Agenda Mundgesundheit der KZBV

Die Gießkanne hat ausgedient

Gesunde Zähne – ein Leben lang, unabhängig von Herkunft und Disposition. Das ist die Vision der Vertragszahnärzte, dargelegt in der programmatischen „Agenda Mundgesundheit“. Voraussetzung dafür: eine lückenlose Präventionsstrategie und die tatkräftige Unterstützung aus der Politik.

„Für eine konsequente Prävention braucht die Zahnärzteschaft Versorgungskonzepte, die gezielt auf die speziellen Bedarfe der jeweiligen Zielgruppen abgestimmt sind“, erläutert der Vorsitzende der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV), Dr. Jürgen Fedderwitz. „Diese Maßnahmen beginnen heute aber zu spät und ziehen sich zudem nicht wie ein roter Faden durch. Die GKV bezahlt die Prophylaxe erst, wenn die Kinder drei Jahre alt sind. Entscheidend ist jedoch, wie unsere Karieszahlen belegen, dass die Prävention so früh wie möglich ansetzt, also mit der Schwangerschaft startet und bis zum Lebensende greift. Das Prinzip Gießkanne hat ausgedient!“

Seit der „Perspektive Mundgesundheit“ aus dem Jahr 2009 entwickelte die KZBV ihre präventionspolitischen Programme konsequent weiter und beschreibt in ihrem aktuellen gesundheitspolitischen Papier gangbare – und bezahlbare – Wege. Unangefochtener Mittelpunkt der Agenda: der Patient.

Alle exzellent versorgen

Worum es geht: Alle Patienten sollen auf Basis einer gesellschaftlich vereinbarten Grundversorgung den Zugang zum zahnmedizinischen Fortschritt behalten – und hochwertig versorgt werden. Ziel ist, die Zähne über das gesamte Leben hinweg gesund zu erhalten – möglich ist das laut KZBV aufgrund des großen technischen und fachlichen Fortschritts und weil man seit Jahren weg von der rein kurativen hin zu einer präventiven Zahnmedizin umsteuert.

Die KZBV rät, bewährte Strukturen zu erhalten, zu schützen und auszubauen, wie etwa das bestehende flächendeckende Versorgungsnetz. Oder das Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Arzt. Darüber hinaus im Fokus: die Freiberuflichkeit der Mediziner in Bezug auf Diagnose und Therapie sowie ihre unternehmerische Planungssicherheit. Grundlegend seien hier faire Wettbewerbsbedingungen auf dem Fundament kollektivvertraglicher Regelungen und verlässlicher Gebührenordnungen.

Besonderes Augenmerk wird auf den Lebensanfang und das -ende gelegt, da diese Phasen noch nicht adäquat zahnmedizinisch begleitet werden. Risikogruppen und Benachteiligte fallen ebenfalls durchs Netz. Die Early Childhood Caries (ECC) etwa ist bei vielen Kleinkindern ein riesiges Problem.

Engmaschigeres Raster

Zu kurz kommen auch Kinder und Jugendliche aus sozial schwachen Familien, weil die Prävention sie nicht erreicht. Und Menschen mit Behinderungen haben erwiesenermaßen eine deutlich schlechtere Mundgesundheit als der Durchschnitt: Auffällig sind eine höhere Kariesaktivität und schwerere Parodontalerkrankungen. Dass gerade diese Patienten dezidierte Behandlungsbedarfe und spezielle Versorgungskonzepte benötigen, stellt die KZBV in ihrer Agenda heraus. „Ausgerechnet die schwächsten Mitglieder unserer Gesellschaft rasseln durch das Raster der GKV-Versorgung“, illustriert der stellvertretende KZBV-Vorsitzende Dr. Wolfgang Eßer die derzeitige Situation.

Mit dem Versorgungskonzept „Mundgesund trotz Handcap und hohem Alter“ hat die KZBV zusammen mit der Bundeszahnärztekammer der Politik bereits konkrete Lösungen vorgestellt. Eßer: „Dieser Handlungsbedarf ist auch politisch anerkannt: Mit dem Versorgungsstrukturgesetz und dem Pflege-Neuausrichtungsgesetz wurden neue Leistungspositionen beschlossen. Der größere und spezielle zahnärztliche Behandlungs- und Präventionsbedarf bleibt aber bislang unberücksichtigt.“ Zwar habe die Politik das Thema Alters- und Behindertenzahnheilkunde sehr schnell aufgegriffen, dennoch reichten die Schritte noch nicht aus, um die Betroffenen konsequent zu versorgen.

Lücken schließen

Um diese Lücken zu schließen und die Ansprüche aus der von Deutschland ratifizierten UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen zu erfüllen, soll die Politik eine gesetzliche Grundlage schaffen und für diesen Personenkreis bedarfsadäquate, präventive Leistungen in den GKV-Katalog aufnehmen.

„Damit würden Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderung einen Leistungsanspruch auf bedarfsadäquate therapeutische und präventive Maßnahmen erhalten“, erläutert Eßer. „Das Konzept „Mundgesund trotz Handicap und hohem Alter“ nennt die gesetzgeberischen Schritte, die nun unternommen werden müssen.“

Frühe Karrieren verhindern

Unabhängig davon muss die Prävention natürlich frühestmöglich beginnen. Denn Karieskarrieren starten in der Regel viel früher, meist schon dann, wenn sich das Milchgebiss entwickelt. Gleichwohl, bemängelt die Zahnärzteschaft, gibt es für Kinder bis zum dritten Lebensjahr in der gesetzlichen Krankenversicherung keine spezifischen zahnmedizinischen Betreuungsangebote für Eltern und Kind. Und die rein beobachtende Betreuung durch Kinderärzte reicht aus ihrer Sicht nicht aus. Fedderwitz: „Die zahnmedizinische Betreuung von Babys und Kleinkindern muss besser werden! Die Karieszahlen (ECC) sind alarmierend.“

Damit bis 2020 insgesamt 80 Prozent der Sechs- bis Siebenjährigen kariesfrei sind – dieses Ziel hat die BZÄK auf Basis der Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und des Weltzahnärzteverbandes (FDI) für Deutschland formuliert –, müsse Karies so früh wie möglich bekämpft werden. Was bedeute, dass man schon die werdenden Eltern unter Einbeziehung von Gynäkologen und Hebammen im Rahmen der Schwangerschaftsberatung über Mundgesundheitsfragen aufklären und sobald der erste Milchzahn durchbricht, die Kinder systematisch zahnmedizinisch betreuen muss. Die KZBV hat zu dieser Problematik ein eigenes Konzept in Arbeit. Für die Praxis schlägt sie zudem vor, das Kinder-Untersuchungsheft um zahnärztliche Frühuntersuchungen zu erweitern.

Bekanntlich führen die Erfolge der Prävention zunächst dazu, dass immer mehr Zähne erhalten werden, auch solche, die eine parodontal oder kariös vorgeschädigt sind. Diese „Teeth at Risk“ müssen über den gesamten Lebensbogen betreut werden – zumeist mit erheblichem Erhaltungsaufwand. Um einer weiteren Verbreitung von Parodontitis entgegenzuwirken sind vorbeugende, begleitende sowie systematische unterstützende parodontale Therapiemaßnahmen notwendig. Allein via GKV seien diese Leistungen indes nicht finanzierbar, hier wäre die Solidargemeinschaft laut KZBV überfordert.

Die Gesellschaft bestimmt

Bleibt die Frage, was solidarisch finanziert wird – und was nicht. Fedderwitz: „Das ist auch ein ethisches Thema. Wie man GKV-Leistungen der sogenannten need dentistry von darüber hinausgehenden Therapien der want dentistry abgrenzt, muss die Gesellschaft diskutieren und letztlich auch entscheiden.“ Maßgeblich für den Berufsstand sei, soziale Härten zu vermeiden und stattdessen gleiche Chancen für ein zahngesundes Leben zu bieten.

Klar ist: Auf der einen Seite steht der Wunsch nach bestmöglicher Gesundheitsversorgung, auf der anderen der Zwang zu Begrenzungen. Die Zahnärzteschaft hat sich dieser Diskussion schon früh gestellt und Antworten gefunden: Die need dentistry deckt das medizinisch Notwendige über einen Grundleistungskatalog ab. Mit der Möglichkeit von Mehrkostenvereinbarungen und dem Festzuschusssystem für Zahnersatz steht den gesetzlich Versicherten aber auch die Tür offen zur want dentistry, die individuelle, oft ästhetisch motivierte Wünsche berücksichtigt. Ausschlaggebend ist, dass sich diese privaten Leistungen diametral von den Individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL) unterscheiden.

Fedderwitz: „Anders als bei IGeL sind in der want dentistry zwei Voraussetzungen immer vorhanden: Erstens muss eine Behandlungsnotwendigkeit gegeben sein und zweitens muss es sich um eine fachlich anerkannte Therapiealternative handeln. Ebenfalls Bedingung: Need dentistry und want dentistry spiegeln den Stand der wissenschaftlichen Forschung wider. Und entsprechend der gesetzlichen Vorgaben gehen die Leistungen der want dentistry über eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftlich notwendige Versorgung hinaus.“

Bei der Prävention und Nachsorge setzt die KZBV auf die Mitarbeit und Mitverantwortung der Patienten – und will diese mit entsprechenden Anreizsysteme fördern. Hier biete sich das Bonusheft als anerkanntes Instrument an.

Die Rolle des Patienten habe sich verändert, und zwar essenziell. Statt wie früher in einem paternalistisch geprägten System passiv Leistungen entgegenzunehmen, sei jener heute aufgefordert, selbst zu wählen und zu entscheiden. „Wir fordern und unterstützen den mündigen Patienten, der sich informieren und an Therapieentscheidungen partizipieren will“, bekräftigt der stellvertretende KZBV-Vorsitzende Dr. Günther E. Buchholz. „Denn wir Zahnärzte sind die natürlichen Anwälte ihrer Patienten und übernehmen eine Lotsenfunktion im Gesundheitswesen.“

Selbst ist der Patient

Jeder Zahnarzt habe seinem Patienten gegenüber eine Aufklärungs- und Informationspflicht. Dazu gehörten Auskünfte zu Befund, Diagnose sowie zum erwartbaren Verlauf der Erkrankung. Außerdem, so Buchholz, klärt er über Therapiealternativen auf, nennt deren Chancen wie Risiken und mögliche Kosten einer Behandlung. Über die Beratung in der Praxis hinaus haben die Zahnärzteorganisationen zusätzlich Patientenberatungsstellen eingerichtet und für den Bereich Zahnersatz eigens ein Zweitmeinungsmodell ins Leben gerufen. Buchholz: „Jedes Jahr werden so Tausende von Patienten beraten fachlich kompetent bei der Lösung ihrer Probleme unterstützt.“ Das Gutachterverfahren stelle in diesem Rahmen ein wichtiges und anerkanntes Instrument der Qualitätssicherung in der zahnmedizinischen Versorgung dar. Es gilt als beispielgebend für das Gesundheitswesen.

Impuls für den Nachwuchs

Qualitätssicherung und -förderung dienen den zahnärztlichen Praxen im Alltag dazu, die oralen Strukturen zu erhalten und wiederherzustellen. Mit dem Ziel, die Mundgesundheit und die Patientenzufriedenheit zu verbessern. Die Erwartungen der Patienten und ihre Mitarbeit spielen hierbei die zentrale Rolle. Denn im Mittelpunkt steht eben immer ihre qualitativ hochwertige Versorgung.

„Wir brauchen ein Gesundheitssystem, das diese Versorgung flächendeckend garantiert und eine Berücksichtigung der individuellen Patientenbedürfnisse ermöglicht“, resümiert Fedderwitz. „Voraussetzungen sind die freie Arztwahl wie auch der Ansporn für junge Menschen, den zahnärztlichen Beruf zu ergreifen.“

Info

Das ganze Leben gesunde Zähne

Die Zahnärzteschaft ist bestrebt, ihren erfolgreichen Präventionsansatz weiter auszubauen. Es sollte künftig der Regelfall sein, dass Menschen auch wenn sie alt sind ihre natürlichen Zähne und damit ein hohes Maß an Lebensqualität bis zum Ende behalten können.

Um dieses Ziel zu erreichen, will die KZBV ihre Präventionsstrategie über den gesamten Lebensbogen hinweg konsequent und mehrstufig einsetzen. In der Primärprävention gilt es, den Eintritt einer Erkrankung zu verhindern oder zumindest zu verzögern. In der Sekundärprävention geht es um die Früherkennung und Frühbehandlung von Erkrankungen. Und in der Tertiärprävention sollen Folgeschäden vermieden und das Wiederauftreten von Krankheitsbildern gehemmt werden. Versorgungsdefizite müssen frühzeitig identifiziert, thematisiert und gelöst werden.

Die Risikogruppen, die durch das Raster der gesetzlichen Krankenversicherung und ihrer Leistungen fallen, sind demnach bekannt. Gemeinsam mit der Wissenschaft erarbeitet die Zahnärzteschaft sukzessive zielgruppengenaue Konzepte, wie diese besser erreicht werden können.

Nun ist die Politik aufgefordert, mithilfe dieser Entwürfe die Versorgungsansprüche der Patienten gesetzlich zu verankern.

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