Vererben mit Bedacht
Allein in diesem Jahr werden in Deutschland 254 Milliarden Euro vererbt. Bis 2020 steigt diese Summe sogar noch weiter an auf rund 330 Milliarden Euro pro Jahr. Von den 12,4 Millionen Deutschen, die heute 70 Jahre und älter sind, werden in diesem Jahrzehnt in rund 5,7 Millionen Erbfällen voraussichtlich insgesamt 2,6 Billionen Euro an die Nachkommen oder andere Personen und Institutionen fließen.
Diese Zahlen kennen auch gemeinnützige Organisationen wie zum Beispiel Ärzte ohne Grenzen, Greenpeace, SOS-Kinderdörfer oder die Johanniter Unfallhilfe. Aufwendige Hilfsaktionen kosten sehr viel Geld, das sie allein aus Spenden rekrutieren müssen. Schon länger werben sie nicht nur auf ihren Internetseiten darum, bei Erbschaften bedacht zu werden. Einige wagten jetzt einen erneuten Vorstoß und riefen mit Unterstützung des Deutschen Fundraising Verbands die Aktion „Mein Erbe tut Gutes“ ins Leben. Dahinter steht der Gedanke, dass ein großes Vermögen auch Verantwortung für die Allgemeinheit bedeutet.
Eine Umfrage der Gesellschaft für Konsumforschung GfK zeigt, dass es einen wachsenden Bedarf gibt, mit seinem Erbe nicht nur nahestehende Familienmitglieder zu bedenken, sondern auch Gutes zu tun. Dr. Matthias Buntrock, Geschäftsführer des deutschen Fundraising Verbands, meint: „Die Menschen werden immer älter, sammeln immer mehr Vermögen an, das sie vererben können. Doch die meisten Begünstigten benötigen das Erbe für ihren Lebensunterhalt nicht.“
Jeder Zehnte, der über 60 ist, kann sich vorstellen, einen Teil seines angesammelten Vermögens auch einem guten Zweck zugutekommen zu lassen. Nur wissen viele nicht, wie sie ihren Nachlass entsprechend gestalten sollen. Soll das Vermögen wunschgemäß aufgeteilt werden, muss unbedingt ein ordentliches Testament erstellt werden. „Deshalb“, so Buntrock, „ist es uns auch ein Anliegen, die Erblasser dazu aufzufordern, einmal gründlich über Erben und Vererben nachzudenken.“
Bürgerliches Gesetzbuch schützt Verwandte
Wenn kein Testament vorhanden ist, gelten automatisch die Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Sie setzen voraus, dass der Erblasser vor allem seine nächsten Angehörigen bedenken möchte und zwar in dieser Reihenfolge:
1. Ordnung: erst Kinder beziehungsweise Adoptivkinder, dann die Kindeskinder, also die Enkel
2. Ordnung: erst Eltern, dann Geschwister und deren Abkömmlinge
3. Ordnung: erst Großeltern, dann deren Abkömmlinge
4. Ordnung: erst Urgroßeltern, dann deren Abkömmlinge
Umgesetzt in die Praxis bedeutet das: Verwandte einer vorhergehenden Ordnung gehen vor. So erben die eigenen Kinder vor den Enkeln, Ehegatten oder eingetragene Lebenspartner erben neben den Verwandten der ersten und der zweiten Ordnung. Gibt es keine Verwandten mehr, geht das Erbe an den Staat. Sogenannte Pflichtteilsberechtigte sind vor allem Kinder und Ehepartner. Dieser Anspruch steht ihnen auf jeden Fall zu, auch wenn sie im Testament nicht benannt sind.
Wer also sein Vermögen selbstbestimmt verteilen möchte und neben der Verwandtschaft eventuell außerfamiliäre Personen oder auch gemeinnützige Organisationen bedenken will, sollte unbedingt ein ordent-liches Testament machen. Einfach zum Beispiel die SOS Kinderdörfer als Alleinerben einzusetzen, wird nicht funktionieren. Dazu Buntrock: „Viele Menschen beachten die gesetzlich vorgeschriebene Erbfolge nicht. Für die bedachte Organisation ist das nicht sehr angenehm. Sie gerät leicht in den Ruf der Erbschleicherei und muss sich mit den Angehörigen streiten.“
Testament unterliegt festen Regularien
Damit ein Testament Gültigkeit hat, müssen nur wenige Formvorschriften beachtet werden: Die Urkunde muss komplett handschriftlich verfasst werden, versehen mit Ort, Datum und Unterschrift – sowie mit Vor- und Nachnamen. Änderungen oder Ergänzungen sind jederzeit möglich.
Geht es um komplexe Regelungen, erweist sich die Hilfe eines Notars als nützlich. Er kann dann ein sogenanntes öffentliches Testament – im Gegensatz zum eigenhändig verfassten Testament – erstellen. Hierbei teilt der Erblasser dem Notar seine Wünsche mündlich mit, der Rechtsbeistand dokumentiert sie schriftlich und rechtssicher. Sowohl der Erblasser als auch der Notar unterzeichnen das Dokument.
Ein öffentliches Testament wird automatisch beim Nachlassgericht aufbewahrt. Das verschafft dem Erblasser die Sicherheit, dass sein Testament nach seinem Tod wirklichkeitsgetreu zum Einsatz kommt und nicht vergessen wird. Verärgerte Erben haben so auch keine Chance, das Dokument zu vernichten, um ein größeres Stück vom Nachlass-Kuchen zu ergattern. Auch ein selbstverfasstes Testament kann man zur Aufbewahrung ans Gericht geben. Sinnvoll ist auch die Registrierung im Zentralen Testamentsregister.
Doch vor dem Aufsetzen der Urkunde empfiehlt es sich, eine genaue Aufstellung des Vermögens zu machen. Dazu gehören jetzt nicht nur Depots und Bankkonten, sondern auch Sachwerte wie Immobilien, Schmuck, Kunst, wertvolle Möbel und vieles mehr. Anschließend kann der Nachlasser für sich selbst überlegen, wem er was am liebsten vermachen würde.
Diese Entscheidungen zu treffen, fällt nicht leicht. Ein Patentrezept, mit dem jeder zufrieden ist und das Streit vermeiden hilft, gibt es nicht. Der Jurist und Fachautor Otto N. Bretzinger gibt in dem Ratgeber „Richtig vererben und verschenken“, den er für die Verbraucherzentralen geschrieben hat, den Tipp: „Sinnvoll kann es sein, eigene Wünsche und Interessen mit den nächsten Familienangehörigen, insbesondere mit den Ehegatten und den Kindern, zu besprechen. Alle Beteiligten sollten ihre Vorstellungen offen darlegen. Das kann als Orientierung für die richtige Strategie dienen.“
Sind Kinder vorhanden, kann es von Vorteil sein, ein sogenanntes Berliner Testament einzurichten, das die gesetzliche Erbfolge außer Kraft setzt. Danach erbt beim Tod eines Ehepartners der überlebende Partner. Die Kinder treten die Erbfolge erst nach dem Ableben des zweiten Elternteils an. Sie verzichten damit zunächst auf ihren Anspruch und sichern so das Auskommen eines Elternteils. Seinen Pflichtteil kann das Kind aber schon nach dem Tod des ersten Elternteils verlangen.
Nicht außer Acht lassen sollten die Eltern aber, dass bei dieser Version das Vermögen zweimal besteuert wird: zunächst, wenn der Ehepartner erbt, und dann noch einmal, wenn die Kinder erben. Andererseits kann das Berliner Testament dann von Vorteil sein, wenn zum Beispiel der überlebende Partner das Erbe eventuell für die finanzielle Versorgung im Alter benötigt.
Bei der gesetzlichen Erbfolge dagegen würde er mit den Kindern eine Erben- gemeinschaft bilden: Vater oder Mutter bekommen die Hälfte des Vermögens und die Kinder teilen sich die andere Hälfte. Sie hätten bei allen Entscheidungen wie zum Beispiel beim Verkauf einer Immobilie ein Mitspracherecht.
Die heikle Frage der Gerechtigkeit
Wichtig ist auf jeden Fall, das Erbe möglichst gerecht zu verteilen, was nicht unbedingt „halbe-halbe“ bedeuten muss. Dabei sollte derjenige, der sein Vermögen weitergibt, nicht nur seine eigenen Vorstellungen beachten. Auch der Ehrgeiz, jedem den gleichen Anteil von allem zu vermachen, kann zu Verdruss führen.
So würde zum Beispiel die Aufteilung einer Praxis unter mehreren Kindern zwangsläufig zu deren Verkauf führen. „Muss ein Erbe Schulden begleichen“, erläutert Anwalt Schulte, „ist ihm mit Bargeld mehr geholfen als mit dem Anteil an einer Immobilie oder an einem Unternehmen.“ Sein Rat: „Ein Testament sollte immer auf die Bedürfnisse der Familie abgestimmt sein.“
Für besonders konfliktträchtig hält er diesbezüglich Erbengemeinschaften: „Sie sollten unbedingt verhindert werden.“ Er empfiehlt zum Beispiel: „Wenn jemand drei Kinder hat, bekommt jedes ein Drittel des Erbes. Haben sie sich innerhalb eines Jahres nicht geeinigt, wird ein Testamentsvollstrecker eingesetzt.“
Dieser kann dann ohne Zustimmung der Erbengemeinschaft verkaufen. Die Verteilung wird so unproblematisch. Sieht das Testament den Einsatz eines Vollstreckers nicht vor, kann ihn die Erbengemeinschaft selbst einsetzen, aber nur, wenn sie den Einsatz einstimmig beschließt. Ein Erbe allein kann dessen Hilfe nicht in Anspruch nehmen.
Ganz anders sieht die Regelung in den angelsächsischen Ländern aus. Dort kommt der Vollstrecker automatisch zum Einsatz. Er eröffnet das Testament und wickelt die Dinge für den Erblasser ab. So werden viele Konflikte vermieden.
Ist schon bei der Verteilung des Erbes innerhalb der Familie Achtsamkeit angebracht, gilt das umso mehr, wenn Fremde oder etwa Hilfsorganisationen bedacht werden sollen. Wichtig ist daran zu denken, dass jedem Kind ein Pflichtteil zusteht, der Vorrang vor allen anderen Ansprüchen hat.
Schulte verdeutlicht mit einem Beispiel: „Eltern haben zwei Kinder, von denen eines nicht bedacht werden soll. Stattdessen wollen sie 200 000 Euro auf ein Kind und eine Hilfsorganisation aufteilen. Das zweite Kind soll leer ausgehen. Doch sein Anspruch auf den Pflichtteil bleibt bestehen. In diesem Fall müssen die im Testament bestimmten Erben jeweils einen Anteil des Pflichtteils an das zweite Kind zahlen.“
Hilfsorganisationen von Erbschaftssteuer befreit
Soll eine Hilfsorganisation einen Teil des Vermögens bekommen, kann sie im Testament mit einem Vermächtnis bedacht werden. In diesem Fall ist sie von allen Verpflichtungen, die sich aus dem Testament ergeben, befreit. Sie hat nur einen Anspruch gegen die Erben. Diese wiederum sind verpflichtet, das Vermächtnis zu erfüllen und den Gegenstand oder den Betrag auszuhändigen. Dies muss im Testament klar formuliert sein. Streitigkeiten mit den anderen Erben sind so normalerweise ausgeschlossen. Gemeinnützige Hilfsorganisationen erben steuerfrei. Für alle anderen Begünstigten gelten die im Gesetz vorgesehenen Regelungen zur Erbschaftssteuer.
Für die Erben besteht dann Grund zur Eile, wenn der Erblasser verstorben ist. Sie haben sechs Wochen Zeit, das Erbe zu prüfen und dann zu entscheiden, ob sie annehmen oder ablehnen. Dabei sollten sie Vorsicht walten lassen, denn mit dem Vermögen kann auch die Übernahme von Schulden verbunden sein. Reicht das Geld für deren Begleichung nicht aus, muss der Erbe aus eigener Tasche zahlen. Bleibt er auch noch auf den Beerdigungskosten sitzen, hält das Finanzamt einen Trost für ihn bereit: Zahlt er die Bestattung selbst, darf er sie steuerlich als außergewöhnliche Belastung geltend machen.
Marlene EndruweitFachjournalistin für Wirtschaftm.endruweit@netcologne.de