Der besondere Fall

Knochenstammzellen zur möglichenRegeneration von Parodontaldefekten

219085-flexible-1900
Heftarchiv Zahnmedizin
sp
In dem vorliegenden Fall wird eine innovative Möglichkeit zur Behandlungmassiver parodontaler Knochendefekte mithilfe kommerziell erhältlicher,allogener Knochenmatrices mit darin befindlichen mesenchymalen Stammzellen vorgestellt. Die beschriebene Behandlung könnte eine valide Alternative zu den bisher gebräuchlichen Therapiemethoden darstellen.

Abdulmonem Alshihri, Niloufar Shabazfar, Samuel Koo, Peer W. Kämmerer

Intraossäre Parodontaldefekte werden im Allgemeinen mit Knochenaugmentations- und Guided-Tissue-Regenerationstechniken behandelt [Aichelmann-Reidy und Reynolds, 2008]. Aktuelle Studien konnten in der Parodontologie vielversprechende Ergebnisse bei der Behandlung intraossärer Defekte mithilfe allogener Zellen zeigen [Yamada et al., 2006].

Ein 39-jähriger Patient wurde mit einer alio loco diagnostizierten, massiven, generalisierten Parodontitis zur parodontalen Therapie und implantologischen Versorgung an die Klinik für Parodontologie am Harvard Dental Center, Boston, MA, USA, überwiesen. Anamnestisch gab der Patient lediglich eine vorhergehende kieferorthopädische Behandlung zur Korrektur einer Klasse-III-Malokklusion an.

Die parodontale Eingangsuntersuchung ergab eine generalisierte, fortgeschrittene Parodontits mit konsekutiven Lockerungen einiger Zähne, Rezessionen sowie eine ausgeprägte Gingivitis mit starker sub- und supragingivaler Konkrementbildung. Besonders der Zahn 21 zeigte einen Lockerungsgrad von zwei. Die beiden lateralen Schneidezähne im Oberkiefer (12 und 22) waren bereits verloren gegangen. Die radiologische Untersuchung ergab einen generalisierten Knochenverlust sowie einen ausgeprägten intraossären Defekt distal des Zahnes 21, der bis zum Apex reichte (Abbildung 1). Die Taschentiefe betrug distopalatinal 13 mm. Trotz des massiven Knochenverlusts war der Zahn vital.

Nach der Hygienephase bestand die initiale Parodontaltherapie aus Scaling und Rootplaning aller Zähne in allen Quadranten. Die notwendige Verbesserung und Stabilisierung der Mund-hygiene wurde bei jedem nachfolgenden Behandlungstermin überprüft. Ein umfassender parodontaler und restaurativer Behandlungsplan wurde dem Patienten bei zufriedenstellenden Ergebnissen der Initialtherapie vorgestellt. Die Taschentiefe an 21 war unverändert geblieben. Auch die Blutung bei Sondierung (Bleeding on probing) blieb an dieser Stelle weitestgehend konstant. Daher wurde primär mit der operativen Behandlung des an 21 gelegenen Knochenkraters begonnen. Nach lokaler Anästhesie erfolgte die Bildung eines Mukoperiostlappens ohne vertikale Entlastungsschnitte (Abbildung 2). Der parodontale Defekt wurde gründlich gereinigt. Dessen tiefster Anteil erstreckte sich klinisch bis zum apikalen Drittel der Wurzel. Kommerziell erhältlicher, allogener Knochen mit mesenchymalen Stammzellen (Osteocel, NuVasive, San Diego, CA, USA) wurde nach Herstellerangaben vorbereitet und zum Auffüllen des Defekts verwendet (Abbildung 3).

Nach Stabilisierung durch eine Kollagenmembran wurde der Situs mittels resorbierbarer Naht primär verschlossen. Peri- und postoperativ erhielt der Patient Antibiotika (Amoxicillin dreimal /Tag für drei Tage) und nicht-steroidale Antirheumatika (Ibuprofen bei Bedarf) sowie eine Chlorhexidin-Mundspüllösung. Die postoperativen Nachuntersuchungen ergaben eine unauffällige Wundheilung. Die Nahtreste wurden drei Wochen postoperativ entfernt.

Neun Monate nach der Behandlung stellte sich röntgenologisch eine knöcherne Heilung des aufgefüllten Defekts dar (Abbildung 4). Zu diesem Zeitpunkt ergaben die postoperativen Untersuchungen eine Zunahme an klinischem Attachment und eine sig- nifikante Reduktion der Taschentiefen. Der Zahn blieb vital ohne Zeichen erhöhter Mobilität. Allerdings war als Folge des chirurgischen Eingriffs zu diesem Zeitpunkt ein dezenter persistierender Papillenschwund zwischen den Zähnen 21 und 23 erkennbar (Abbildung 5).

Diskussion

Anhand dieses Falles konnten wir zeigen, dass sich nach der Behandlung massiver intraossärer Parodontaldefekte einwurzeliger Zähne durch allogene Zellmatrices mit mesenchymalen Stammzellen (MSCs) die parodontalen Parameter sowie die röntgenologische Knochenfülle signifikant verbessern lassen.

Während der Knochenheilung spielen native osteoblastäre Progenitorzellen eine wichtige Rolle, nicht nur in der Differenzierung und Mineralisation, sondern ebenso bei der Produktion von Wachstumsfaktoren und Zytokinen, die eine notwendige Voraussetzung für reparative und regenerative Prozesse sind [Caplan und Dennis, 2006]. Traditionelle Quellen zur Gewinnung von osteogenen Progenitorzellen sind autologe Knochentransplantate und Knochenmarksaspirationen. Besonders bei autologen Transplantaten führt deren Entnahme jedoch neben der unumgänglichen zeitlichen Verzögerung der eigentlichen Prozedur zu einer hohen Donormorbidität [Kämmerer et al., 2012]. Autologe Knochenmarks-aspirate stellen eine leicht zugängliche Quelle von Knochenstammzellen dar. MSCs aus dem Beckenkamm in Kom-bination mit thrombozytenreichem Plasma wurden bereits erfolgreich zur Behandlung von Knochendefekten eingesetzt [Yamada et al., 2006]. Allerdings werden bei Aspirationen nur relativ geringe Konzentrationen an relevanten Zellen erreicht. Weiterhin wurde eine breite Streuung der inter-individuellen Zellqualitäten zwischen unterschiedlichen Patienten nachgewiesen [Muschler et al., 1997; Hernigou et al., 2005].

Kommerziell erhältliche allogene Knochenmatrices – in Deutschland im Gegensatz zu den USA weniger verbreitet – die als Gerüst für MSCs dienen, wurden bereits in verschiedenen klinischen Anwendungsgebieten, in unserem Gebiet vor allem zur Augmentation des Kieferhöhlenbodens, umfassend und mit verlässlichen Ergebnissen eingesetzt [Hernigou et al., 2005; Gonshor et al., 2011].

In dem hier vorgestellten Fall war die Quelle der implantierten osteogenetischen Zellen eine kommerziell erhältliche alloplastische Knochenmatrix. Diese besteht aus zellreichem spongiösem sowie demineralisiertem kortikalem Knochen eines humanen Donors.

Vorteile dieses Materials sind potenziell hohe Zellkonzentrationen ohne die Risiken der Entnahmestellen-Morbidität. Fremdkörperreaktionen in Zusammenhang mit derartigen allogenen, gereinigten Transplantaten sind unwahrscheinlich [Ryan et al., 2005; Krampera et al., 2003; Griffin et al., 2010]. Dennoch können Immunogenität und Abstoßungsreaktionen auf MSCs nicht vollständig ausgeschlossen werden. Eine weitere Limitation des zellulären allogenen Transplantats ist die relative Größe der Partikel, die das Einpassen gerade bei zierlicheren Defekten erschwert. Die Partikelgröße kann allerdings beispielsweise mit einer Knochenzange reduziert werden. Selbstverständlich handelt es sich hier nur um die Vorstellung eines Falles mit einer vergleichsweise kurzen Nachbeobachtungszeit. Weitere, systematische klinische Studien sowie histologische Experimente sind erforderlich, um die evidenzbasierte Behandlung tiefer intraossärer Parodontaldefekte durch zelluläre Allografts zu stützen.

Dr. Abdulmonem AlshihriDepartment of Restorative and Biomaterial SciencesHarvard School of Dental MedicineBoston, MA, USA

Dr. Niloufar ShabazfarPraxis Dr. Tsantilis & KollegenMainz

Dr. Samuel KooDepartment of Oral Medicine, Infection and ImmunityHarvard School of Dental MedicineBoston, MA, USA

Dr. Dr. Peer W. Kämmerer

Harvard Medical SchoolBoston, USA undKlinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie – plastische OperationenUniversitätsmedizin Mainzpeer.kaemmerer@gmx.de

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.