Nicht wirklich zufrieden
Begrüßenswert ist für die Standesorganisationen vor allem, dass im Koalitionsvertrag weder die Bürgerversicherung noch eine einheitliche Gebührenordnung auf der Agenda der Politik stehen. Damit scheint beides vorläufig vom Tisch.
Eindeutig bekennt sich die Große Koalition in ihrem Vertrag zur Freiberuflichkeit. Sie sei unverzichtbares Element für die flächendeckende ambulante Versorgung, Garant für die Diagnose- und Therapiefreiheit und für die freie Arztwahl. Selbstständige und Freiberufler stünden auch als wesentlicher Teil des Mittelstands im Fokus der Wirtschaftspolitik. Die Koalition will sich für den Erhalt der Selbstverwaltung von Kammern und Verbänden in den Freien Berufen auf europäischer Ebene einsetzen. Das Bekenntnis zur Freiberuflichkeit, die Rolle der Freien Berufe und das Bekenntnis zur Selbstverwaltung sehen BZÄK und KZBV als positives Signal. Die Politik gebe den Freien Berufen damit eine starke Rückendeckung. Auch die Würdigung der Gesundheitswirtschaft als Beschäftigungs- und Innovationsmotor ist für die Zahnärzteschaft positiv.
Wenig neue Impulse zu erkennen
Insgesamt ziehen die Standesvertretungen jedoch in einer ersten Bewertung und Analyse eine gemischte Bilanz. Für die Bundeszahnärztekammer ergeben sich aus den Ergebnissen der Koalitionsverhandlungen wenig neue Impulse für die Gesundheitspolitik. „Es ist zwar gut, dass sich die Koalitionäre ein umfangreiches Pflichtenheft auferlegt und der Bürgerversicherung eine Absage erteilt haben. Wir vermissen aber die notwendigen nachhaltigen Reformen, die unser Gesundheitssystem zukunftsfest machen“, bilanziert BZÄK-Präsident Dr. Peter Engel.
Der KZBV-Vorstandsvorsitzende Dr. Wolfgang Eßer unterstreicht aus versorgungspolitischer Sicht, dass die KZBV sich vor der Bundestagswahl klar für eine Balance im Gesundheitswesen ausgesprochen habe: eine Balance im Sinne von Solidarität und Eigenverantwortung und eine ausgewogene Balance in der Selbstverwaltung. Bei der Finanzierung des Gesundheitswesens haben sich die Partner auf einen paritätisch finanzierten allgemeinen Beitragssatz und einen prozentual zu erhebenden kassenindividuellen Beitrag geeinigt. Ob aber dadurch mehr Wettbewerb entsteht, ist eher fraglich.
Der paritätisch finanzierte Beitragssatz ist bei 14,6 Prozent festgesetzt, der Arbeitgeberanteil ist bei 7,3 Prozent festgeschrieben. Die gesetzlichen Kassen sollen den Zusatzbeitrag künftig als prozentualen Satz vom beitragspflichtigen Einkommen erheben. Damit soll der heute vom Arbeitnehmer allein zu tragende Anteil von 0,9 Beitragssatzpunkten in den Zusatzbeitrag einfließen, ein steuerfinanzierter Sozialausgleich entfällt. Der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich soll weiterentwickelt werden.
Behandlungszentren geplant
Der Koalitionsvertrag beinhaltet kein eigenes Kapitel zur zahnärztlichen Versorgung. Dennoch wird sie an einer Stelle explizit erwähnt: Die Koalition will für Erwachsene mit geistiger Behinderung und schweren Mehrfachbehinderungen medizinische Behandlungszentren analog zu den sozialpädiatrischen Zentren zur (zahn-)medizinischen Behandlung (neuer § 119 c SGB V) schaffen. Für Eßer ist diese Regelung zwar begrüßenswert. Was aber die zahnmedizinische Versorgung anbelangt, so ist für diese Patientengruppe ein systematisches zahnmedizinisches Präventionsmanagement erforderlich. Dies müsse die Politik ins geplante Präventionsgesetz aufnehmen, wenn sie den Vorsorgegedanken wirklich ernst nehmen will. Hier hätte sich Eßer eine klare Aussage in der Koalitionsvereinbarung gewünscht. Was nutzen Demografiestrategien und Aktionspläne, wenn die Politik nicht bereit ist, konkrete Maßnahmen der Verbesserung der Versorgungssituation zu ergreifen? Wirklich zufrieden sein, kann man mit der Koalitionsvereinbarung an diesem Punkt nicht.
Verbesserte Anreize zur Niederlassung
In den Passagen des Koalitionsvertrags gibt es zahlreiche Regelungen, die auch für die zahnmedizinische Versorgung relevant sind. Zum jetzigen Zeitpunkt bleiben aus zahnärztlicher Sicht aber noch viele Fragen offen.
Im Bereich der ambulanten Versorgung sind im Vertrag unter anderem folgende Punkte vorgesehen:
• Die Anreize zur Niederlassung in unterversorgten Gebieten sollen weiter verbessert werden. Dazu sollen Krankenhäuser zur ambulanten Versorgung zugelassen, Praxisnetze gefördert und der Aufkauf von Arztsitzen durch KVen soll möglich werden.
• Für GKV-Versicherte soll die Wartezeit auf einen Facharzttermin reduziert werden, vier Wochen sind als Maximum nicht zu überschreiten, Versicherte können sich dazu an eine Terminservicestelle der KV wenden.
• Die hausärztliche Versorgung soll gestärkt werden. Die Vertreterversammlung der KBV und der KVen soll zu gleichen Teilen aus Haus- und Fachärzten gebildet werden.
• Ermöglicht werden sollen Medizinische Versorgungszentren (MVZ), auch durch Kommunen, arztgruppengleiche MVZ sind möglich.
• Der Einsatz von qualifizierten nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen, die delegierte ärztliche Leistungen erbringen, soll flächendeckend ermöglicht und leistungsgerecht vergütet werden. Modellvorhaben zur Erprobung neuer Formen der Substitution ärztlicher Leistungen sollen aufgelegt und evaluiert werden.
• Die hausarztzentrierte Versorgung soll weiterentwickelt und um geeignete Instrumente zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit und zur Qualitätssicherung ergänzt werden.
• Die sektorenübergreifende Qualitätssicherung mit Routinedaten soll ausgebaut werden. Es soll ein Institut gegründet werden, das die Qualität der ambulanten und der stationären Versorgung ermittelt und dem G-BA Entscheidungsgrundlagen liefert. Dazu soll die GKV pseudonymisierte Routinedaten zur Verfügung stellen.
• Es wird ein neuer Straftatbestand der Bestechlichkeit und Bestechung im Gesundheitswesen im Strafgesetzbuch geschaffen.
• Ein Investitionsfonds in Höhe von 300 Millionen Euro soll zur Förderung sektorübergreifender Versorgungsformen eingerichtet werden.
Massiver Eingriff in die Selbstverwaltung
Einige dieser Regelungen zur ambulanten Versorgung tangieren – und sei es auch nur mittelbar – Fragen des zahnmedizinischen Bereichs. So sieht zum Beispiel die KZBV die Terminvermittlung bei Fachärzten negativ, sie sei dem Wahlkampfthema der Zwei-Klassen-Medizin geschuldet und treffe auf die Zahnmedizin nicht zu. Die Bildung der VV der KBV zu gleichen Teilen aus Fach- und Hausärzten betrachtet sie als massiven Eingriff in die ärztliche Selbstverwaltung. Arztgruppengleiche MVZ lehnt die KZBV ab, für die zahnärztliche Versorgung bedürfe es dieser Form nicht.
Die BZÄK sieht die Modellvorhaben zur Erprobung neuer Formen der Substitution ärztlicher Leistungen kritisch. Wenn diese künftig von nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen erbracht würden, stehe das nicht im Einklang mit dem Bekenntnis zur Freiberuflichkeit und gefährde das hohe Qualitätsniveau der Versorgung. Das gehe zulasten des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient. Auch die KZBV unterstützt die kritische Haltung zu den Modellvorhaben vor dem Hintergrund der Patientensicherheit.
Der Qualität der Versorgung kommt im Koalitionsvertrag eine größere Bedeutung zu, was von der KZBV vom Grundsatz her positiv betrachtet wird. Jedoch komme es stark darauf an, wie die einzelnen Regelungen ausgestaltet werden. Sektorale Qualitätssicherung ist aus Sicht der BZÄK „ein Megatrend“, vor allem sei zu beobachten, welche Rolle dem G-BA zukomme, dem das neu zu gründende Institut zur Qualitätssicherung zuarbeiten solle.
Sowohl KZBV als auch BZÄK hatten stets betont, dass es zwar für den zahnärztlichen Bereich keines Straftatbestands der Bestechlichkeit und Bestechung bedürfe, das Berufsrecht enthalte ausreichende Regeln. Zur Korruption gebe es seitens der Standesorganisationen keine Toleranz. Die jetzige geplante Regelung eines Straftatbestands sei allerdings der SGB-V-Regelung der letzten Legislaturperiode vorzuziehen. Die BZÄK stellt aber infrage, ob der von der Politik geplante Tatbestand der richtige ist. Derzeit arbeite die BZÄK an einem eigenen Normenvorschlag.
Masterplan 2020 für die Medizin
Zur Förderung der Praxisnähe und zur Stärkung der Allgemeinmedizin im Studium plant die Große Koalition, einen „Masterplan Medizinstudium 2020“ zu entwickeln. Dies bewertet die BZÄK positiv. Bildung, Wissenschaft und Forschung seien von maßgeblicher Bedeutung für die gesellschaftliche Entwicklung, aber auch für die Berufsausübung. Zu fordern sei deshalb die unverzügliche Umsetzung der neuen Approbationsordnung.
Prävention soll gestärkt werden
Ferner will die Koalition Prävention und Gesundheitsförderung in den Vordergrund stellen und noch 2014 ein Präventionsgesetz verabschieden, das die Lebenswelten von Kita, Schule, Betrieb und Pflegeheim integriert, die betriebliche Gesundheitsförderung stärkt und die Sozialversicherungsträger mit einbezieht. Die Kooperation aller Sozialversicherungsträger, der Länder und der Kommunen soll über verpflichtende Rahmenvereinbarungen analog der Regelungen zur Förderung der Zahngesundheit und von Schutzimpfungen verbessert werden. Früherkennungsuntersuchungen bei Kindern und die ärztlichen Vorsorgeunter-suchungen bei Erwachsenen sollen gestärkt werden.
Für BZÄK und KZBV sind dabei noch viele Fragen offen, hier komme es auf mögliche Gestaltungsspielräume im Gesetzgebungsverfahren an. Das betreffe aus zahnärztlicher Sicht vor allem die Umsetzung des AuB-Konzepts. Zu unterstreichen sei, dass die Politik explizit auf die Vorreiterrolle der Zahnärzteschaft bei der Prävention hingewiesen hat.
Unter dem Kapitel „Forschung für die Gesundheit der Menschen“ will die Koalition der Versorgungs- und Gesundheitsforschung eine herausgehobene Stellung verschaffen. Es sollen neue Initiativen für eine moderne Kinder- und Jugendmedizin, Arbeitsmedizin sowie die Geschlechter- und Altersmedizin auch unter dem Gesichtspunkt der Prävention und Gesunderhaltung entstehen. Auch die individualisierte Medizin soll mit innovativen Strukturen und breit angelegter Forschung weiter gestärkt werden. Was die Versorgungsforschung angeht, sieht sich die Zahnärzteschaft mit den Initiativen des gemeinsam von BZÄK und KZBV getragenen Instituts der Deutschen Zahnärzte (IDZ) gut aufgestellt.
Reformen im Krankenhausbereich
Einen großen Schwerpunkt der nächsten Legislatur werden Reformen im Krankenhausbereich einnehmen. Hier sind unter anderem folgende Maßnahmen geplant:
• Die Qualität der stationären Versorgung soll verbessert werden, in dem neu zu gründenden Qualitätsinstitut sollen sektorenübergreifend Routinedaten gesammelt und ausgewertet werden, es soll Zu- und Abschläge für Qualität gegeben, der Medizinische Dienst soll Krankenhäuser unangemeldet kontrollieren dürfen.
• Bei Operationen ist auf Kosten der Krankenkassen eine zweite Meinung einholbar.
• Es soll ein verpflichtendes Transplantations- und Implantatregister aufgebaut werden, Informationen zu Krankenhausinfektionen sollen verpflichtender Bestandteil der Qualitätsberichte werden.
• Zur Sicherstellung der ambulanten Notfallversorgung soll eine Kooperation von KVen, Krankenhäusern und Apotheken erfolgen.
Passgenaue Leistungen in der Pflege
Die Pflege nimmt nach den Plänen der Koalition einen weiteren großen Schwerpunkt ein. So will die Koalition Pflegebedürftigkeit besser anerkennen und Menschen mit Demenzerkrankungen bessere und passgenaue Leistungen zukommen lassen. Zur Stärkung der ambulanten Pflege sollen Leistungen im ambulanten und im stationären Bereich weiter angeglichen werden. Dazu soll der paritätische Beitragssatz zur Pflegeversicherung spätestens zum 1. Januar 2015 um 0,3 Prozentpunkte erhöht werden.