Gesundheit digital
Im Mittelpunkt der zweitägigen Konferenz standen die im Zuge der Digitalisierung veränderten Kräfteverhältnisse auf dem Gesundheitsmarkt. Am ersten Konferenztag präsentierten sich Anbieter digitaler Services, unter anderem die virtuelle Arztpraxis DrEd.com und das Übersetzungsportal für medizinische Befunde „Washabich.de“ (siehe zm 1/12 und zm 8/12). Tag zwei richtete den Fokus auf die Lage der etablierten Akteure, auf Chancen für Newcomer und auf die Partizipation der Patienten.
Schwerfällige Entwicklung
Die Digitalisierung verändere das Gesundheitswesen tiefgreifend, in vielen Bereichen schreite dieser Prozess allerdings nur sehr langsam voran, stellten die Teilnehmer des Panels „Die Macht der Digitalisierung“ geschlossen fest. Vor allem die Großen der Branche hätten Schwierigkeiten, effiziente Konzepte für die Einbindung digitaler Technologien umzusetzen.
Mit welchen Herausforderungen sich die Charité konfrontiert sieht, erläuterte Martin Peuker, stellvertretender IT-Leiter des Universitätsklinikums. Jährlich 740 000 Menschen würden dort behandelt, dabei falle eine riesige Datenmenge an. Um die Behandlungsabläufe zu optimieren, würde das Haus gerne alle Daten systematisch auswerten und jederzeit den digitalen Zugriff darauf ermöglichen. Momentan werden Peuker zufolge aber lediglich fünf bis zehn Prozent genutzt. Der Grund: „Würde alles digital vorliegen, entstünde ein riesiger Datenberg. Den entsprechenden Speicherplatz vorzuhalten und die Informationen intelligent zu verknüpfen, ist eine große technische Herausforderung“, erklärte der IT-Experte. „Zudem fehlen noch robuste Lösungen, was die Datensicherheit angeht. Schon die Nutzung mobiler Geräte wirft in diesem Zusammenhang Fragen auf. Etwa, wenn es darum geht, auf welches Netzwerk sie zugreifen sollen.“
Eine weitere Hürde sei, den anfallenden Arbeitsaufwand in den Klinikalltag zu integrieren. „Befunde, Labordaten und Röntgenbilder müssen erst einmal ins digitale Netzwerk gelangen. Das alles einzugeben, bedeutet einen überfrachtenden administrativen Prozess für Ärzte und Pflegepersonal“, merkte Peuker an. Dennoch bestehe bei den Ärzten großes Interesse an digitalen Angeboten. Auf der Wunschliste stehe beispielsweise eine Software, die ihnen einenschnellen Überblick über Kontraindikationen von Medikamenten bietet.
Beharrliche Strukturen
Dass die Digitalisierung im deutschen Gesundheitssystem nur schleppend anläuft, liegt laut Edgar Jakab nicht an einem Mangel an Konzepten oder guter Technik. „Das alles gibt es in Deutschland. Uns steht die Beharrlichkeit in bestehenden Strukturen im Weg. Die etablierten Organisationen bekommen einfach keine Luft für die Erprobung wirklich innovativer Ansätze“, sagte der selbstständige Unternehmensberater im Gesundheitswesen auf der FTD-Konferenz.
Die entscheidenden Impulse für technische Innovationen sieht Jakab aus der Gründerszene von spezialisierten Startups kommen. Der Fachkräftemangel werde diesen Prozess vorantreiben: „Ärzte werden in absehbarer Zukunft unter noch größerem Zeitdruck stehen. In dieser Situation wird das digitale Vorliegen von Daten ein Vorteil sein, weil sie die Behandlung vereinfachen.“
Als Vertreter aus der Startup-Szene saß Felix Rademacher im Panel. Auf der von ihm gegründeten Plattform Coliquio.de können sich Mediziner fachlich austauschen. „Viele Ärzte rufen Kollegen an, wenn sie bei bestimmten Krankheitsbildern einen Rat brauchen. Coliquio verlegt diese Gespräche ins Internet, wo der Wissensaustausch orts- und zeitunabhängig abläuft – und in viel größerem Umfang möglich ist“, erklärte Rademacher das Konzept des Portals. Ärzte könnten sich auf diese Weise in ihrer Behandlungsentscheidung bestärken oder ganz neue Methoden kennenlernen.
Die Macht der Massen
Wie sich Patienten immer mehr Einfluss verschaffen, thematisierte die zweite Diskussionsrunde. Vor allem über Bewertungsportale habe sich „die Masse“ Macht und Einfluss auf die etablierten Akteure gesichert, sagte Moderator Dr. Nikolaus Förster von der FTD. Tatsächlich agierten Krankenhäuser und Ärzte aufgrund der größeren Partizipation der Patienten heute wesentlich transparenter, waren sich alle Teilnehmer des Panels einig. Stefan Etgeton vom Internetportal „Weisse Liste“ bewertete diese Entwicklung als Zugewinn für das Gesundheitssystem: „Durch unser Portal erhoffen wir uns Auswirkungen auf das Qualitätsmanagement der niedergelassenen Ärzte und Kliniken.“
Dienstleister im Gesundheitswesen könnten von der Digitalisierung durchaus profitieren, urteilte Dr. Christian Stoffers, Abteilungsleiter Kommunikation und Marketing des St. Marien-Krankenhauses in Siegen. Die offene Kommunikation mit Patienten übers Internet, insbesondere über Social Media, ermögliche eine starke Positionierung am Markt – wie Stoffers aus eigener Erfahrung weiß. Das Siegener Klinikum ist seit 2007 auf Twitter unterwegs und hat eine Facebook-Seite, die es aktiv pflegt. „Aktionen des Krankenhauses, beispielsweise zum Monat der Darmkrebsvorsorge, konnten wir so wirksam bewerben“, so der Marketingchef. „Auf Facebook bieten wir unseren Patienten außerdem die Möglichkeit, unsere Leistungen zu bewerten. Dazu können dann wiederum die Fachärzte Stellung beziehen.“
Kritik souverän annehmen
Angst vor dem Druck der Massen habe das Klinikum nicht. Stoffers: „Indem wir Kritik zulassen und uns offen damit auseinandersetzen, beweisen wir unsere Souveränität.“
Susanne TheisenFreie Journalistin in Berlininfo@susanne-theisen.de