Blick zurück nach vorn
Dass er einen schwierigen Job übernimmt, war Daniel Bahr von Anfang an klar. „Der Gesundheitsminister ist eine Aufgabe, bei der man für 80 Millionen Menschen in Deutschland große Verantwortung trägt. Ich freue mich auf die Aufgabe, aber ich weiß auch, wie schwer diese Aufgabe ist“, sagte der FDP-Politiker aus Münster in einer Videobotschaft zum Amtsantritt im Mai 2011. Fast zweieinhalb Jahre später ist seine Amtszeit vorbei, die Liberalen sind bei der Bundestagswahl im September mit nur 4,8 Prozent gescheitert. Erstmals seit Bestehen der Bundesrepublik sitzt kein FDP-Politiker im Bundestag. Auch Bahr muss gehen.
Mehr Patientenrechte
Was aber hat er in dem Amt erreicht, das er mitten in der Legislaturperiode von Philipp Rösler erbte. Daniel Bahr kann ein paar Erfolge für sich verbuchen, aber den großen Wurf schaffte er nicht, vor allem nicht bei seinem erklärten Ziel, einer Pflegereform.
Unter seiner Ägide wurde erstmals ein Patientenrechtegesetz (PatR-Gesetz) verabschiedet, das alle Rechte der Patienten in einem Gesetz bündelt. Bahr hoffte durch das Gesetz, das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient weiter auszubauen. Dabei hatte er ein Leitbild vor Augen: Der informierte, mündige Patient tritt dem Arzt auf Augenhöhe gegenüber. Patientenvertreter kritisierten das Gesetz trotzdem, weil sie die Rechte der Patienten bei Behandlungsfehler nicht genug ausgeweitet sahen. Die Zahnärzteschaft bemängelte vor allem die Ausweitung der Bürokratie, die durch das Gesetz entstand. Von ihr begrüßt wurde jedoch die von Bahr betriebene Abschaffung der Praxisgebühr zum 1. Januar 2013, die gerade im zahnärztlichen Bereich wenig Sinn machte.
Mit dem Versorgungsstrukturgesetz ist das Problem des Ärztemangels auf dem Land angegangen worden: Mediziner, die sich auf dem Land niederlassen, bekommen dafür mehr Geld. Es soll insgesamt dabei helfen, den tatsächlichen Bedarf besser zu planen. BZÄK und KZBV kritisieren jedoch, das zahnärztliche Belange in dem Gesetz nicht genügend berücksichtigt werden.
Fünf Euro „Pflege-Bahr“
Mit einem chronischen Problem des deutschen Gesundheitswesens musste sich Bahr nicht herumschlagen: marode Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung. In seiner Amtszeit stand die GKV glänzend da, aktuell kommen Kassen und Gesundheitsfonds über knapp 29 Milliarden Euro an Reserven. Das hatte der Minister einerseits der guten Konjunktur und dem guten Arbeitsmarkt zu verdanken, die die Einnahmen erhöhten, und andererseits seinem Vorgänger Rösler. Der hatte das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (Amnog) durchgesetzt, das ein Preismoratorium und einen Zwangsrabatt für Arzneimittel vorsieht. Unter Bahr wurde es nochmals verlängert – trotz Beschwerden der Pharmaindustrie.
Die dürften dem Gesundheitsminister wenig Bauchschmerzen bereitet haben – ganz im Gegensatz zur Organspende. Nach langem Ringen verabschiedeten sowohl Bundestag als auch Bundesrat die Entscheidungslösung als Reform des Transplantationsgesetzes. Demnach sollen alle Krankenversicherten ab 16 Jahren regelmäßig befragt werden, ob sie zu einer Organspende bereit sind. Kurz nach der Verabschiedung wurden aber Manipulationen bei der Vergabe um Spenderlebern bekannt, die sich auf immer mehr Kliniken ausweitete. In der Folge sank die Zahl der Organspende stark, auf Betreiben Bahrs eingeführte schärfere Kontrollen konnten die Spenderbereitschaft bis jetzt nicht wieder signifikant erhöhen.
Im Bereich der Pflege ist die angekündigte große Reform ausgeblieben. Zwar bekommen Demenzkranke erstmals Leistungen aus der Pflegeversicherung. Doch am stärksten im Gedächtnis dürfte hier der „Pflege-Bahr“ bleiben, der eine privat abgeschlossene Pflegeversicherung mit fünf Euro bezuschusst. „In der Pflegeversicherung ist es leider nicht zu der notwendigen grundlegenden Reform gekommen“, sagte Doris Pfeiffer, Vorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, gegenüber „Zeit online“. Eine wirkliche Lösung für die langfristige Finanzierung angesichts einer steigenden Zahl Pflegebedürftiger ist der „Pflege-Bahr“ nicht.
Reform von GKV und PKV
Es gibt also noch einiges zu tun für den kommenden Gesundheitsminister – ob dieser nun schwarz, grün oder rot sein wird. Bei jeder möglichen Koalition, ob Union und SPD oder Union und Grüne, wird die Zukunft der Krankenversicherung auf den Prüfstand gestellt. Sozialdemokraten zogen beide mit dem Versprechen einer Bürgerversicherung in den Wahlkampf. Diese wird aber am Widerstand der Union scheitern. Wahrscheinlicher und auch notwendig ist eine Reform des bestehenden dualen Systems aus GKV und PKV. KZBV und BZÄK sprechen sich für die reformierte Dualität aus, also eine maßvolle Weiterentwicklung des bestehenden Systems. Die GKV soll durch einen Umbau der Finanzierung generationengerechter, die PKV durch eine mögliche Übertragung der Altersrückstellungen sozialer und wettbewerblicher werden.
Nachdem die große Pflegereform unter dem Minister Bahr nicht geklappt hat, ist sie ein großer Posten auf der Aufgabenliste des neuen Ressortchefs. Bei einer immer älter werdenden Gesellschaft und zunehmenden mentalen Erkrankungen wie Alzheimer und Demenz ist ein Umbau der Pflegeversicherung, die hauptsächlich auf körperliche Krankheiten ausgerichtet ist, dringend notwendig. Zwar bekommen seit diesem Jahr Demenzkranke erstmals überhaupt Leistungen, doch das reicht für eine angemessene Versorgung noch nicht aus. Eine Überarbeitung der Pflegestufen ist angezeigt. „Die vor uns liegenden Herausforderungen in der Gesundheitspolitik sind enorm, unsere Gesellschaft des langen Lebens will eine gute gesundheitliche Versorgung und Teilhabe am medizinischen Fortschritt“, findet auch Prof. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer.
Auch die Finanzierung der Krankenhäuser könnte der neue Gesundheitsminister auf den Prüfstand stellen. Die Hospitäler sind mit Abstand der größte Ausgabenposten der Krankenkassen, 2012 waren es 62 Milliarden Euro. Zudem gibt es Anzeichen, dass durch die Fallpauschalen mehr operiert wird als eigentlich notwendig ist.