere zu erarbeiten. Welches Vorgehen sollten sie künftig verabreden?

Dominik Groß und Karin Groß

Univ.-Prof. Dr. med. dent. Ina Nitschke, MPHZÄ Julia KunzeKlinik für Kaufunktionsstörungen, abnehmbare Rekonstruktionen, Alters- und BehindertenzahnmedizinUniversität ZürichPlattenstr. 11CH-8032 ZürichIna.Nitschke@zzm.uzh.chJulia.Kunze@zzm.uzh.ch

Univ.-Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Dr. phil. Dominik GroßInstitut für Geschichte, Theorie und Ethik der MedizinUniversitätsklinikum der RWTH AachenWendlingweg 252074 Aachengte-med-sekr@ukaachen.deProf. Dr. med. Dr. med. dent. Joseph KastenbauerBahnhofstr. 14, 84503 Altöttingjkastenbauer@t-online.de

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