Eine spannende Welt
zm: Worin bestanden die Herausforderungen für Zahnärzte früher, welche sind es heute?
Dr. Peter Engel: Wir haben noch Zahnmedizin studiert mit dem klaren Ziel, eine Praxis zu gründen. Dieser Weg war sozusagen vorgezeichnet, es gab dazu keine Alternative. Heute können die jungen Kolleginnen und Kollegen darüber hinaus als Team eine Gemeinschaftspraxis eröffnen, sie können auch zunächst als Angestellte arbeiten. Wer Familie hat, sucht sich vielleicht lieber einen Teilzeitjob. Diese Freiheit besaßen wir nicht, allerdings belasteten uns auch nicht die wirtschaftlichen Unwägbarkeiten und die damit verbundenen Zukunftsängste.
zm: Warum tun sich die Kollegen heutzutage mit der Niederlassung so schwer?
Prof. Dietmar Oesterreich:Wir erleben, dass die Erwartung junger Zahnärztinnen und Zahnärzte heute eine andere ist: Berufszufriedenheit wird verstärkt durch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf definiert. Dies gilt nicht nur für unsere Kolleginnen, sondern auch zunehmend für unsere Kollegen. Trotzdem belegen Studien, dass die freiberufliche Berufsausübung Schwerpunkt bleibt. Dabei wird vermehrt auf Kooperationsformen gesetzt, aber in den Anfangsjahren auch ein Angestelltendasein bevorzugt.
zm: Was bedeutet dies für die Kammern?
Engel: Wir müssen die Interessen all unserer Mitglieder vertreten. Und die Zahnärzteschaft ist eben keine homogene Gruppe, sondern ein Querschnitt der Gesellschaft. Wir sind Zahnärzte mit eigener Praxis, angestellt, jung und alt, Frauen und Männer, mit Vollzeitjob und in Teilzeit. Unser Ziel ist, dafür zu sorgen, dass alle Kollegen von uns gut vertreten werden. Aufgabe der Selbstverwaltung wird zunehmend sein, Konzepte anzubieten, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtern. Nicht zuletzt sind die extremen Kosten bei der Praxisgründung ein Grund für die Zurückhaltung. Vorteile bieten die Übernahme von Praxen, aber eben auch Kooperationen. Auch das Studium an den Universitäten muss flexibler gehandhabt werden, damit junge Eltern ihre Ausbildung absolvieren können.
zm: Professoren und Studierende in Halle protestieren gerade gegen die Auflösung ihrer Fakultät. Wo steht die universitäre Zahnmedizin in Deutschland?
Prof. Christoph Benz: In der zahnmedizinischen Ausbildung spielt Deutschland in der Champions League. Wenn man diesen Fußballvergleich fortsetzen möchte, dann wird aber das Triple aus Lehre, Forschung und Finanzierung immer schwieriger zu erreichen sein. Die Bestrebungen in Halle stellen ein extremes Beispiel dar – intensive ökonomische Zwänge sind jedoch überall zu spüren. Das ist aber kein singuläres Problem der Medizin und der Zahnmedizin, sondern betrifft die Hochschulen insgesamt. Solange unsere Gesellschaft meint, dass das wichtigste Bildungsziel ein Hochschulstudium ist, werden immer mehr irgendwie studieren, aber nirgendwo wird das Geld mehr reichen.
zm: Sind private Universitäten wie Witten/Herdecke Leuchttürme, an denen sich die anderen Standorte orientieren sollten?
Benz: Es verdient Bewunderung, mit welch hohem Einsatz sich die Lehrkräfte in Witten ihre Finanzierung erkämpfen. Dadurch entstehen dann auch neue interessante Lehr- und Forschungsansätze. Wenn man jedoch den extremen Mangel öffentlicher Mittel zum Vorbild für alle Universitäten nehmen wollte, würden sich wohl kaum noch Hochschullehrer finden, die sich diesem ständigen Kampf stellen wollten.
zm: Wie bewerten Sie die Rolle der Zahnärzteschaft bei der Prävention? Und welche Ziele möchten Sie als nächstes erreicht wissen?
Oesterreich: Im Vergleich mit allen medizinischen Disziplinen besitzt die Zahnmedizin eine Vorbildfunktion und wird als beispielgebend zitiert. Wegen ihrer konsequenten Verbindung von Verhältnis- und Verhaltensprävention mit zielgruppenspezifischen Zuschnitten und einem klaren Setting-Bezug wird sie heute gleichgesetzt mit erfolgreicher Gesundheitsförderung und Prävention. Doch obwohl diese positiven Veränderungen in allen Sozialschichten ankommen, beobachten wir weiter große Unterschiede in der Karies- und Parodontitisverteilung. Wer in einem sozial schwierigen Umfeld lebt, bildungsfernen Schichten angehört oder einen Migrationshintergrund hat, besitzt ein erhöhtes Risiko für orale Erkrankungen. Hier sind mehr Maßnahmen für gesundheitliche Chancengleichheit mit oralem Bezug notwendig. Eine weitere Herausforderung: der noch unzulängliche Rückgang der Karies bei den Sechsjährigen. Außerdem wollen wir den Anspruch pflegebedürftiger und immobiler Patienten auf eine aufsuchende Betreuung im SGB V fixieren. Die Prävention bleibt Grundanliegen unseres Handelns.
zm: Eine Anmerkung zum Präventionsgesetz ...
Oesterreich: Vor dem Hintergrund der Erfolge der zahnmedizinischen Prävention lag unser Interesse darin, die Rahmenbedingungen zu erhalten. Bei der Anhörung zum Präventionsgesetz wurde sehr deutlich, dass die Zahnmedizin mit ihrer engen Vernetzung zwischen Verhaltens- und Verhältnisprävention hier sogar beispielgebend hätte sein können.
Diese Chance wurde leider vertan. Darüber hinaus war es unser Ziel, die Prävention für Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderungen zu verbessern, als auch verstärkte Präventionsansätze für die 0- bis 3-Jährigen einzuführen. Leider wurden diese Forderungen nicht aufgenommen. Generell muss man feststellen, dass trotz aller Erfolge die Zahnmedizin bei den Maßnahmen zur Gesundheitsförderung und Prävention nicht integriert wird. Dehalb muss es unsere Aufgabe sein – ob mit oder ohne Präventions-gesetz – für eine verstärkte Wahrnehmung der Zahnmedizin zu sorgen.
zm: Inwiefern haben Leit- und Richtlinien die Zahnmedizin verändert?
Benz: Richtlinien definieren die Spielregeln, unter denen Zahnmedizin von den GKVen honoriert wird. Hier ist der Einfluss auf die Umsetzung notwendigerweise groß. Leitlinien dagegen beschreiben den aktuell besten wissenschaftlichen Kenntnisstand in unserem Fach. Damit passiert eigentlich nichts anderes als mit Updates für unsere PC-Software: Unser Wissen aus dem Studium wird auf den neuesten Stand gebracht. So wenig eine gute Software ständig up- gedated werden muss, so wenig brauchen auch wir Hunderte von Leitlinien. Ich bin sicher, dass die Kolleginnen und Kollegen die wenigen Leitlinien, die es aktuell gibt und die es in Zukunft geben wird, gerne zur Kenntnis nehmen. Es macht einfach richtig Spaß, ab und zu zu schauen, wo man selbst steht.
zm: Welche Bereiche der Zahnmedizin profitieren besonders von QS und QM?
Benz: Viele Kolleginnen und Kollegen, die ihr Qualitätsmanagementsystem klar auf die eigenen Strukturen ausgerichtet haben, berichten mir, dass davon die ganze Praxis profitiert – vom Implantat bis zur Anmeldung, von der Füllung bis zum Beschwerdemanagement. Verwahren müssen wir uns jedoch deutlich gegen eine Überbürokratisierung. Wenn wir Lenin auch sonst nicht mehr allzu oft folgen wollen, dann macht auch dieses Zitat andersherum einfach mehr Sinn: Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser.
zm: Der BFB leidet unter Auflösungstendenzen. Braucht man die Freien Berufe heute noch?
Engel: Als Zahnärzte stehen wir zur Freiberuflichkeit. Dafür brauchen wir Verbündete – und einen BFB mit Vertretern aller Freien Berufe, um unserer Stimme mehr Gewicht zu geben. Die Vielfalt der Freien Berufe garantiert auch die Vermittlung der originär freiberuflichen Werte und verleiht uns die notwendige Glaubwürdigkeit gegenüber den europäischen Partnerorganisationen.
zm: Die Zahnärzteschaft unterhält eine Kooperation mit der UPD. Glauben Sie an den mündigen Patienten?
Oesterreich: Die Zahnärzteschaft hat sich mit dem Aufbau ihrer Patientenberatungen in den 90er-Jahren sehr zeitig mit der verstärkten Patientenorientierung auseinandergesetzt. Das traditionelle Arzt-Patienten-Verhältnis mit alleiniger Entscheidungssouveränität des Arztes ist einer partnerschaftlichen Beziehung gewichen. Dennoch bleibt eine Wissensasymmetrie.
Im Zentrum des zahnärztlichen Handelns steht der Patient. Das Vertrauensverhältnis zwischen Behandler und Patient ist wesent-liche Grundlage dieser Beziehung. Sie gilt es zu schützen. Aber auch immer wieder, sich dieses Vertrauens würdig zu erweisen. Somit muss der Berufsstand insgesamt, aber auch jeder Zahnarzt bei seinem Patienten täglich, eine regelrechte Vertrauensarbeit leisten.
zm: Der Zahnarzt gehört doch an den Stuhl. Warum liegt Ihnen das soziale Engagement des Berufsstands so am Herzen?
Oesterreich: Soziale Ungleichheit vor Ort, aber auch die Hilfsbedürftigkeit vieler Menschen in der ganzen Welt gehen zahlreiche Zahnärztinnen und Zahnärzte mit verschiedensten Projekten ehrenamtlich an. Die Zahnärzteschaft platziert sich damit in der Mitte der Gesellschaft und zeigt, dass sie nicht nur bei der Verbesserung der Mundgesundheit hervorragende Ergebnisse erreicht, sondern darüber hinaus ein aktiver Teil der Gesellschaft ist. Dieses soziale Engagement schafft ein neues und wirkliches Bild des Berufsstands als Konterpart zu den bisherigen Klischees.
zm: Wie hat sich das Berufsbild des Zahnarztes verändert?
Engel: Der Zahnarzt behandelt nicht mehr nur orale Erkrankungen, sondern aufgrund der erforschten Wechselwirkungen zu allgemeinen Erkrankungen sowie der Multimorbidität älterer Patienten, ist bei Diagnose und Therapie mehr und mehr sein Know-how als Mediziner gefragt. Vor dem Hintergrund von Basel III braucht er heute solide Kenntnisse in BWL, um eine Praxis zu gründen und zu finanzieren. Das Investitionsvolumen ist heute deutlich höher, einen Kredit zu erhalten, deutlich schwerer. Der Zahnarzt muss sich auch als „Praxismanager“ bewähren, der seinem Team flexible Arbeitszeiten bietet und dies koordiniert.
zm: Spielt der Teamgedanke in der Praxis heute eine größere Rolle als früher?
Oesterreich: Gerade mit der Umsetzung der zahnmedizinischen Prävention haben die Mitarbeiter in der Praxis deutlich an Bedeutung gewonnen. Zudem gibt es heute zahlreiche Anforderungen, sei es im QM, in der Kommunikation oder in der Praxisverwaltung, die kein Zahnarzt ohne ein qualifiziertes Team bewerkstelligen kann. In der Kommunikation mit dem Patienten haben viele Mitarbeiterinnen sogar eine besondere Aufgabe.
Erfolgreich eine zahnärztliche Praxis zu führen geht freilich nur mit einer klaren Rollenverteilung und einer klaren Teamstrategie. Der Zahnarzt muss dabei selbstverständlich seinen Führungsaufgaben nachkommen, jedoch auch Verantwortlichkeiten teilen. Die Delegationsgrundsätze bilden die Basis für die Tätigkeit am Patienten. Nicht zuletzt wird durch die stark frequentierten Fortbildungsangebote deutlich, dass die Mitarbeiterinnen sehr an Qualifikationen interessiert sind. Erfolgreich eine Praxis zu führen heißt im Team erfolgreich zu sein.
zm: Letzter Stand in Sachen AppO-Z ...
Benz: Der Vorschlag zur neuen Approbationsordnung sieht weitgehend identische Lehrinhalte in den ersten vier Semestern Allgemein- und Zahnmedizin vor. Einzelne Kultusministerien bemängeln nun, dass dadurch höhere Kosten in der Lehre oder weniger Studienplätze in der Allgemeinmedizin entstehen. Aktuell läuft eine Umfrage unter den Universitäten, ob sich diese Probleme mit einem neuen Vorschlag lösen lassen. Minister Daniel Bahr rechnet nicht damit, dass die AppO-Z in dieser Legislatur auf den Weg kommt. Eigentlich ist es nur noch traurig, dass die im Zuge der demografischen Entwicklung dringend notwendigen allgemeinmedizinischen Inhalte der Gesellschaft tatsächlich keinen Euro wert sind.
zm: Was kommt auf den Berufsstand zu?
Engel: Der demografische Wandel führt zunehmend zu finanziellen Engpässen im Gesundheitswesen – anhand der strittigen Debatten zur Priorisierung von Leistungen ist dieses Problem bereits sichtbar und gegenwärtig. Die Konvergenz der Systeme, die zu einem einheitlichen Versicherungsmarkt führen und den Wettbewerb zwischen den Krankenkassen systematisch unterbinden wird, ist eine weitere Gefahr. Denn wo Gesundheitsmonopole den Markt beherrschen, ist die freiberufliche Tätigkeit des Zahnarztes und damit auch die Versorgung der Patienten bedroht.
zm: Macht es überhaupt noch Spaß, ehrenamtlich für den Berufsstand tätig zu sein?
Benz: Wer Pessimismus sät, wird Misserfolge ernten, und für Pessimismus gibt es tatsächlich keinen Anlass. Dank des Engagements unserer Kolleginnen und Kollegen, der großen Einigkeit im Berufsstand und einer unaufgeregten aber druckvollen Standes-politik haben wir viel mehr erreicht als es der Größe unserer Berufsgruppe entspricht. Diesen Weg weiter mitzugestalten macht viel Spaß.