Die Sprechstimme im Praxisalltag
In der Zahnarztpraxis herrscht noch oft eine emotionale Ausnahmesituation, denn leider ist die Angst vor einem Zahnarztbesuch noch immer weit verbreitet. Hinzu kommt das Gefühl des Ausgeliefertseins, wenn ein Patient auf dem Rücken liegt und der Zahnarzt sich über ihn beugt. Dieses Angstgefühl und das Gefühl des Ausgeliefertseins – diese körperliche und emotionale Anspannung – wirken sich natürlich auch auf die Sprechstimme des Patienten aus. Die Stimme klingt dann gedämpft, monoton, zurückhaltend. Der Patient spricht eher in sich hinein, als dass er seinen Mund bereitwillig öffnet und nach außen spricht.
Mit der Stimme die Initiative ergreifen
Hier muss der Zahnarzt die Initiative ergreifen und über seinen eigenen natürlichen, melodischen und freundlichen Stimmklang auf den Patienten einwirken. Über das Gehör gelangen diese melodischen Botschaften in das Stammhirn (Formatio Reticularis) und von dort aus wird der Muskeltonus des Patienten entsprechend in Resonanz versetzt [Rohmert, 1996]
Ein freundlicher und verständnisvoller Stimmklang sollte nicht künstlich produziert werden, sondern muss gefühlt sein. Er muss authentisch sein und diese Ehrlichkeit erzeugt dann auch im Stimmklang jene Frequenzen, die sich ausgleichend und harmonisierend auf den Patienten auswirken. Dieselbe Auswirkung hat eine freundliche und melodische Sprechstimme auch auf die sprechende Person, so dass sich auch der Tonus, die Muskelspannung des Körpers, bei der sprechenden Person entspannt.
Die Stimme in einer Behandlungssituation
Ebenso wirkt sich eine natürliche Sprechstimmlage mit einem freundlichen Stimmklang während einer Behandlung im Umgang mit der ZFA und bei Anweisungen sowohl auf den Teamgeist als auch auf den Patienten entspannend aus. Ist der Tonfall monoton, kalt und abstrakt oder lässt er Ungeduld durchklingen, bekommt dies der Patient hautnah mit, da sich beide, Zahnarzt und ZFA, ganz nah am Gehör des Patienten befinden. Der Tonus und das Befinden reagieren entsprechend.
Im Umgang mit Kindern verhält es sich ebenso. Wer dies schon einmal am eigenen Körper erleben durfte, der weiß, wie sich das angsterfüllte Weinen oder Schreien eines Kindes auf den eigenen Körper auswirkt, wie die eigene Körperspannung sich verändert und wie wichtig es gerade hier ist, bewusst und diszipliniert eine ausgleichende Stimmlage zu finden.
Wer in einer solchen Situation Trost, Mitgefühl und Verständnis empfindet, bei dem wird sich diese Empfindung auf die Stimme und über das bereits beschriebene Resonanzprinzip auch auf die Körperspannung und auf die Gefühle des Kindes übertragen. Je jünger ein Kind ist, desto mehr sollte der behandelnde Arzt die Sprechlautstärke zurücknehmen und sich auch innerlich zurücklehnen. Wenn ein ängstliches Kind neu in der Praxis ist, ist es ebenfalls besser mental einen Schritt zurückzugehen und das Kind lieber kommen zu lassen, als direkt auf das Kind zuzugehen und es offensiv anzusprechen.
Ein geeigneter Weg: Das Kind indirekt anzusprechen, indem sich der Behandler eine kleine Fingerpuppe aufsetzt oder über eine verkleidete Zahnbürste mit dem Kind spricht. Die Zahnbürste begrüßt dann das Kind. Bei einer Fingerpuppe oder einer kleinen Spielpuppe erreicht der Behandler besondere Aufmerksamkeit, wenn die Stimme verstellt wird, indem ihr ein fröhlicher Akzent und ein heller Stimmklang verliehen wird. Solch eine veränderte Stimmlage entführt Kinder im Kindergartenalter in eine magische Welt. Sie macht neugierig, lenkt ab und öffnet ihnen den Weg in die persönliche Kommunikation.
Stimmlagen für die Handpuppe in der Praxis
Natürliche und leicht einsetzbare Stimmlagen für die Handpuppen ergeben sich aus den Resonanzbereichen des Körpers: Die sonore Bruststimme, lässt sich sehr einfach durch brummelige Lautspiele wie „mnjam, mnjam, mnjam“ erreichen. Wenn sich der Träger dabei den Bauch streichelt, als hätte er etwas Wohlschmeckendes gegessen. Die Nasenresonanz kann durch Lautübungen wie „quak, quäk oder neee“ erreicht werden. Dies gelingt, indem die Nasenflügel leicht hochgezogen werden und die Nase leicht gerümpft wird. Die helle Kopfstimme entfaltet sich beispielsweise durch spielerisches Seufzen und Lautspiele wie „Huhuuu“ und „Igittigittigiii“.
Piepsende Frauen und brummelnde Männer
Erwachsene Frauen, die ausschließlich mit piepsiger Stimme oder mit einer Mädchenstimme sprechen, wirken auf Dauer unglaubwürdig und schwach. Beim Gegenüber entsteht unbewusst ein Überlegenheitsgefühl. Für die sprechende Person werden Glaubwürdigkeit und Souveränität ausgehöhlt.
Männer, die ausschließlich in ihrer dumpfen Bruststimme kommunizieren, wirken auf Dauer langweilig und die Aufmerksamkeit des Gegenüber lässt nach. Für Frauen und Männer ist es daher besonders hilfreich, die gegengeschlechtliche Stimmlage zu erkunden. Für Frauen ist dies die tiefere Stimmlage, die ihnen mehr Souveränität verleiht. Für Männer ist es die Kopfstimme, die hohe Stimmlage, mit der sie Flexibilität und Einfühlsamkeit entfalten können.
Je wohler man sich emotional und körperlich fühlt, desto angenehmer und sicherer wirken auch Stimme und Ausstrahlung. Mit einem Lächeln im Gesicht wird die Stimme heller. Damit das Lächeln und die freundliche Stimmfarbe an Natürlichkeit gewinnen, ist es ratsam, morgens nach dem Aufstehen ein kleine Gesichtsgymnastik und Lächelübungen durchzuführen. Auch wenn es sich anfangs wie eine Maske anfühlt – nach kurzer Zeit schon fallen das Lächeln und die Kommunikation im Laufe des Tages viel leichter. Und auch das innere Lächeln kann sich so wohltuend entfalten.
Die menschliche Stimme mit den in ihr schwingenden Frequenzen und Vibrationen ist ein sich selbst organisierendes Instrument. Je mehr ein Mensch seine Stimme durch muskuläre Anstrengungen beeinflussen oder verstellen möchte, desto mehr blockiert er die natürliche Flexibilität der Stimmlippen und die Schwingung der Schleimhäute.
Am leichtesten lässt sich die Stimme ent- falten, indem man ihr Aufmerksamkeit schenkt und indem man sich während des Tages immer wieder mal aufmerksam zuhört. Wie hört sich die Stimme am Morgen an? Wie verändert sich die Sprechmelodie, wenn man an etwas Schönes oder etwas Erfreuliches denkt? An einen schönen Urlaubstag, an ein Musikstück oder an eine Begegnung mit einem Menschen? Es lohnt sich also, die eigene Stimme und damit auch die eigene Stimmung zu erforschen. Konkret, indem man morgens einige Sprechübungen durchführt. So kann man einen Satz in verschiedenen Tonhöhen und Klangfarben sprechen, eine Melodie summen oder unter der Dusche ein Lied anstimmen.
Je mehr Aufmerksamkeit man seiner Stimme schenkt und seinen Gefühlen gestattet, sich darin zu offenbaren, desto natürlicher und gesünder wird sich die Stimme entfalten und desto selbstverständlicher wird sie einem im beruflichen Alltag als kommunikatives Instrument zur Seite stehen. Selbstverständlich sollten auch Gefühle wie Strenge, Aggression, Ablehnung und Durchsetzungswille durch die Stimme ganz bewusst zum Ausdruck gebracht werden.
Ein Tipp: Brummeln Sie mal ihren tiefsten Ton und lauschen Sie ihm, spüren Sie seinen Vibrationen nach. Dann seufzen Sie mal ihren höchsten Ton und spüren ihm nach. Im unteren Drittel zwischen diesen beiden Tönen befindet sich Ihre natürliche Sprechstimmlage, Ihr persönlicher Grundton.
Wer sprechen kann, der kann auch singen
Wer sprechen kann, kann auch melodisch und freundlich sprechen. Und wer melodisch und freundlich sprechen kann, der kann auch singen. Wird ein Kindervers melodisch und freundlich gesprochen, werden die Kinder sagen: „Du hast aber schön gesungen.“ Jede menschliche Stimme verfügt im Übrigen ohne Training über ein Ton-spektrum von fast einer Oktave.
Was entgeht einem, wenn man die eigene Sprechstimme vernachlässigt? Nun, man hört sich langweilig an und ermüdet schneller. Die berufliche und private Kommunikation erschöpft sich in einem immer wiederholenden Muster, das zu Unzufriedenheit und Streitsituationen führt. Man hört sich selber nicht gerne reden und der Patientenkontakt beschränkt sich auf das, was halt gesagt werden muss.
Die Vorzüge eines bewussten Stimmeinsatzes liegen also klar auf der Hand: Das eigene Lebensgefühl harmonisiert sich und die Atmosphäre in der Praxis wird auch für neue Patienten von Anfang an positiv spürbar. Patienten und das gesamte Praxisteam fühlen sich wohler. Der Umgang mit schwierigen Patienten wird leichter und Kinder finden schneller Vertrauen.
Karl-Heinz Paul
Ortsstr- 14-16
78357 Mühlingen
Info
Selbsteinschätzung der Sprechstimme
Wie empfinden Sie Ihre Sprechstimme? Setzen Sie ein Kreuz oder beschreiben Sie Ihre Stimme mit Worten.
• voll
• rund
• flach
• leise
• hell
• dunkel
• hauchig
• kratzig
• zart
• brummelig
• ..................
In welcher Tonlage ist das Sprechen für Sie am leichtesten?
• hoch
• mittel
• tief
Wo spüren Sie Ihre Stimme im Körper?
Hören Sie sich gerne reden?
Hören Sie sich gerne singen?
Hören Sie sich gerne auf Tonband?
Wann ist das Reden anstrengend?
Wann ist das Singen anstrengend?
Welche Stärken Ihrer Stimme kennen Sie?
Welche Schwächen?
Was wünschen Sie sich für Ihre Stimme?
Warum haben Sie das bisher nicht erreicht?