Leitartikel

Marionettentheater

Sehr geehrte Frau Kollegin,

sehr geehrter Herr Kollege,

traurig, aber wahr: In der öffentlichen Wahrnehmung scheint es nach wie vor ein gewaltiger Unterschied zu sein, ob sich ein gewerkschaftlich organisierter Angestellter – ob an Flughäfen, bei Behörden oder in Unternehmen – oder aber ein freiberuflicher Arzt oder Zahnarzt um mehr Verdienst bemüht. Unzufriedenheiten über verspätete oder stornierte Reisen oder wegfallender Service werden in Deutschland eher toleriert als differenzierte Gespräche über den gesellschaftlichen Wert von Gesundheitsleistungen. Im Zweifel halten in dieser Frage Krankenversicherungen, gesetzliche Krankenkassen, Politik und öffentliche Verwaltung gemeinsamen Kurs. Diesen zu ändern ist allzu oft ein Unterfangen, das „ohne Netz und doppelten Boden“ verläuft.Dass gerade Patienten sich in diesen Diskussionen immer wieder von den Versicherern wie Marionetten führen lassen und bereitwillig die Rolle des willfährigen Versicherten einnehmen, der möglichst billig versorgt sein will, gehört ebenfalls zu dem immer wieder aufgeführten Schmierentheater.Die Ärzte spüren ganz akut, wovon ich schreibe. Sie stecken mitten in einer dieser üblen Inszenierungen, in denen man aufpassen muss, sich nicht in den Fäden zu verheddern, die Krankenkassen und andere Verwalter öffentlicher Gelder in diesem Theater ständig ziehen.Dass diejenigen, die das alles zum Wohle der Patienten und des Systems richten könnten, nämlich Politiker und Gesetzgeber, ein Jahr vor den nächsten Bundestagswahlen für die Ärzteschaft noch laut geben könnten, muss bezweifelt werden.Vor diesem Hintergrund können wir Zahnärzte, die wir in Zeiten weit vor den Wahlen eine veränderte GOZ voranbringen konnten, froh sein, das Ergebnis von sechs Prozent plus nach Hause gebracht zu haben. Denn die Verhandlungen um die neue Gebührenordnung für Ärzte finden unter ganz anderen, gar nicht mehr akzeptablen Bedingungen statt.Jetzt erfordert unsere gegenwärtige Situation,in der wir mit „einem Spatzen in der Hand dastehen“ – denn die GOZ-Reform war keine zufriedenstellende Reform –, eine nüchterne, pragmatisch orientierte Analyse und ein koordiniertes Vorgehen.Die Position der Ärzte, die Bemühungen um eine neue GOÄ vorerst ad acta zu legen, wirkt insofern auch eher aufgehoben, denn aufgeschoben, zumindest für diese Legislaturperiode. Was danach kommt, darüber gibt es zurzeit düstere Spekulationen, deren mittelbare Folgen sich langfristig dann wieder auf andere Bereiche auswirken können.Bisher ist zumindest für uns Zahnärzte die Sachlage noch eine andere: Wir können unsererseits mit dem Erreichten erst einmal arbeiten, noch dazu mit dem Bewusstsein, dass uns so belastende Probleme wie eine Öffnungsklausel vorerst erspart bleiben.Dass die BZÄK angesichts dieser keineswegs zufriedenstellenden Sachlage in der letzten Bundesversammlung beauftragt wurde, die unzureichende Reform auf Verfassungskonformität zu prüfen, war schon wegen der gravierenden Bedeutung für uns alle nur folgerichtig. Dass die von uns und von der Bayerischen Landeszahnärztekammer in Auftrag gegebenen zwei Gutachten zu dem Ergebnis kommen, nicht wir als Institutionen, sondern nur einzelne, betroffene Zahnärzte könnten gegen die Verordnung klagen – und das nur über den Weg durch alle Instanzen –, ist ernüchternd. Immerhin haben beide Gutachter eingeräumt, dass der Gesetzgeber mit dieser Verordnung seinen Gestaltungsraum weit überschritten hat. Aber das allein hilft vor Gericht genau so viel wie auf hoher See.Im Moment muss es also darum gehen, das Erreichte zu verteidigen. Alternativ zu den sechs Prozent plus in der GOZ steht die von der PKV den Ärzten als Erstangebot vor Verhandlungsbeginn in Aussicht gestellte Absenkung des Punktwerts um 25 Prozent.

Ich für meinen Teil bin heilfroh, dass wir es gemeinsam geschafft haben, den Berufsstand vor solchen Angeboten zu bewahren.

Mit freundlichen kollegialen Grüßen

Dr. Peter Engel

Präsident der Bundeszahnärztekammer

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