EU-Ärzte gegen den Fachkräftemangel

Integration mit Hindernissen

Heftarchiv Gesellschaft
pr
In deutschen Krankenhäusern und Praxen herrscht vielerorts ein Mangel an Fachkräften. Die Rekrutierung von Ärzten aus dem Ausland ist eine Möglichkeit, die Löcher zu stopfen. Denn in Osteuropa sowie in den von der Wirtschaftskrise gebeutelten Staaten wie Griechenland und Spanien gibt es zahlreiche auswanderungswillige Ärzte mit einer hohen fachlichen Qualifikation. Bei der Integration in den Berufs- und Lebensalltag gilt es allerdings, kulturelle Unterschiede und sprachliche Barrieren zu beachten und abzubauen.

Katharina Angeli aus Griechenland absolviert seit dem Sommer 2011 in der LVR-Klinik Bedburg-Hau an der nordwestlichen Grenze Nordrhein-Westfalens ihre Weiterbildung zur Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Ihren Arbeitgeber hat Angeli auf einer Ärztejobbörse der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesagentur für Arbeit (BA) in Athen kennen- gelernt, zu der Vertreter mehrerer deutscher Kliniken gereist waren, um griechische Fachkräfte zu rekrutieren.

Die Wahl fiel schließlich auf die LVR-Klinik, weil sie die einzige rein psychiatrische Einrichtung war. In ihrer Heimat hätte die junge Medizinabsolventin voraussichtlich jahrelang auf eine Stelle warten müssen, da die Warteliste zur Facharztausbildung in Griechenland lang ist. Denn dort bilden nur staatliche Krankenhäuser Fachärzte aus. In den Privatkliniken, die in Griechenland einen hohen Anteil ausmachen, ist das nicht möglich.

Angelis neuer Arbeitgeber hat sich alle Mühe gegeben, ihr die Entscheidung leicht zu machen. Nach der Veranstaltung hat er ihr eine Reise nach Bedburg-Hau finanziert, damit sie ihren zukünftigen Arbeitsplatz und ihre Kollegen kennenlernen kann. Als sie die Stelle schließlich antrat, wurde sie vom Flughafen abgeholt und bekam für die ersten Wochen eine Wohnung gestellt.

„Die Personalgewinnung ist gerade für Kliniken in ländlichen Regionen schwierig“, sagt Jürgen Reintjes von der LVR-Klinik. „Daher wird die Rekrutierung von ausländischen Ärztinnen und Ärzten immer wichtiger. Über die Jobbörsen der ZAV in Griechenland konnten wir bereits vier neue Ärzte einstellen, mit weiteren sind wir im Gespräch.“

Wie die LVR-Klinik denken inzwischen immer mehr Arbeitgeber im Gesundheitswesen. Denn vakante Stellen mit Personal aus Deutschland zu besetzen, fällt zahlreichen Einrichtungen inzwischen zunehmend schwer. Allein in deutschen Krankenhäusern fehlen derzeit rund 5 000 Fach- kräfte. Aber auch für die Sicherstellung der Versorgung im ambulanten Bereich spielen qualifizierte Ärzte aus EU-Staaten eine zunehmend wichtigere Rolle.

In Sachsen beispielsweise sind ausländische Mediziner im Kampf gegen den Ärzte- mangel inzwischen unverzichtbar. Einige Kliniken könnten nach Aussage von Landesärztekammerchef Jan Schulz den Betrieb mancher Stationen ohne sie gar nicht mehr aufrechterhalten. 2011 stammte bereits jeder elfte berufstätige Arzt in Sachsen nicht aus Deutschland. Die meisten Zuzügler kamen aus Tschechien, gefolgt von weiteren osteuropäischen Staaten.

Rekrutierung aus Ländern Südeuropas

Ein großes Bewerberpotenzial an gut ausgebildeten und motivierten Fachkräften steht nach den Erfahrungen der ZAV derzeit aber auch in den von der Wirtschafts- und Finanzkrise besonders betroffenen Staaten Griechenland, Spanien und Portugal zur Verfügung. Bei ihren Rekrutierungsaktivitäten im ärztlichen Bereich konzentriert sich die ZAV derzeit vor allem auf Griechenland, da viele Griechen weniger Probleme mit der deutschen Sprache haben als Angehörige anderer EU-Staaten.

In der Region Thessaloniki beispielsweise gibt es nach Angaben des Präsidenten der Ärztekammer Westfalen-Lippe (ÄKWL), Dr. Theodor Windhorst, derzeit 800 arbeitslose Ärztinnen und Ärzte. Ihnen könne sich, so der Ärztekammerpräsident, in NRW eine berufliche Perspektive bieten. Windhorst sieht im Abwerben der Kräfte auch keinen unbotmäßigen Abzug von Fachwissen zulasten des dortigen Gesundheitswesens, sondern vielmehr eine klassische Win-win-Situation.

Wie groß das Interesse seitens der griechischen Ärzte ist, belegt die Tatsache, dass sich im Verlauf einer Job- und Informationsbörse der BA und der ÄKWL in Thessaloniki rund 400 griechische Ärztinnen und Ärzte über konkrete Weiterbildungs- angebote in nordrhein-westfälischen Krankenhäusern informiert haben.

Mangel auch in Klein- und Vorstädten spürbar

Auch Dr. Thomas Wendel von der Personalberatung tw.con setzt bei seinen Rekrutierungsbemühungen für Krankenhäuser, Arzt- und Zahnarztpraxen verstärkt auf auslän- dische Kräfte. Dabei betreffe der Mangel an qualifiziertem Personal nicht mehr nur das „platte Land“, sondern sei längst auch in Klein- und Vorstädten Realität. Und, so Wendel weiter, dem Ärztemangel folge zunehmend ein Zahnärztemangel.

„Es fehlen insbesondere Zahnärzte auf dem Arbeitsmarkt, die sich für eine Festanstellung bewerben.“ Gute Vermittlungschancen für Zahnärzte sieht der Personalexperte bei Kräften aus Griechenland und Osteuropa. „Diese Menschen sind hochmotiviert, gut ausgebildet und extrem lernfähig“, so Wendel. Auch seien die kulturellen Unterschiede überbrückbar. Für die meisten Zahnärzte aus diesen Ländern seien zudem ländliche Räume als Wohn- und Arbeitsort kein Problem.

Gleiches gelte für Ärzte aus Süd- und Osteuropa. Die medizinischen Ausbildungsstandards und Qualifikationen seien zumeist gut, in Spanien und Griechenland sogar auf einem sehr hohen Niveau und die Ärzte aus diesen Ländern daher sehr schnell einsetzbar. Bei rumänischen und bulgarischen Kräften dauere es in der Regel etwas länger, weil entsprechende Nachschulungen notwendig seien.

Nachholbedarf bestehe mitunter auch in der Ausbildung an den eingesetzten medizinischen Geräten sowie im Bereich Krankenkassen-Abrechnung und IGeL, betont Wendel.

Die größte Hürde aber stellt für viele ausländische Ärzte die deutsche Sprache dar. Um in Deutschland eine Facharztweiterbildung absolvieren zu können beziehungsweise um als Arzt oder Zahnarzt tätig zu werden, muss der Bewerber mindestens das Sprachniveau B2 nach dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen nachweisen, das zur selbstständigen Verwendung der deutschen Sprache befähigt. Allerdings unterscheiden sich die Anforderungen und Verfahrensweisen an die Sprachtestes in den einzelnen Bundesländern mitunter erheblich. In einigen Fällen genügt eine mündliche Vorsprache bei der Behörde. In anderen Fällen muss der Bewerber ein Goethe-Zertifikat vorlegen.

„Die aus den unterschiedlichen Regelungen resultierende uneinheitliche und vielerorts mangelhafte Sprachkompetenz ausländischer Ärzte führt zu Zweifeln an der durchgehenden Gewährleistung der Patientensicherheit. Sie sind zudem für ausländische Ärzte, die oftmals nicht wissen, in welchem Bundesland sie später arbeiten wollen, verwirrend“, kritisierte der Marburger Bund.

Einen Sprachkurs besuchen, um als Ärztin in Deutschland arbeiten zu können, musste Katharina Angeli, anders als viele ihrer ausländischen Kollegen, nicht. Denn als Kind hatte sie mehrere Jahre hier gelebt und im Kindergarten Deutsch gelernt. Ob sie allerdings auf Dauer in Deutschland bleiben wird, weiß die junge Ärztin noch nicht „Ich weiß nicht, was die Zukunft bringt. Und Heimweh kann ich nicht ausschließen.“

Petra SpielbergAltmünsterstr. 165207 Wiesbaden

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