Unvollständige versus zweizeitige Kariesentfernung
Um die Gefahr einer Pulpaschädigung zu minimieren, steht bei tiefen kariösen Läsionen die zweizeitige Kariesexkavation als Behandlungsoption zur Verfügung. Dabei wird kariöses Dentin in der Tiefe der Kavität zunächst belassen und die Kavität provisorisch verschlossen. In einer weiteren Sitzung wird die Kavität wieder eröffnet, die Karies vollständig exkaviert und der Zahn definitiv versorgt. Ziel dieser Vorgehensweise ist, die Bildung von Reizdentin zu induzieren, um damit eine Pulpaeröffnung während der vollständigen Kariesexkavation zu vermeiden.
Die zweizeitige Kariesexkavation ist mit einem hohen zeitlichen Aufwand verbunden, da zwei Sitzungen für die Behandlung der kariösen Läsion benötigt werden. Zudem ist bei der Wiedereröffnung in der zweiten Sitzung noch immer die Gefahr einer Pulpaexposition gegeben. Daher wird zunehmend die Frage diskutiert, ob eine Wiedereröffnung der Kavität nach unvollständiger Kariesexkavation überhaupt notwendig ist. Forscher der Universität Rio Grande do Sul (Brasilien) führten hierzu eine Studie durch und untersuchten die Pulpavitalität von Zähnen nach zweizeitiger beziehungsweise unvollständiger Kariesexkavation über einen Zeitraum von drei Jahren.
Im Rahmen der Untersuchung wurden 299 Behandlungen (Gruppe 1: n = 147 zweizeitige Kariesentfernungen; Gruppe 2: n = 152 unvollständige Kariesentfernungen) an kariösen Zähnen bei 233 Patienten durchgeführt. Die Einschlusskriterien für die kariösen Zähne lauteten wie folgt: radiologische Läsionsausdehnung bis in die innere Dentinhälfte, positiver Kältetest, negativer Perkussionstest, Abwesenheit von spontanen Schmerzen und Abwesenheit von periapikalen Läsionen. Alle Kavitäten wurden exkaviert bis die peripheren Kavitätenwände gemäß Sondentest kariesfrei waren. Am pulpanahen Kavitätenboden wurde nur das stark erweichte Dentin mit Handinstrumenten entfernt. In Gruppe 1 wurde eine indirekte Überkappung mit Kalziumhydroxid-Zement durchgeführt, die Kavität nach temporärem Verschluss mit Zinkoxid-Eugenol-Zement über einen Zeitraum von 90 Tagen wiedereröffnet, die Karies vollständig exkaviert und der Zahn definitiv verschlossen. In Gruppe 2 wurde nach Applikation eines Glasionomerzements auf die pulpanahen Bereiche der Zahn mit einer definitiven Kompositfüllung versorgt. Nach drei Jahren wurde die Vitalität der behandelten Zähne getestet.
Insgesamt 213 Zähne (101 in Gruppe 1; 112 in Gruppe 2) konnten nachuntersucht werden. In der Gruppe der zweizeitigen Kariesexkavation, waren nach drei Jahren 69 Prozent der Zähne vital. Bei den Zähnen mit unvollständiger Kariesexkavation waren nach drei Jahren 91 Prozent der Zähne vital. Der Unterschied zwischen beiden Gruppen war statistisch signifikant. Der häufigste Grund für einen Misserfolg war in beiden Gruppen Pulpitis (Gruppe 1: 11 Fälle; Gruppe 2: 4 Fälle). In Gruppe 1 erschienen 17 Prozent der Patienten nicht zur vollständigen Kariesexkavation in der zweiten Sitzung. Bei diesen Patienten sank die Erfolgsrate der Behandlung auf 13 Prozent. Eine Weibull-Analyse zeigte, dass die unvollständige Kariesexkavation mit einem 75 Prozent geringerem Misserfolgsrisiko, im Vergleich zur zweizeitigen Kariesentfernung behaftet ist.
Die Ergebnisse der Untersuchung deuten darauf hin, dass es zur Vitalerhaltung der Pulpa nicht notwendig ist, eine zweizeitige Kariesexkavation durchzuführen. So hat, in Bezug auf die Vitalität der Pulpa, der definitive Verschluss einer unvollständig exkavierten Kavität eine signifikant höhere Erfolgsquote als die Wiedereröffnung der Kavität.
Quelle: Maltz M, Garcia R, Jardim JJ, de Paula LM, Yamaguti PM, Moura MS, Garcia F, Nascimento C, Oliveira A, Mestrinho HD: Randomized Trial of Partial vs. Stepwise Caries Removal: 3-year Follow-up. J Dent Res. 2012; 11: 1026-1031
Dr. med. dent. Gerd GöstemeyerCharité -Universitätsmedizin BerlinCharitéCentrum 3 für ZMKAbteilung für Zahnerhaltungskundeund PräventivzahnmedizinAßmannshauser Str. 4-614197 BerlinGerd.Goestemeyer@charite.de