Mundhygiene in Kindertagesstätten

Vereinzelte Putzmuffel

sf

Einige wenige Kindergärten in unterschiedlichen Regionen Deutschlands stellen das Zähneputzen wieder ein. Häufiges Argument: „Mit den unter Dreijährigen ist das nicht zu schaffen!“ Im Sommer könnte sich das Problem noch verschärfen. Dann greift bundesweit der Kitaanspruch ab dem vollendeten ersten Lebensjahr. Fest steht: Das Putzen in der Kita trägt zu gesundheitlicher Chancengleichheit bei.

Es scheint wie ein unglaublicher Rückschritt. Ein Fernsehbericht der RBB-Sendung „Klartext“ vom 30.01.2013 zeigte eine Kindertageseinrichtung im brandenburgischen Brück, in der das Zähneputzen eingestellt wurde. Ein Vater äußerte sich vor der Kamera: „Wir wurden überrascht von einem kleinen Zettel, dass das Zähneputzen abgeschafft wird, da es angeblich schädlich für die Zähne ist.“ Zuvor wurde in der Kita „Planegeister“ jahrelang geputzt. Die Argumente der Kitaleitung wirken fadenscheinig und klischeehaft. So würden die Kinder mit den Zahnbürsten die Spiegel putzen. Den Klassiker der vertauschten Zahnbürsten zieht die Leiterin auch aus dem Hut. Überzeugend wirkt sie dabei nicht. Angeblich ging die Initiative von den Eltern aus. Aufrechterhalten wird nun noch das gemeinsame Händewaschen. Der Leiter für Soziales im zuständigen Amt Brück, Lars Nissen, stellte den Nutzen der Maßnahme sogar grundsätzlich infrage. „Es gibt Gegner, die sagen‚ dreimal Zähneputzen am Tag ist zu viel. Man geht eigentlich davon aus, dass es zu Hause auch funktioniert, dass da morgens und abends geputzt wird“, erklärte er gegenüber dem RBB. Dagegen hält die Deutsche Gesellschaft für Kinderzahnheilkunde dreimaliges Zähneputzen mit fluoridierter Paste bei unter Dreijährigen für unbedenklich. Hygienische Bedenken können wiederum mit den Empfehlungen des Robert Koch-Instituts für Zahnbürsten in Kindergemeinschaftseinrichtungen (Stand 29.6.2012) relativiert werden. Schließlich hat die Maßnahme auch eine sozialkompensatorische Wirkung und trägt zu gesundheitlicher Chancengleichheit bei. Denn die KIGGS-Studie [2007] belegt, dass 55,9 Prozent der 0- bis Zweijährigen weniger als zweimal am Tag eine Zahnpflege erhalten. Sprich, längst nicht alle Erziehungsberechtigten nehmen die Mundhygiene bei ihren Kleinkindern ernst genug.

Das Gros der Kitas putzt

„Tägliches Zähneputzen ist aber in 93 Prozent der Brandenburger Kindertagesstätten der Standard“, weiß Dr. Gudrun Rojas vom Büro der zahnärztlichen Gruppenprophylaxe Brandenburg. Eine gute Zahl, wenn man bvedenkt, dass in dem Bundesland freiwillig motiviert geputzt wird. Und auch vor dem Hintergrund der Zielvorgabe der Bundeszahnärztekammer, wonach die Zahl der kariesfreien Sechsjährigen im Jahr 2020 bei 80 Prozent liegen soll.

In der Bundeshauptstadt gibt es dagegen eine schriftliche Vereinbarung mit dem Senat. Danach sind die Einrichtungen angehalten, mit den Kindern die Zähne zu putzen. Aber auch dort gibt es Außreißer – aus unterschiedlichen Gründen. Genaue Zahlen liegen nach Aussage von Rainer Grahlen, dem Geschäftsführer der Landes-arbeitsgemeinschaft noch nicht vor. Eine Zählung werde gerade vorgenommen. Dass Kitas das Zähneputzen einstellen, komme nach seiner Erfahrung vereinzelt und sporadisch vor. Im Fall eines Putzstopps würden die Einrichtungen angeschrieben. Grahlen geht davon aus, dass die Zahl der Kitas, die nicht putzen, nicht allzu groß ist.

In Sachsen spürt Birte Bittner, Geschäftsführerin der dortigen Landesarbeitsgemeinschaft für Jugendzahnpflege, bereits, dass durch das steigende Aufgabenpensum der Erzieher, etablierte und selbstverständliche Aufgaben wieder ans Elternhaus delegiert werden sollen. Bittner: „Ich gehe derzeit von 85 bis 90 Prozent der Kitas aus, in denen die tägliche Zahnpflege (noch) Usus ist, valide Zahlen für jede einzelne Kita in Sachsen habe ich jedoch nicht. Unser Programm und der Bildungsauftrag waren jedoch von Anfang an darauf ausgerichtet, dass in der Kita täglich geputzt wird.“

„Von Prophylaxefachkräften, aber auch von besorgten Eltern hören wir immer wieder, dass manche Kindergärten das Zähneputzen abschaffen oder jetzt im Zuge der Kleinkindbetreuung infrage stellen. Auch der Blick in einschlägige Elternforen zeigt, dass das Thema heiß diskutiert wird. Viele Eltern fordern das Zähneputzen in der Kita von sich aus ein. Die Gruppenprophylaxe vor Ort unterstützt die Kitas bei der Umsetzung“, erklärte die Geschäftsführerin der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Jugendzahnpflege e. V. (DAJ), Bettina Berg. Die DAJ hat in ihren aktuellen Empfehlungen klare Botschaften formuliert (Kasten S. 92).

Putzerfolge sind belegt

Dass die Maßnahme im Setting Kita Früchte trägt, zeigen Daten aus Unna. Dort leitet Dr. Claudia Sauerland den Zahnärztlichen Dienst. Sie vertritt auch die kommunalen Spitzenverbände im DAJ-Vorstand. Seit Beginn der gruppenprophylaktischen Anstrengungen im Kreis Unna wird in Kindertagesstätten für die tägliche Mundhygiene geworben. Sauerland erklärt: „Hier haben für uns in den letzten Jahren vor allem die Einrichtungen im Fokus gestanden, in denen die Kinder mit der meisten Karies anzutreffen sind. Von dem Drittel der Einrichtungen mit der höchsten Priorität konnten trotz solcher Erschwernisse wie HIV, Aufgabenverdichtung oder Schweinegrippe über die Jahre etwa 90 Prozent bei der Stange gehalten werden.“ Sie werden regelmäßig beraten und durch Lieferungen von Zahnputzutensilien unterstützt. Zur Sensibilisierung und Remotivation werden die Ergebnisse der zahnärztlichen Untersuchungen herangezogen. Erzieherinnen und Erzieher müssten grundsätzlich nicht davon überzeugt werden, dass Gewohnheitsbildung überwiegend im frühen Kindesalter statt-findet. Zudem werde ihnen verdeutlicht, dass sich Zähneputzen langfristig lohnt.

Über die bestehende Datengrundlage könne wichtige Überzeugungsarbeit geleistet werden. Sauerland: „Die longitudinalen Untersuchungsergebnisse aus den letzten Jahren zeigen, dass Kinder mit Neigung zur Karies, die im Kindergarten regelmäßig tägliche Zahnpflege betrieben haben, langfristig profitieren. Über einen Beobachtungszeitraum von drei Jahren hat sich gezeigt, dass bei 2 785 Kindern mit Karieserfahrung sich eine signifikante Reduktion des Karieszuwachses von etwa zehn Prozent eingestellt hat (Tabelle S. 91).

Auch aus der Sicht der Entwicklungspsychologie ist Zähneputzen in der Kita eine sinnvolle und angebrachte Maßnahme. Und das aus vielerlei Gründen, wie Prof. Dr. Christina Jasmund gegenüber den zm bestätigt. Sie lehrt an der Hochschule Niederrhein Pädagogik der frühen Kindheit. „Kinder lernen durch positive Verstärkung wie Lob und Anerkennung durch emotional wichtige Bezugspersonen. Erzieher und Erzieherinnen sind solche Bezugspersonen.“ Konkret funktioniere Lernen durch Imitation des Verhaltens der emotional bedeutsamen Bezugspersonen auf Basis von Spiegelneuronen als Explorationsverhalten der eigenaktiven Welterkenntnis. Jasmund: „Ständiges Wiederholen, über die Ritualisierung bis zur Automatisierung ist ein motorischer Lernprozess, der vieltausendmal durchgeführt werden muss.“ Aus soziologischer Sicht sei die Institution Kita ein Bildungsort, der verstärkende, aber auch alternative Verhaltens- und Wissensinformationen anbieten könne und Kindern somit Lernerfahrungen ermöglicht, die sie mitunter zu Hause nicht erleben. Schließlich beinhalten die Kitagesetze aller 16 Bundesländer den Bildungsauftrag zur Gesundheitsbildung und -förderung. Dazu zähle auch das Zähneputzen.

Das neue Kitajahr wird zeigen, wie die Kitas den erhöhten Arbeitsaufwand durch mehr unter Dreijährige in den Regionen bewältigen werden. Fest steht: Beim Mundhygienetraining für die Kleinsten sollte nicht gespart werden.

Info

Mundgesundheit in der Kita

Das sollte jede Einrichtung umsetzen:

• tägliches Zähneputzen nach einer der Hauptmahlzeiten; Kinder unter zwei Jahren putzen im Regelfall mit einer feuchten Zahnbürste ohne Zahnpaste. Der für die Gruppenprophylaxe verantwortliche Zahnarzt entscheidet nach Einschätzung des Kariesrisikos der Kinder über die Notwendigkeit eines spezifischen Programms und empfiehlt der Kita hiervon abweichend die Verwendung von fluoridhaltiger Kinderzahnpaste für unter Zweijährige.

• Kinder ab zwei Jahren putzen im Regelfall mit einer erbsengroßen Menge fluoridhaltiger  Kinderzahnpaste.

• Die Einrichtung unterstützt das Erlernen eines kindgerechten Zähneputzens, beispielsweise nach der „KAI-Methode“: Erst werden die Kauflächen gebürstet, dann die Außen- und die Innenflächen der Zähne.

• Die Kinder erhalten nur ungesüßte Getränke (Wasser und Kräutertees).

• Die Kita verzichtet wo immer möglich auf Nuckelflaschen und Trinklerngefäße; „neue Kinder“ werden, sobald sie selbstständig sitzen, an das Trinken aus dem offenen Becher herangeführt.

• Die Kinder nehmen ein gesundes, kauaktives Frühstück und gegebenenfalls Mittagessen ein; die regelmäßigen Zwischenmahlzeiten werden zuckerfrei gestaltet.

• Die Kita trägt die Kernbotschaften zur Mundgesundheit (siehe oben) in geeigneter Weise an die Eltern heran.

• Die Kita hilft mit, den Schnuller oder das Daumenlutschen im zweiten Lebensjahr abzugewöhnen.

• Die Kita kooperiert mit den anderen Akteuren in der Jugendzahnpflege.

Quelle: DAJ

Info

Beratung in Potsdam

In Brandenburg haben sich Ende Februar Vertreter des Gesundheitsministeriums, der Krankenkassenverbände, der Landeszahnärztekammer Brandenburg und der kommunalen Spitzenverbände getroffen. Dabei wurde das aktuelle Prophylaxeprogramm für das Land verabschiedet.

Konsens der Beratungen: Die Förderung der Kinder- und Jugendzahnpflege ist ein unverzichtbarer Bestandteil der Gesundheitserziehung in Kindertagesstätten und Schulen. „Dass Kinderzähne heute deutlich gesünder sind als noch vor Jahren, ist dem Engagement aller an der Umsetzung der zahnmedizinischen Gruppenprophylaxe Beteiligten zu verdanken“, so Gesundheitsministerin Anita Tack anlässlich der Beratung.

Emotionales Lernen in der Gruppe präge das Gesundheitsverhalten von klein auf. „Das angeleitete Zähneputzen in der Kita gehört dazu“, so Tack. Denn Zähneputzen gehöre zu den ältesten erlernten Kulturtechniken und müsse gemeinsames Anliegen von Eltern, Zahnmedizinern, Erzieherinnen und Erziehern sein.

Die unlängst veröffentlichten Ergebnisse eines wissenschaftlichen Kooperationsprojekts mit der Universität Jena zu Karies und möglichen Einflussfaktoren im Kleinkindalter hätten erneut die Bedeutung von Präventionsprogrammen bestätigt. So sollten Präventionsprogramme zur Reduktion der Karies bei Kleinkindern so früh wie möglich beginnen, flächendeckend aufgebaut und intersektoral ausgerichtet sein, um die gesundheitliche Benachteiligung von Kindern aus Elternhäusern mit niedrigem Sozialstatus zu kompensieren. Gruppenprophylaxe ab dem ersten Milchzahn zur Förderung der Mundgesundheit ist wichtig und möglich, wie auch die Erfahrungen mit dem Ernährungs- und Aufklärungsprogramm „Kita mit Biss“ zeigen. Die Vereinbarung zur Förderung der zahnmedizinischen Gruppenprophylaxe wurde 1993 unterzeichnet.

Info

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.