Fragwürdiger Fortschritt
Mit einer doppelten Brustamputation geriet die Schauspielerin Angelina Jolie kürzlich in die Schlagzeilen. Ein Gentest hatte ihr bescheinigt, dass sie mit fast 90-prozentiger Sicherheit irgendwann an Brustkrebs erkranken könnte. Die Schauspielerin reagierte prompt und radikal. Mit ihrer anschließenden Öffentlichkeitsarbeit sorgte sie für eine weltweite Diskussion um die Segnungen von Gentests.
Der Gendiagnostik sind heute kaum noch Grenzen gesetzt – immer umfangreichere und schnellere Analysen erweitern permanent das Spektrum der genetischen Diagnostik. Auch wenn das menschliche Genom bereits seit rund zehn Jahren als vollständig entschlüsselt gilt, geht die Forschung auf dem Gebiet der Humangenetik in rasantem Tempo weiter. Erst Mitte 2012 wurde beispielsweise ein umstrittener Test auf den Markt gebracht, der eine Trisomie 21 (Down-Syndrom) beim Ungeborenem diagnostiziert, indem das Blut der Mutter untersucht wird. Bereits wenige Monate später konnte dieser Test auch auf die Trisomien 18 und 13 erweitert werden.
Schnelldiagnose zum Discountpreis
Während die Kosten für Gentests auf breiter Front sinken, steigt die Zahl der Anbieter ins Unermessliche. Manche bieten bereits eine genetische Schnelldiagnostik per Internet zum Discountpreis an. Von ärztlicher Beratung keine Spur. So werden die vermeintlichen Segnungen der High-Tech-Medizin ohne großen Aufwand für immer breitere Bevölkerungsschichten zugänglich. Vor allem in der Pränataldiagnostik sinkt zudem die Hemmschwelle, einen Gentest machen zu lassen, seitdem nichtinvasive Diagnostikmethoden wie beispielsweise der Test auf die Trisomien zur Verfügung stehen. Diese bergen – im Unterschied zu den bisherigen Fruchtwasseranalysen – nicht mehr das Risiko einer Fehlgeburt und sind vergleichsweise schnell und einfach durchführbar. Kritiker befürchten, dass schon alleine die vorhandene Möglichkeit solcher Tests zunehmend Druck auf die Mütter ausüben könnte, diese dann auch tatsächlich durchführen zu lassen. Ob die werdenden Eltern allerdings immer auf die Konsequenzen vorbereitet sind, die mit einem positiven Testergebnis einhergehen, steht auf einem anderen Blatt.
Gesetzliche Änderungen gefordert
Bislang ist in Deutschland der Einsatz von Gentests im Gendiagnostikgesetz geregelt und nur im Rahmen einer ärztlichen Behandlung zulässig. Vor dem Hintergrund der rasanten technischen Weiterentwicklung und der damit verbundenen Zunahme an möglichen Befunden bei gleichzeitig sinkenden Zugangshürden hatten das Forschungs- und das Gesundheitsministerium gemeinsam den Deutschen Ethikrat im Oktober 2011 beauftragt, eine Stellungnahme zu den gesellschaftlichen Herausforderungen neuer genetischer Diagnosemethoden zu erarbeiten. Der Ethikrat ist das Nachfolgegremium des 2001 gegründeten nationalen Ethikrats und soll politische Entscheidungen im Bundestag vorbereiten, indem er die verschiedenen ethischen Argumente zusammenstellt und gewichtet. In seiner kürzlich vorgelegten Stellungnahme hat sich der Rat nun für umfangreiche gesetzliche Änderungen ausgesprochen.
Aus der großen Menge an genetischen Daten würden Befunde mit unterschiedlicher Qualität erhoben, heißt es in der Stellungnahme. „Die Gefahr von Fehlinterpretationen und Missverständnissen ist groß, wenn genetische Diagnostik nicht auf qualitativ hohem Niveau und unter Berücksichtigung auch nicht genetischer Faktoren angeboten und durchgeführt wird“, betonen die Ethiker. Der Rat empfiehlt deshalb Änderungen im Gendiagnostikgesetz, um angesichts der neuen Entwicklungen hohe Standards bei der Aufklärung und Beratung zu garantieren. Zum Schutz vor Belastungen durch Gentests ohne ärztliche Beratung fordert der Ethikrat zudem verbesserte EU-weite Maßnahmen zur unabhängigen Verbraucheraufklärung sowie zum Patienten- und Verbraucherschutz. Die Mehrheit der Mitglieder des Ethikrates verlangt darüber hinaus, die Durchführung einer genetischen Pränataldiagnostik an das Vorliegen eines erhöhten Risikos für eine genetisch bedingte Störung zu binden. Zudem solle sichergestellt werden, dass lediglich konkrete krankheitsrelevante Gen-Informationen über das Ungeborene mitgeteilt werden und keine bloßen Anlageträgerschaften ohne gesundheitliche Relevanz.
Otmar MüllerGesundheitspolitischer Fachjournalist, Kölnmail@otmar-mueller.de