Editorial
Liebe Leserinnen und Leser,
was ist bloß mit Deutschland los? Diese Frage wirft, in Wahlkampfzeiten gestellt, immer ein sehr fokussierendes Licht auf unsere Gesellschaft. Deren politische Spitzen machen sich – leider – nur alle vier Jahre programmatische Gedanken um die Ausrichtung unserer Demokratie.
Dass Inhalt, Art und Kultur von Wahlkampfdebatten selbstverständlich auch Indizes sind, die vorzeigen, wie unsere Gesellschaft tickt, sollten auch Politiker sich klar machen. Die Auseinandersetzung um Korruption im Gesundheitswesen, um das emotional oft überbordende Thema Ethik/Monetik ist mitnichten Angelegenheit nur bestimmter Teile dieser Gesellschaft.
Diese Entwicklung mit Anfeindungen, mit Berufsgruppen-Bashing, ist letztlich ein Spiegel, den sich die Gesellschaft selbst vorhalten muss. Wer mit denen, die zu seiner Unterstützung da sind – nicht nur Mediziner und deren Begleitberufe, auch Institutionen wie beispielsweise Sozial- und Pflegeberufe oder auch die Polizei – so umgeht, als seien sie die Falschen oder nichts wert, muss sich grundsätzliche Fragen beantworten.
Pauschalierungen, Generalverdacht, Unterstellungen und Misstrauen gegenüber gesellschaftlichen Dienstleistern sind sicherlich nicht die Ausrüstung, die wir brauchen, wenn wir uns in eine tragbare Zukunft aufmachen. Schon gar nicht, wenn die Absicht dahinter steht, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Das lenkt nur von den wirklichen Problemen ab.
Dass Ökonomie wichtiger wird als die humane Betreuung anderer, dass persönliche Freiheit mit dem Drang verwechselt wird, gesellschaftlichen Altruismus gegen das Prinzip eines „Lasst mich doch in Ruhe“ auszutauschen, wird uns nicht über die Probleme der nächsten Jahrzehnte hinweg helfen.
Der Berufsstand hat in den letzten Jahren genau das konkretisiert und mit Themen angefüllt, sei es das Konzept aufsuchender Betreuung von alten und/oder pflegebedürftigen Menschen, sei es eine vernünftige Vorsorge für die ganz jungen, die möglichst lang gesund bleiben sollen, sei es die Sorge um den Erhalt einer fortschrittlichen und funktionstüchtigen Medizin: Die Heilberufe haben das immer wieder in die öffentliche Aufmerksamkeit gerückt, unermüdlich bis zur Penetranz.
Dass man dort, wo wirklich das Geld regiert, mit Kriminalisierungsbestrebungen reagiert, statt systemische Überlegungen anzustellen, zeugt letztlich von Hilflosigkeit. Hier braucht die Gesellschaft die Bereitschaft zu einer vorbehaltlosen und offenen, aber endlich sachlichen Diskussion.
Es wird Zeit, dass sich etwas ändert. Angesichts von Jugendmassenarbeitslosigkeit in Europa, angesichts ganz anderer Pläne der jüngeren Generationen zu Arbeit und Beruf wird es Zeit, diesen Wertewandel zu registrieren und anzugehen.
Hier alte Zöpfe neu zu flechten, wie es die GKV versucht, bringt so wenig wie Schritte zurück in Zeiten, die Einheit und Klassenlosigkeit als Originalrezepte verkauft haben.
Also Politik: Handle mutig, aber vor allem richtig!
Freundlicher Gruß
Egbert Maibach-Nagelzm-Chefredakteur