Begutachtung einer Zahnersatzplanung bei unklarem Patientenwillen
Der Fallbericht:
Zahnarzt Dr. E.J. hat im Auftrag der AOK eine ZE-Planung für einen gesetzlich ver- sicherten, gerade 17 Jahre alten Patienten zu begutachten. Beantragt werden drei keramisch vollverblendete Brücken im Seitenzahnbereich (15–17, 34–36, 45–47). Hintergrund der Planung ist der Wunsch nach einem Lückenschluss in allen drei Quadranten. Die Mundhygiene ist gut, der Biss stabil. Die vorhandenen Zähne sind ausnahmslos füllungs- und kariesfrei. Es fehlen lediglich die Zähne 16, 35, 37 und 46 sowie die Weisheitszähne. Die Zähne 17 und 47 weisen eine sehr starke Mesialkippung auf, die in den Regionen 16 und 46 jeweils zu Lückenverengungen auf Prämolarenbreite geführt haben. Die mesialen Randleisten liegen auf Gingivaniveau. Die zur Überkronung vorgesehenen Zähne sind ausnahmslos vital, klinisch fest und röntgenologisch ohne pathologischen Befund. Mesial an 17 und an 47 finden sich aufgrund der beschriebenen Kippung ein deutlicher Abfall der Alveolarkammlinie sowie eine parodontale (Pseudo)Tasche.
Vorgesehen ist die Eingliederung von drei jeweils vollverblendeten VMK-Brücken als private Therapieplanung („TP“). Als Regelleistung („R“) werden hierbei drei Vollgussbrücken und eine keramische Verblendung an 34 beantragt, so dass ein erheblicher Eigenanteil (circa 2 500 Euro) verbleibt.
Die Hauszahnärztin Dr. A.G. gibt in einem kollegialen Telefonat an, dass insbesondere die Eltern des Patienten auf einen prothetischen Lückenschluss gedrängt hätten und der Patient diese Position mittlerweile „übernommen“ habe. A.G. ist sich bewusst, dass die Präparation an 17 und 47 schwierig wird und dass es zu einer Devitalisation durch zu starken Substanzabtrag beziehungsweise zu einer mangelhaften Friktion aufgrund der mesial extrem kurzen Pfeiler kommen kann, traut sich die Maßnahme jedoch zu und merkt an, man könne im Bedarfsfall „ja eine endodontische Therapie anschließen“. Sie gibt an, über alle Risiken aufgeklärt und alternativ eine kieferorthopädische Lösung sowie eine Implantatversorgung diskutiert zu haben. Beides sei jedoch von den Eltern und in der Folge auch vom Patienten abgelehnt worden. Nach geltenden Richtlinien steht dem Versicherten ein Brückenersatz in allen drei Quadranten zu.
Wie sollte E.J. entscheiden? Den Gutachter beschäftigen vor allem drei Fragen:
• Wie geht er damit um, dass er es mit einem mutmaßlich entscheidungsfähigen 17-jährigen Patienten zu tun hat, der Wunsch nach einer prothetischen Versorgung aber – wie von der Hauszahnärztin mitgeteilt – primär von den nicht entscheidungsberechtigten Eltern ausgeht?
• Besteht im vorliegenden Fall überhaupt eine medizinische Indikation für den prothetischen Lückenschluss?
• Und ist es sozialethisch verantwortbar, die anteiligen Kosten für die geforderte Brückenversorgung der Versichertengemeinschaft aufzubürden?
Paul Schmitt und Dominik Groß
Dr. med. dent. Paul SchmittLiederbacher Str. 1765929 Frankfurtdr.paul_schmitt@web.de
Univ.-Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Dr. phil. Dominik GroßInstitut für Geschichte, Theorie und Ethik der MedizinUniversitätsklinikum der RWTH AachenWendlingweg 252074 Aachen
Dr. med. dent. Gisela TascherHolzer Platz 466265 Heusweilerkontakt@dres-tascher.de
Univ.-Prof. Dr. med. dent. Stefan WolfartKlinik für Zahnärztliche Prothetik und BiomaterialienUniversitätsklinikum der RWTH AachenPauwelsstr. 3052074 Aachenswolfart@ukaachen.de