Dentale digitale Volumentomografie
Wie üblich, kann die neue Leitlinie selbstverständlich frei und kostenlos beispielsweise über den direkten AWMF-Link (siehe Hinweis) oder auch über den Leitlinien-Link der DGZMK (siehe Hinweis) eingesehen und heruntergeladen werden. Daher ist es auch nicht das Anliegen dieses kurzen Berichts, die Leitlinie inhaltlich hier abzubilden. Vielmehr sollen in knapper Form Hintergrundinformation über diese neue Leitlinie dargelegt werden.
Bedeutung einer S2k-Leitlinie
Laut AWMF sind „Leitlinien [...] systematisch entwickelte Aussagen, um die Entscheidungsfindung von Ärzten und Patienten für eine angemessene Versorgung bei spezifischen Gesundheitsproblemen zu unterstützen“ [Muche-Borowski C et al., 2011]. Offiziell über die AWMF entwickelte Leitlinien folgen strengen methodischen Vorgaben, die beispielsweise auf den AWMF-Internetseiten unterhttp://www.awmf.org/leitlinien/awmfregelwerk.htmlpubliziert sind. Das macht den Entstehungsprozess der Leitlinien kompliziert und langwierig. Prinzipiell sind verschiedene „Stufenklassifikationen“ definiert, die jeweils für ein bestimmtes, für den Anwender vollständig nachvollziehbares Entwicklungskonzept stehen. Die niedrigste Stufe (S1) stellt hierbei lediglich einen informellen Konsens einer repräsentativ zusammengesetzten Expertengruppe der Fachgesellschaft(en) dar, die höchste Klassifkationsstufe S3 hingegen eine Leitlinie mit allen Elementen systematischer Entwicklung, nämlich eine evidenz- und konsensbasierte Leitlinie [Muche-Borowski C et al., 2012]. Die neue DVT-Leitlinie entspricht der Ausbaustufe s2k und ist damit konsensbasiert.
Jetzt stellt sich natürlich die Frage, warum nach mehrjähriger Arbeit an einer Leitlinie lediglich eine konsensbasierte Leitlinie entsteht. Dies kann jedoch ganz einfach begründet werden: Es fehlt die Evidenz im Sinne wissenschaftlicher Evidenz. So existieren aus verständlichen ethischen Gründen auch international nahezu keine geblindeten, randomisierten klinischen Studien und deswegen selbstverständlich auch keine Meta-Analysen. Diese sind in der Radiologie aus Strahlenschutzgründen kaum wirklich realisierbar. Auch bezüglich der Wirksamkeit (zahn-)medizinischer Bildgebung erreichen die allermeisten publizierten Studien (geschätzt 95 Prozent) lediglich die untersten beiden Wirksamkeits-Nachweislevel nach der Einordnung von Fryback und Thornbury [Fryback DG, Thornbury JR., 1991: The Efficacy of Diagnostic Imaging; Med Decis Making 1991 11: 88-94.] Namentlich sind das die „technische Wirksamkeit (Level 1)“ sowie die „diagnostische Genauigkeit (Level 2)“. Höhere Level wie „Diagostische Denkweisen-Wirksamkeit (Level 3)“ oder gar „Therapeutische Wirksamkeit (Level 4)“ werden in publizierten Studien kaum jemals erreicht. Aus diesen Gründen ist im Sinne der AWMF-Vorgaben eine rein evidenz-basierte (Klassifikation s2e) beziehungsweise auch eine kombiniert evidenz-konsens- basierte (Klassifikation s3) bei der vorhan-denen Studienlage technisch schlichtweg unmöglich. Es ist auch nicht zu erwarten, dass sich dies zeitnah ändern wird.
Bedeutung von „konsensbasiert“
Die hierfür notwendige „strukturierte Konsensfindung“ nach Vorgaben der AWMF unterliegt wiederum sehr strengen Anforderungen (siehehttp://www.awmf.org/leitlinien/awmf-regelwerk/ll-entwicklung/awmf-regelwerk-03-leitlinienentwicklung/ll-entwicklung-strukturierte-konsensfindung.html).
Ohne ins Detail gehen zu können, basieren diese auf dem „Nominalen Gruppenprozess“, der „Strukturierten Konsensuskonferenz“ und der Verwendung der „Delphi-Technik“ [Anhang 8 in: Muche-Borowski C et al., 2012]. Der genaue Ablauf ist im zugehörigen, ebenfalls frei zugänglichen Leitlinienreport exakt dargestellt. Kurz zusammengefasst wurden initial von der federführenden Fachgesellschaft (hier die DGZMK) alle möglicherweise an der Leitlinienerstellung interessierten Organisationen/Fachgesellschaften offiziell zur Mitarbeit eingeladen. Im Anschluss formulierten diese bei Mitarbeit die für sie jeweils relevanten Fragestellungen, priorisierten diese und suchten wissenschaftliche Literatur dazu. Diese wurde dann standardisiert bewertet (siehe Tabelle im Leitlinienreport). Basierend auf den priorisierten Fragestellungen und der identifizierten Literatur wurde dann ein erster Entwurf formuliert, wozu bei der vorliegenden Leitlinie insgesamt drei Sitzungen benötigt wurden. Aufbauend auf diesem ersten Entwurf und den darin vorgeschlagenen Empfehlungen erfolgte im Anschluss die strukturierte Konsensusfindung in weiteren zwei Sitzungen und einem dazwischen geschalteten (August 2012) schriftlichen DELPHI-Verfahren mithilfe des ebenfalls im Leitlinienreport beschriebenen nominalen Gruppenprozesses. Eine letzte Vorlage bei den Vorständen der beteiligten Fachgesellschaften und Organisationen sowie die finale Verabschiedung durch den Vorstand der DGZMK schlossen das Verfahren ab. Eine Überarbeitung ist innerhalb eines Fünf-Jahreszeitraums geplant.
Inhalte
Die Leitlinie gliedert in Anlehnung an die Europäische Leitlinie [European Commission. Radiation protection No 172, 2012] die potenziellen Indikationen für die Anwendung der DVT großteils nicht nach zahnmedizinischen Fachgebieten. Der Hauptgrund ist hierbei die dadurch mögliche Vermeidung von Überschneidungen (beispielsweise retinierte Zähne, die andernfalls in einem chirurgischen, kieferorthopädischen sowie pädiatrischen Abschnitt behandelt werden müssten). Zwar werden wenige eindeutig zuzuordnende Indikationen inhaltlich durchaus unter bestimmten Fächern geführt, die allermeisten Indikationen sind jedoch organ- beziehungsweise pathologiebezogen gegliedert. Hieraus ergaben sich insgesamt 16 Indikationsgruppen.
Die entwickelten Empfehlungen entsprechen den AWMF-Vorgaben zur Formulierung (Tabelle) [Muche-Borowski C et al., 2012]. Zusätzlich findet sich am Anfang der Leitlinie eine kurze Zusammenfassung technischer Spezifikationen und genereller Anwendungsgrundsätze. Die mittlerweile in der Literatur gut untersuchte Strahlenbelastung – verursacht durch DVT-Aufnahmen – folgt in einem weiteren Abschnitt. Hierfür wurden im Sinne einer Metaanalyse vorhandene, standardisiert ermittelte Arbeiten zur effektiven Dosis zusammengefasst und ausgewertet. Auffällig bleibt hier die extreme Schwankungsbreite der effektiven Dosis, mit einem Gesamtmittelwert über alle Feldgrößen von 104 MikroSievert (Standardabweichung: 111 MikroSievert). Diese Werte liegen mindestens um den Faktor vier über denen einer typischen Panoramaschichtaufnahme [Batista WOG, Navarro MVT, Maia AF, 2012].
Schlussfolgerung
Die neue s2k-Leitlinie „Dentale digitale Volumentomografie“ versucht, den derzeitigen Kenntnisstand über die wissenschaftlich fundierten Indikationen für dieses bildgebende Verfahren für den Anwender nachvollziehbar abzubilden. Dies dient, wie immer bei derartigen Leitlinien, der Definition eines „sicheren Korridors“, der jedoch im Einzelfall immer auch verlassen werden kann. Per definitionem setzt die Rechtfertigende Indikation nach §23 RöV ohnehin immer eine individuelle Einzelfallentscheidung voraus, was selbstverständlich auch von dieser Leitlinie unberührt bleibt. Die Leitlinie soll dem Anwender helfen zu entscheiden, ob für einen bestimmten Fall die Anfertigung einer DVT-Aufnahme eher hilfreich ist oder ob keine zusätzlichen, für den Patienten relevanten Informationen zu erwarten sind. Daher kann für den Anwender dieser Geräteklasse die Lektüre der Leitlinie durchaus hilfreich sein.
Prof. Dr. med. dent. Ralf SchulzePoliklinik für Zahnärztliche ChirurgieUniversitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität MainzAugustusplatz 255131 Mainzrschulze@mail.uni-mainz.de
Links zur Leitlinie: direkt über die AWMF:http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/083-005.htmloder über den Leitlinienlink der DGZMK: http://www.dgzmk.de/zahnaerzte/wissenschaft-forschung/leitlinien.html