Fortbildung: Kiefergelenk

Chirurgische Verfahren bei Erkrankungen des Kiefergelenks

Andreas Neff
Patienten mit CMD, bei denen eine arthrogene Leitkomponente im Vordergrund der Beschwerden steht, sind für den funktionstherapeutisch tätigen Zahnarzt eine besondere Herausforderung. Denn die üblichen konservativen Therapiemaßnahmen stoßen bei ihnen häufig an ihre Grenzen. Chirurgische Verfahren stellen für diese Indikation eine effiziente und zielführende Ergänzung des therapeutischen Spektrums dar, wobei diejenigen Maßnahmen oberste Priorität erhalten sollten, die geeignet sind, das Gleichgewicht zugunsten der Reparaturmechanismen zu verschieben [de Bont, 1998]. Dieser Artikel gibt einen Überblick über das Indikationsspektrum der wichtigsten chirurgischen Verfahren in der Therapie arthrogener Erkrankungen, die im Zusammenhang mit der CMD stehen.

Andreas Neff

Für die CMD wird heute eine interdisziplinär ausgerichtete Diagnostik und Therapie als Standard gefordert. Der Chirurgie jedoch wird im Widerspruch hierzu in der gelebten Realität häufig erst eine Rolle am Ende der diagnostisch-therapeutischen Stufenleiter im Sinne einer Reservetherapie zugewiesen. Die Physiotherapie in Kombination mit einer Schienentherapie hat oftmals einen entscheidenden Anteil am guten funktionellen postoperativen Outcome. Insofern ist der positive Einfluss konservativer Therapie-maßnahmen vor sowie insbesondere nach chirurgischen Interventionen unumstritten [de Leeuw, 2008]. Andererseits müssen aber die rein konservativen, meist primär okklusal orientierten Therapieverfahren bei arthrogenen Erkrankungen bei schätzungsweise 20 Prozent der Patienten an ihre Grenzen stoßen [Badel et al., 2009; Jürgens, 2003; Neff, 2003; Neff Gündel, 2006]. Allerdings ist bei der Patientengruppe, die konservativ nicht erreicht wird, die Chronifizierung der Beschwerden eine unmittelbare Folge [Sandkühler, 2001].

Demgegenüber besteht heute eine sehr gute Evidenz dafür, dass gerade durch den frühzeitigen Einsatz chirurgischer Verfahren der Verlauf arthrogener Erkrankungen hinsichtlich Schmerz und Verbesserung des Funktionsumfangs günstig beeinflusst werden kann [Diraçoğlu et al. 2009; Sanromán 2004; Sembronio et al. 2008]. Außerdem bietet die Chirurgie mit ihren diagnostischen und minimal-invasiv-therapeutischen Verfahren die Möglichkeit, auch für möglicherweise erforderliche, weiterführende invasive Maßnahmen schon frühzeitig adäquate Therapieentscheidungen treffen zu können. Dem funktionstherapeutisch tätigen Zahnarzt bietet die Chirurgie damit die Option an, im interdisziplinären Setting das therapeutische Spektrum zu erweitern. Das ist speziell für den Patienten mit arthrogener Leitkomponente von Vorteil. Dies gilt sowohl für die Akut-Therapie als auch für die Behandlung konservativ therapieresistenter Fälle. Der zahnärztlichen Praxis kommt dabei eine besondere Verantwortung für eine frühzeitige Weichenstellung bei der Therapieplanung zu. Hierfür ist es besonders wichtig, alle möglichen Diagnostik- und chirurgischen Therapieoptionen genau zu kennen.

Im Folgenden soll in erster Linie auf die in der zahnärztlichen Praxis häufigen Krankheitsbilder eingegangen werden. Damit sind die operative Therapie der Funktionsstörungen und degenerative Erkrankungen des Diskus-Kondylus-Komplexes, entsprechend den Gruppen II (Diskusdislokationen) und III (Osteoarthritis/Osteoarthrose) gemäß Klassifikation der RDC/TMD [Dworkin und Le Resche, 1992] gemeint. Bei den selteneren Krankheitsbildern – wie zum Beispiel Entwicklungsstörungen, Tumoren, Traumatologie und die aktuell in den Fokus des Interesses gerückte Rekonstruktive Chirurgie mit autologem oder alloplastischem Ersatz des Kiefergelenks – sei auf die entsprechende weiterführende Literatur verwiesen [Reich von Lindern, 2002, 2007; Reich Martini, 2011; Reich Teschke, 2012].

Wenngleich die Indikation für interventionell-chirurgische Maßnahmen, wie die Arthrozentese oder die Arthroskopie mit Lysis und Lavage bei Patienten mit arthrogener Leitkomponente, heute deutlich früher gestellt werden sollte [Diraçoğlu et al., 2009; Murakami et al., 1995; Sembronio et al., 2008], besitzt der Grundsatz weiterhin Gültigkeit, dass chirurgische Maßnahmen am Kiefergelenk in der Regel nur dann indiziert sind [Ahlers et al., 2005; Reich, 2000], wenn:

a) morphologisch fassbare Gründe für Funktionsstörungen oder Schmerzen vorliegen, die durch eine fachgerechte und konsequente konservative Therapie nicht adäquat und effizient zu beseitigen sind und

b) die chirurgische Therapie darüber hinaus eine ausreichende Erfolgsaussicht auf Beseitigung der grundlegenden Symptomatik aufweisen kann.

Finden diese Grundsätze Beachtung, bietet die Chirurgie eine auf hohem Evidenzniveau abgesicherte Therapieoption, Funktion und Beschwerden positiv zu beeinflussen und für die Patienten oftmals beschwerliche Krankheitsverläufe abzukürzen [Neff Gündel, 2006].

Arthropathien: Indikation chirurgischer Maßnahmen

Eine Indikation zur chirurgischen Therapie kann gegeben sein bei einer CMD mit arthrogener Leitkomponente (RDC/TMD-Gruppen II und III [Dworkin LeResche, 1992]) bei einer Vielzahl von Krankheitsbildern. Neben der Osteoarthritis/Osteoarthrose (Abbildungen 1) spielen in der Praxis dabei vorwiegend Form- und Lageveränderungen des Diskus (Wilkes-Stadien (II), III-V [Wilkes, 1989]) eine Rolle [de Bont, 1998; Nitzan et al., 1991]. Daneben ist ein primär chirurgisches Vorgehen indiziert, zum Beispiel bei ausgeprägten Limitationen der Mundöffnung, wie im Rahmen einer posttraumatischen oder postradiogenen Ankylose, ebenso bei Hypermobilitätsstörungen (Beispiel: fixierte Kondylusluxationen), soweit hier nicht EMG-gesteuerte Injektionen von Botulinumtoxin in den M. pterygoideus lateralis als Alternative zur Verfügung stehen.

Weitere Indikationen sind eine Mitbeteiligung des Gelenks bei chronisch rheumatischer Arthritis (pcP), Psoriasis arthropathica und Spondylarthritis ankylopoetica (M. Bechterev), M. Reiter (Urethro-okulo-synoviales Syndrom) und systemischen Erkrankungen wie Gicht und Pseudogicht (Chondro- kalzinose). Dies gilt auch bei Entwicklungsstörungen (wie etwa kondyläre Hyperplasie, Agenesie), Tumoren und weiteren seltenen Erkrankungen (zum Beispiel synoviale Chondromatose, Osteochondrome und andere mehr) (Abbildung 2).

Das chirurgische Spektrum bei Arthropathien reicht von den minimal-invasiven Eingriffen (Arthrozentese, Arthroskopie) – die heute bei inadäquatem Ansprechen konservativer Therapiemaßnahmen evidenz-basiert auf dem Level 1b [Dimitroulis et al., 1995; Diraçoğlu et al., 2009; Murakami et al., 1995] dem Spektrum der First-Line- Therapie zugeordnet werden – bis hin zur Arthrotomie und zum alloplastischen Gelenkersatz. Hierbei hat sich hinsichtlich der Invasivität der Maßnahmen eine Stufenleiter der Therapie bewährt [Politi et al., 2007; Reich, 2000]. Solange a priori keine Indikation für einen offenen gelenkchirurgischen Eingriff (wie bei kondylärer Hyperplasie, Ankylose und mehr) gegeben ist, sollte eine Arthrotomie in der Regel erst nach adäquater Verlaufskontrolle durchgeführt werden. Das bedeutet: je nach Indikation zwischen drei bis 18 Monaten nach erfolgloser minimal-invasiver Therapie.

Die Vielzahl der anwendbaren therapeutischen Mittel entspricht dabei der Vielfalt der klinischen Verlaufsformen. Dies ermöglicht eine individuelle Auswahl der jeweils geeigneten therapeutischen Maßnahmen [Reich, 2000; Reich Teschke, 2012].

Die Aussicht auf die Beseitigung funktionsabhängiger arthrogener Beschwerden ist dabei für chirurgische Eingriffe am Kiefergelenk umso besser, je klarer die Symptomatik auf das Gelenk lokalisiert ist. Überlagernde muskulär-funktionelle Komponenten des Beschwerdebildes müssen daher insbesondere vor invasiven chirurgischen Eingriffen soweit wie möglich ausgeschaltet werden, anderenfalls sinkt die Erfolgschance gelenkchirurgischer Maßnahmen [Ahlers et al., 2005; Holmlund, 1993].

Spektrum chirurgischer Verfahren

Wesentliche Grundpfeiler der chirurgischen Verfahren bei der Therapie arthrogener Erkrankungen im Zusammenhang mit CMD (RDC/TMD-Gruppen II und III [Dworkin LeResche, 1992]) sind die Arthrozentese, die Arthroskopie und die Arthrotomie, die im Folgenden näher beleuchtet werden.

Arthrozentese:

Die Arthrozentese (Abbildung 3) steht gemäß internationaler Literatur am Beginn der Stufenleiter minimal-invasiver Verfahren und kann heute auf evidenz-basiertem Niveau [Diraçoğlu et al., 2009; Murakami et al., 1995] als First-line-Verfahren bereits in der Akut-Therapie empfohlen werden. Der Arthrozentese wird speziell bei der akuten Diskusverlagerung (Zeitfenster 24 bis 48 Stunden [Sembronio et al., 2008; Undt, 2004]) eine relativ sichere therapeutische Wirkung hinsichtlich Mobilitätsverbesserung und Schmerzreduktion zugeschrieben [Dolwick Nitzan, 1994; Hosaka et al.,1996; Murakami et al., 1985, 1987; Nitzan, 1998; Nitzan et al., 1991]. Die Erfolgsrate wird mit 60 bis zu 79 Prozent angegeben [Nitzan, 1998; Nitzan et al., 1991; Sato et al., 1997, 1999, 2001]. Schmerzfreiheit wird langfristig bei etwa 23 Prozent erreicht [Alpaslan et al., 2003].

Nach Lokalanästhesie wird der obere Gelenkspalt mit zwei Injektionskanülen punktiert und zur Vermeidung von Irritationen des Gleichgewichtsorgans mit vorgewärmter Ringer- oder NaCl-Lösung gespült. Durch intermittierenden Druckaufbau („Pumping“ [Murakami et al., 1987]) wird der Gelenkspalt aufgedehnt und lavagiert, das heißt, der synoviale Gehalt an Entzündungsmediatoren wird durch eine Spülung (etwa 100 bis 150 ml) des Gelenkbinnenraums reduziert. Weiterführende diagnostische Aussagen über die artikuläre Pathologie sind allerdings bei der Arthrozentese nicht gegeben. Hier ist der Arthroskopie der Vorzug zu geben [Murakami et al., 1995].

Arthroskopie:

Die Arthroskopie [Murakami, 1981; Ohnishi, 1975, 1991] nimmt seit nunmehr fast 30 Jahren einen festen Platz in der Diagnostik und Therapie des Interna Derangement ein (Diskusfunktionsstörungen und degenerative Erkrankungen, Wilkes-Stadien III-V [Wilkes, 1989]). Unterschieden wird hier grundsätzlich zwischen einer diagnostischen beziehungsweise diagnostisch-therapeutischen und einer minimal-invasiv-chirurgischen (interventionellen) Arthroskopie.

a) Unter einer diagnostischen Arthroskopie des Kiefergelenks versteht man die reine Inspektion der Gelenkstrukturen (Abbildung 4), wobei diese auch nach Einführung der MRT-Untersuchung der Kiefergelenke ihre Berechtigung keinesfalls vollständig verloren hat. Die Arthroskopie erlaubt eine gezielte Inspektion des oberen Gelenkspalts und liefert im Rahmen der diagnostischen Arthroskopie im Vergleich zu den bildgebenden Verfahren einschließlich MRT den höchsten Informationsgrad [Bergé et al., 2001; Neff et al., 2002; Reich, 2000; Reich von Lindern, 2002, 2007].

Über die MRT-Diagnostik deutlich hinausgehend liefert hier die Arthroskopie Informationen über den Entzündungsgrad der Synovia (Abbildung 5). So detektiert beziehungsweise sichert sie Diskusperforationen (Abbildung 6) und kann die Erklärung für unklare Befunde liefern (Abbildung 7). Diese können in der MRT beispielsweise aufgrund eingeschränkter Beweglichkeit nicht diagnostiziert werden, wenngleich das CINE-MRT heute in vielen Fällen eine ausreichende Aussage über zugrunde liegende Bewegungsstörungen liefern kann [Neff et al., 2000, 2002].

Zum Einsatz kommen in der Regel Arthroskope mit einem Schaftdurchmesser zwischen 1,9 und 2,4 mm. In jüngster Zeit sind jedoch auch praxistaugliche portable diagnostische Arthroskope mit einem Durchmesser von 0,9 mm beziehungsweise 1,2 mm auf den Markt gekommen. Die Gelenkpunktion zur diagnostischen und therapeutischen Arthroskopie erfolgt meist in der von Murakami beschriebenen Doppelpunktionstechnik [Murakami, 1981] (siehe Abbildung 3c). Über einen distalen Port (meist 30 Grad Hopkins-Optik mit Arbeits- und Spülschaft über den Zenit des Gelenks) und eine Gegenpunktion am dorsal-kaudalen Abhang der Eminentia articularis für den Arbeits- und Spülkanal (Auslass der Spülflüssigkeit) kann eine Visualisierung der intraartikulären Pathologie unter Funktion bei gleichzeitig kontinuierlicher Lavage des oberen Gelenkspalts erfolgen. Unter Einsatz zusätzlicher Instrumente (wie etwa Einsatz einer Häkchensonde über den zweiten Port) kann die Ausprägung einer Chondromalazie beurteilt werden. Eine Visualisierung des unteren Gelenkspalts gelingt dagegen nur bei Vorliegen einer größeren Diskusperforation (siehe Abbildung 6). Im Rahmen der therapeutischen Arthroskopie ermöglichen die Lysis und die Lavage-Technik (Prinzip: Druckerhöhung im Gelenkraum mit 100 bis 150 ml erwärmter Ringerlösung, Druckwerte um 45 bis 50 mmHg bis maximal 200 mmHg zur Adhesiolyse [Yura et al., 2003]) sowie die manuelle Manipulation mittels Taststab in der sogenannten Triangulationstechnik das Lösen geringgradiger Adhäsionen im oberen Gelenkspalt. Die forcierte Lavage reduziert Entzündungsmediatoren. So wird neben der Änderung der Zusammensetzung der Synovialflüssigkeit und der Veränderung der Viskosität der Anteil freier Radikale diskutiert [Gaßner et al., 2000; Nitzan et al., 2001]. Für anspruchsvollere Techniken im Rahmen der interventionellen arthroskopischen Verfahren [Pedroletti et al., 2010] kann unter Umständen auch ein dritter Port erforderlich werden. Insbesondere wenn im Gelenk Manipulationen in Triangulationstechnik (koordinierte Führung der Arbeits- und Sichtkanals unter kontinuierlicher Visualisierung des Arbeitskanals) durchgeführt werden, sollen Arbeits- und Sichtkanal im Gelenk möglichst unter einem angenäherten 60-Grad-Winkel aufeinandertreffen (Abbildung 8). Aktuell wurden Mehrkanaloptiken basierend auf Kleingelenkoptiken eingeführt. Hier sind Spül-und Arbeitskanal in den Endoskopschaft integriert, was operative Manipulationen unter direkter Sicht erleichtert (Abbildung 9).

Eine weitere interventionelle Möglichkeit bietet das intraoperative Shaving. Hierbei können unter Verwendung eines Mikromotors (Abbildung 8c, 8d und 10) Oberflächenveränderungen des Diskus beziehungsweise der synovialen Binnenstrukturen bearbeitet werden, so etwa hypertrophe Knorpelformationen bei Diskusperforationen und bindegewebige Zotten (Abbildung 11) an der Diskusoberfläche [Neff, 2013; Reich, 2000]. Das Spektrum arthroskopischer Operationen bietet auch Ansatzmöglichkeiten zur Therapie bei Diskusverlagerungen.

Je nach Klinik kann durch eine anteriore, posteriore oder laterale „Release-Operation“ mittels Laser [Kaneyama et al., 1998], Mikroinstrumenten, Wasserstrahlskalpell oder aber durch Retrofixationverfahren mit intra-extraartikulären Nähten oder Ankern [Ohnishi, 1991; Mc Cain et al., 1992b; Mehra Wolford, 2001; Wolford Mehra, 2001] Einfluss auf die Diskusposition genommen werden. Grundsätzlich besteht gemäß Literatur kein entscheidender Unterschied bezüglich des Einsatzes etwa des Holmium-Yag-Lasers (Wellenlänge 2,1 µm, Koagulation mit 0,6 Joule, Schneiden mit 0,8 Joule, 10 Pulse/sec), der aufgrund der geringen Wärmeentwicklung derzeit bevorzugt eingesetzt wird [Koslin Martin, 1993], oder mittels des Elektrokauter [Kaneyama et al., 1998]. Bei einem elongierten hinteren Aufhängungsband kann durch gezielte Thermokoagulation ein Schrumpfungsprozess und durch punktuelle Verödung eine Straffung des dorsalen Aufhängebands induziert werden [Reich, 2000; Reich Teschke, 2012; Undt, 2004]. Durch die Ausschaltung nozizeptiver Rezeptoren wird zusätzlich eine effektive schmerzreduzierende Wirkung erzielt. Nach Reich steht derzeit eine abschließende wissenschaftliche Bewertung noch aus [Reich, 2000; Reich Teschke, 2012; Undt, 2004], inwieweit die – speziell in der (traditionell eher invasiven) amerikanischen und japanischen arthroskopischen Chirurgie etablierte – Laserchirurgie die Behandlungsergebnisse der Arthroskopie noch verbessern kann. Die Arthroskopie mit Lysis und Lavage erlaubt insgesamt ein besseres Verständnis der zugrunde liegenden Pathologien, gegebenenfalls auch unterstützt durch den Einsatz von Hyaluronsäure [Aktas et al., 2010; Nitzan et al., 2001; Sato et al., 2001; Yeung et al., 2006]. Auch bietet sie durch die Erfassung von Adhäsionen und Narben, Perforationen sowie des Zustands der Synovia und mehr die Möglichkeit, bei fortgeschrittenen strukturellen Veränderungen eine fundierte Entscheidung zu offen-gelenkchirurgischen Eingriffen zu treffen [de Bont, 1998; Reich, 2000; Reich Teschke, 2012]. Die Komplikationsrate der Arthroskopieverfahren wird in der Literatur als niedrig angegeben und liegt unter Einschluss geringfügiger Komplikationen bei 1,3 Prozent [Westesson et al., 1986].

Arthrotomie:

Am weitesten verbreitet sind verschiedene Modifikationen des präaurikulären Zugangs zum Gelenk, daneben findet sich als elegante Alternative der retroaurikuläre Zugang [Neff et al., 2001; Rasse, 2000; Reich, 2000; Reich Bothe, 1990; Worthington, 1980]. Oft wird im Zusammenhang mit offener Gelenkchirurgie außerdem der submandibuläre Zugang genannt, wobei dieser jedoch nur im Rahmen der rekonstruktiven oder resektiven Chirurgie, etwa bei Exartikulation oder alloplastischem Gelenkersatz eine Rolle spielt [Reich Teschke, 2012]. Häufigstes Argument gegen Eingriffe am Kiefergelenk stellt die Läsionsgefahr für den Nervus facialis dar [Baker et al., 1998]. Während gemäß einer Multicenterstudie an 4 831 Gelenken das Risiko arthroskopischer Verfahren (0,6 Prozent temporäre, 0,2 Prozent permanente Fazialisläsionen) als äußerst gering angesehen wird [Bergé et al., 2001; Mc Cain et al., 1992b; Neff et al., 2001; Reich von Lindern, 2002, 2007], gelten offen-gelenkchirurgische Verfahren aufgrund der komplizierten Anatomie des Gebiets dagegen als vermeintlich risikobehaftet [Baker et al., 1998; Peroz, 1998]. Für die funktionelle Gelenkchirurgie ist es sowohl beim präaurikulären [Worthington, 1980; Rasse, 1993] als auch beim retroaurikulären Zugang [Axhausen, 1931; Bockenheimer, 1920; Reich Bothe, 1990] entscheidend, auf der tiefen Temporalisfaszie vorzupräparieren, um die Frontaläste des Nervus facialis sicher zu schonen. Beide Zugänge bieten – die korrekte Operationstechnik vorausgesetzt – eine gute Sicherheit vor permanenten Läsionen des N. facialis. Lediglich temporäre Ausfälle treten in einer Häufigkeit von etwa sechs bis maximal 15 Prozent auf, die Dauer beträgt hier etwa zwei bis drei Monate [Neff et al., 2001]. Im Gegensatz zu der meist völlig überschätzten Gefahr von Fazialisläsionen bei offener Gelenkchirurgie stellen vielmehr Ausfälle des N. auriculotem poralis (Rate an Hypästhesien in der Traumatologie zwischen zehn und 50 Prozent [Neff et al., 2001]) die eigentliche operationstypische Komplikation der Arthrotomie dar.

Chirurgische Therapien bei arthrogenen Erkrankungen

Unter klinisch-therapeutischen Aspekten ist es bei den arthrogenen Erkrankungen im Zusammenhang mit der CMD (RDC/TMD-Gruppen II und III [Dworkin LeResche, 1992]) sinnvoll, die Störungen der Diskusmobilität und die kondyläre Hypermobilität gemäß Klassifikation der RDC/TMD im Sinne einer eigenständigen Gruppe II von der Ostearthritis/Osteoarthrose (Gruppe III) abzugrenzen. Ätiologisch werden für die Gruppe II insbesondere Visikositätsveränderungen als Ursache für strukturelle Veränderungen verantwortlich gemacht [Nitzan et al. 2001], deren funktionelle Aspekte in der Gruppe II RDC/TMD gegenüber der chondrozytären und entzündlichen synovialen Pathologie der Gruppe III im Vordergrund stehen. Speziell bei den Limitationen der Diskusmobilität liegen fortgeschrittene strukturelle Veränderungen des diskoligamentären Apparats und dessen Funktionsgeometrie zugrunde [Gaßner et al., 2000; Neff et al., 2000; Nitzan et al., 2001]. Diese werden als fakultative Vorstufe der osseodestruktiven pathologischen Veränderungen der Gruppe III (siehe Abbildung 1) verstanden [Bjørnland Haanæs, 1999; Dimitroulis et al., 1995].

Hypermobilitätsstörungen von Diskus und Kondylus

Die Bewegungsstörungen (RDC/TMD- Gruppe II [Dworkin LeResche, 1992]) beruhen hier auf einer übermäßigen Auslenkung des Diskus beziehungsweise des Kondylus. Ursächlich dürfte in erster Linie eine Überaktivität der protrahierenden Muskelgruppe, insbesondere des M. pterygoideus lateralis, sein. Zusätzlich zur muskulären Imbalance werden strukturelle und morphologische Veränderungen des diskoligamentären Apparats diskutiert [Reich, 2000; Nitzan et al., 2001], die Folgen einer Viskositätsänderung der synovialen Flüssigkeiten insbesondere auch durch Bruxismus sind.

Hypermobilität des Diskus:

Klinisch imponiert die Hypermobilität des Diskus in Form inkonstanter, von der Bewegungsgeschwindigkeit abhängiger Knackphänomene. Intermittierend treten mechanische, teilweise schmerzhafte Blockadephänomene auf, die von den betroffenen Patienten mit individuellen kondylären Ausgleichsbewegungen kompensiert werden. Je nach teilweise wechselnder Verlagerungsrichtung des Diskus kann sowohl eine Kieferklemme, eine Kiefersperre oder auch ein seitlich offener Biss auftreten – insbesondere infolge der dabei auftretenden, meist lateralen Impingement-Phänomene. Therapeutisch steht neben den Tonus reduzierenden Maßnahmen vor allem eine krankengymnastische Förderung antagonistischer Muskelgruppen im Vordergrund. Hierdurch sollen kompensatorische Muskelkräfte gefördert werden [Reich, 2000].

Chirurgische Maßnahmen sind nur bei therapierefraktärem Verlauf und hinreichender Beschwerdesymptomatik indiziert. Invasive (auch endoskopische) Verfahren, die auf eine den Bewegungsumfang limitierende Fixation des Diskus etwa mittels Retrofixationsverfahren mit intra-extraartikulären Nähten oder Ankern [Mc Cain et al., 1992a; Mehra Wolford, 2001; Ohnishi, 1991; Wolford Mehra, 2001] abzielen, werden teilweise kritisch bewertet [Jaquiéry et al., 2001; Leonardi et al., 2007]. Sie bergen potenziell die Gefahr einer komplikationsbehafteten Übertherapie [Dolwick Nitzan, 1994; Jaquiéry et al., 2001; Nitzan et al., 2000].

Ein diametrales Konzept verfolgt die Ramusosteotomie. Der Kondylus wird hier unter Sicherung der Okklusion über eine mandibulomaxilläre Fixation und bei Verzicht auf eine rigide Osteosynthese weitgehend einer „Selbstzentrierung“ überlassen. Über konsekutive Adaptationsvorgänge wird auf eine Harmonisierung der Bewegungsabläufe abgezielt. Allerdings stehen für dieses doch deutlich invasive Verfahren – ebenso wie für die minimal-invasive endoskopische Bandverödung (laser assisted capsular shrinkage, LACS), aktuell mit dem Holmium-YAG-Laser (Wellenlänge 2,1 µm) – derzeit weiterhin aussagekräftige Langzeitergebnisse mit ausreichenden Fallzahlen aus [Reich, 2000; Undt, 2004].

Kondyläre Hypermobilität:

Die kondyläre Hypermobilität mit rezidivierenden Luxationen (nicht fixierte und fixierte Form [Reich, 2000]) wurde bei Versagen der konservativen Therapie bisher meist einer chirurgischen Therapie zugeführt. Die Eminektomie (heute meist modifiziert als extrakapsuläre Ostektomie des vorderen Tuberkulumanteils) im Sinne einer „Entriegelung“ hatte sich hier gegenüber den bewegungslimitierenden osteoplastischen „Verriegelungsoperationen“ beziehungsweise Zügelplastiken mit Dermislappen oder Temporalisfaszie durchgesetzt [Köle, 1980; Reich, 2000; Reich von Lindern, 2002, 2007; Reich Teschke, 2012; Tucker et al., 1986]. Aktuell kommt alternativ auch die temporäre Blockade des Musculus pterygoideus lateralis mit Botulinumtoxin A als wenig invasives Verfahren zum Einsatz (Wirkdauer zwischen drei und sechs Monaten) [Umstadt, 2002]. Da das Verfahren prinzipiell risikoarm und reversibel ist, könnten die chirurgischen Maßnahmen auf therapierefraktäre Fälle beschränkt werden. Allerdings stellt der Einsatz von Botulinumtoxin bis dato einen „off-label-use“ dar, der nicht zum Leistungsumfang der GKV gehört. Daher erfordert die Wahl dieser Methode ein individuelles Sondergenehmigungsverfahren. Auch können in der Regel längerfristige Nachinjektionen erforderlich werden.

Dysmorphologien von Diskus und Kondylus

Die konservative Therapie mit Positionierungsschienen bietet durch Entlastung der geschädigten Gelenkstrukturen bei arthrogenen Erkrankungen (Gruppen II und III [Dworkin LeResche, 1992]) die Möglichkeit zur Regeneration beziehungsweise Adaptation [Reich, 2000]. Sie erreicht aber – entgegen älteren Vorstellungen – in der Regel nicht die Reposition eines degenerativ veränderten Diskus (ADDmR beziehungsweise ADDoR) [Badel et al., 2009; Haketa et al., 2010; Schmitter et al., 2005; Stiesch-Scholz et al., 2005]. Ebenso wenig sind dazu die minimal-invasiven Verfahren der Arthrozentese beziehungsweise der Arthroskopie in der Lage [Bergé et al., 2001; Dolwick Nitzan, 1994; Nitzan, 1998; Nitzan et al., 1991]. Letztere bieten allerdings eine wichtige Erweiterung des therapeutischen Spektrums, da die Lavage des Gelenks – eventuell in Kombination mit der Applika- tion von Hyaluronsäure [Aktas et al., 2010; Nitzan et al., 2001; Sato et al., 2001; Yeung et al., 2006] – in etwa 30 bis 50 Prozent eine rasche, zum Teil auch längerfristig anhaltende Schmerzreduktion erreichen kann [Bergé et al., 2001; Reich, 2000; Undt, 2004].

Unter Einsatz minimal-invasiver Verfahren kann gemäß Literatur sogar in bis zu 80 Prozent Schmerzfreiheit erzielt werden [Kurita et al., 1998; Ohnishi, 1975, 1991; Reich, 2000]. Die Arthroskopie liefert darüber hinaus durch die Erfassung von Perforationen und Adhäsionen, durch Ermitteln des Zustands der Synovia und mehr die Möglichkeit, bei fortgeschrittenen strukturellen Veränderungen die Entscheidung zu weiteren, gegebenenfalls offen-gelenkchirurgischen Eingriffen zu treffen. Bei strenger Indikationsstellung kann dadurch der Verlauf einer Diskusdislokation mit deutlicher Funktionseinschränkung – beziehungsweise auch im Fall einer schmerzhaften Osteoarthritis – sinnvoll abgekürzt werden. Ebenso kann am Symptom orientiert effektiver therapiert werden [Neff, 2003, 2006; Reich, 2000]. Das Spektrum minimal-invasiver Verfahren richtet sich dabei nach der Indikation. Es umfasst beispielsweise das Motor-Shaving bei Diskusperforation und Arthrose, die punktuelle Verödung des dorsalen Aufhängebands mittels Elektrokauter [Kaneyama et al., 1998], Nd:Yag-Laser [Ohnishi, 1991] beziehungsweise Holmium-Laser [Koslin Martin, 1993]. Ebenso umfasst es posteriore, laterale oder anteriore Release-Operationen mittels Laser oder Wasserstrahlskalpell sowie Retrofixationverfahren mit intra-extraartikulären Nähten oder Ankern [Mc Cain et al., 1992a; Mehra Wolford, 2001; Ohnishi 1991; Wolford Mehra, 2001].

Die Arthroskopie mit Lysis und Lavage, optional unterstützt durch den Einsatz von Hyaluronsäure [Aktas et al., 2010; Nitzan et al., 2001; Sato et al., 2001; Yeung et al., 2006], erlaubt insgesamt ein besseres Verständnis der zugrunde liegenden Patho- logien und bietet durch die Erfassung von Adhäsionen, Narben, Perforationen sowie des Zustands der Synovia und mehr die Möglichkeit, bei fortgeschrittenen, strukturellen Veränderungen eine fundierte Entscheidung zu offen-gelenkchirurgischen Eingriffen zu treffen [de Bont, 1998; Reich, 2000].

Als standardisierte operative Verfahren mit guten funktionellen Ergebnissen stehen hier evidenzbasiert die Diskektomie (siehe Abbildung 1) mit und ohne Diskusersatzplastik [Dimitroulis et al., 1995; Eriksson Westesson, 1986; Hall et al., 2000, 2005; Miloro Henriksen, 2010] sowie die hohe Kondylotomie [Hall et al., 2000, 2005] zur Verfügung. Neuerdings werden auch wieder Retrofixationsverfahren mit Ankern (zum Beispiel Mitek-Anker) oder Nähten propagiert [Mehra Wolford, 2001; Wolford Mehra, 2001]. Diese besitzen allerdings nur in frühen Phasen der Diskusdegeneration (ADDmR) Aussicht auf Erfolg und werden für spätere Phasen kritisch bewertet [Jaquiéry et al., 2001; Leonardi et al., 2007]. Das Spektrum chirurgischer Verfahren muss dabei im historischen Kontext gesehen werden. Während in den 80er-Jahren die Repositionierung des Diskus angestrebt wurde (speziell die oben genannten Retrofixationsverfahren [Mc Cain et al., 1992b; Mehra Wolford, 2001; Ohnishi, 1991; Wolford Mehra, 2001]), standen in den vergangenen Jahren eher die Release-Operationen im Vordergrund. Denn sie zielen durch Ausschaltung des Zuges auf das schmerzempfindliche posteriore Band beziehungsweise dessen strukturelle Veränderung (Verödung, Exzision, posteriorer Release) oder anterior-laterale Releaseverfahren auf eine Schmerzreduktion und die Verbesserungen der Anpassungsbedingungen im Gelenk ab [Kaneyama et al., 1998]. Der laterale Release, bei dem die arthroskopische visuelle Kontrolle nur eingeschränkt möglich ist, wird bei Briden im oberen Gelenkspalt (siehe Abbildung 7c), das heißt bei Blockaden infolge eines lateralen Impingements durchgeführt [Undt, 2004]. Die sogenannte Akutarthroskopie unter dem Ziel einer Diskusreposition bei der akuten Diskusverlagerung ist nur 24 bis maximal 48 Stunden nach dem Akut-Ereignis sinnvoll und – wenn überhaupt – Erfolg versprechend [Sembronio et al., 2008; Undt, 2004]. Anschließend wird der Einsatz einer Distrak- tionsschiene empfohlen, deren Effizienz im Rahmen einer aktuellen prospektiv-randomisierten Studie aber infrage gestellt wird [Schmitter et al., 2005]. Der anterior mediale Zug durch den M. pterygoideus lateralis soll gegebenenfalls durch einen anterioren Release aufgehoben werden [Kaneyama et al., 1998]. Während Release-Operationen grundsätzlich auch arthroskopisch durchgeführt werden können, erfordern die Diskektomieverfahren und die hohe Kondylotomie (synonym: hohe Kondylektomie, siehe Abbildung 1) offene Zugänge zum Gelenk [Hall et al, 2000, 2005]. Zum Einsatz kommen verschiedene Varianten des präaurikulären und des retroaurikulären Zugangs [Rasse, 1993, 2000; Reich, 1990; Worthington, 1980]. Ziel der hohen Kondylotomie ist die Abtragung der oberen Gelenkfläche bis in den subchondralen Raum, um durch die Gelenkspalterweiterung und durch den postoperativen Gelenkumbau die die Funktion verbessernden adaptiven Prozesse zu forcieren. Evidenzbasiert ist dieses Verfahren der Diskektomie mindestens ebenbürtig. Das Prinzip der hohen Kondylektomie kommt übrigens auch zur Ausschaltung des szintigrafisch gesicherten Wachstumszentrums bei der kondylären Hyperplasie zum Einsatz [Wolford et al., 2009].

Die diskoligamentären Weichteile werden bei gelenkchirurgischen Eingriffen zur Therapie der RDC/TMD-Gruppen II nach Möglichkeit erhalten beziehungsweise rekonstruiert, falls dies in Hinblick auf die strukturellen Veränderungen des diskoligamentären Apparats noch Erfolg versprechend erscheint [Reich, 2000]. Bei fortgeschrittenen osteoarthritischen Veränderungen (RDC/TMD-Gruppe III) ist allerdings in der Regel eine Entfernung der destruierten Weichgewebe nicht zu umgehen. Die Frage, ob nach Diskektomie eine Ersatzplastik, beispielsweise mit autologer, eventuell gedoppelter Temporalisfaszie oder einem Alloplast durch- geführt werden sollte, wurde lange Zeit kontrovers diskutiert [Eriksson Westesson, 1986; Miloro Henriksen, 2010; Reich, 2000]. Der Einsatz Dacron-verstärkter Silastikfolien (siehe Abbildung 2f) wird derzeit nur mehr bei Patienten mit schlechter Compliance, bei Reoperationen und speziell bei Ankylosen empfohlen [Miloro Henriksen, 2010]. Aktuell werden die Folien auch temporär eingesetzt. Die Entfernung erfolgt dann hier bereits wenige Wochen nach der Primäroperation und soll den initialen Heilungsverlauf mit Ausbildung einer Pseudosynovia unterstützen.

Osteoarthritis und Osteoarthrose

Die Osteoarthritis (synonym Arthrosis deformans, RDC/TMD-Gruppe III) wird in den meisten Fällen als Folgezustand bei Überschreitung der Remodellations- und Anpassungskapazität des Kiefergelenks nach Trauma oder bei Überlastung aufgefasst [de Bont, 1998; Reich, 2000]. Oder sie ist Folge einer Diskusperforation (siehe Abbildung 1). Im Verlauf (vergleiche Wilkes-Stadien IV-VI [Wilkes, 1989]) finden sich Sklerosierungen und subchondrale Osteolysen (Geröllzysten), später Einbrüche der Gelenkfläche (Usurierungen) mit Gelenkabflachung sowie Destruktionen der Gelenkflächen mit Randzackenbildung bis hin zu grotesken Auftreibungen des Gelenkkopfs. Die Klinik weist funktionsabhängige Schmerzen mit meist geringer Bewegungseinschränkung sowie Krepitationen als Leitsymptom auf. Nach Reich wird unter klinischen Gesichtspunkten eine TYP-I-Arthrose (initial einseitig, später häufig bilateral, in höherem Lebensalter, mit selbst limitierendem Verlauf über acht bis 16 Monate unter konservativer Therapie, mit dem Endstadium eines diskuslosen Gleit- gelenks), bei der in der Regel keine invasiven chirurgischen Maßnahmen indiziert sind, von einer TYP-II-Arthrose unterschieden. Diese führt zu progredienten, funktions- abhängigen Schmerzen und Funktionseinschränkungen. Konservative Therapiemaßnahmen bleiben bei Progression refraktär [Reich, 2000; Reich von Lindern, 2002, 2007]. Da nur der klinische Verlauf eine Unterscheidung erlaubt, sollten invasive Maßnahmen daher grundsätzlich erst nach Ablauf von etwa eineinhalb Jahren durch-geführt werden [Reich, 2000]. Die arthroskopische Lavage mittels Arthrozentese beziehungsweise Arthroskopie bietet sich daher frühzeitig als Verfahren der Wahl zur Schmerzreduktion (Erfolg etwa 30 bis 50 Prozent [Reich, 2000; Undt, 2004]) sowie zur Beurteilung einer Interventionsindikation an. In geeigneten Fällen können bereits eine Lysis und eventuell ein Shaving durchgeführt werden.

Das Prinzip der chirurgischen Operationsverfahren besteht darin, die destruierte Kondylusoberfläche bis in den Subchondralraum, in dem die osseodestruktiven Prozesse ablaufen, abzutragen (Arthroplastik beziehungsweise hohe Kondylektomie), um so einen Regenerationsschub im Gelenk zu induzieren. Reste des destruierten Diskus werden dabei entfernt. Gleichzeitig wird der Gelenkspalt erweitert (siehe Abbildung 1).

Die früher für diese Indikation beschriebene (exartikulierende) Kondylektomie findet heute nur in Ausnahmefällen (zum Beispiel wiederholte Rezidivoperationen) Anwendung. Bei ausgedehnter ossärer Destruktion kann allerdings auch nach hoher Kondylektomie weiterhin die Einlagerung eines autologen (zum Beispiel gedoppelte Temporalisfaszie) oder alloplastischen Interponats sinnvoll sein. Um Dislokationen zu vermeiden, kann in letzterem Fall eine Fixierung mit Draht in Durchflechttechnik an der Fossa durchgeführt werden [Reich, 2000]. Besteht die Indikation für eine (exartikulierende) Kondylektomie, können die Defekte ent- weder zweizeitig, beispielsweise mit temporären Gelenkprothesen und später mit kostochondralen Transplantaten, oder einzeitig mit einem totalen alloplastischen Gelenkersatz ersetzt werden [Reich Teschke, 2012; Wolford et al., 2003]. Hier stehen derzeit zwei zugelassene Endoprothesen jeweils als „Stock“- oder „Custom-made“-Varianten für den totalen Kondylus- und Fossaersatz zur Verfügung. Insbesondere bei Verwendung von „Custom“-Implantaten kann es beispielsweise bei Ankylosen sinnvoll sein, ein zweizeitiges chirurgisches Vorgehen zu wählen, um eine optimale Passung der individualisierten Pfannenkomponente in der im ersten Schritt nach Resektion der Ankylose remodellierten Fossa zu ermöglichen.

Zusammenfassung

In der Gelenkprothetik – ebenso wie in der chirurgischen Therapie der CMD für die RDC/TMD-Gruppen II und III nach Dworkin Le Resche [1992] – sollte im Sinne eines übergeordneten Grundprinzips beachtet werden, dass die Indikation zu offenen gelenkchirurgischen Eingriffen (dies gilt in besonderem Maß für RDC/TMD-Gruppe II) nur bei eindeutig morphologisch begründbaren Schmerzuständen sowie die Lebensqualität in relevantem Ausmaß beeinträchtigenden Funktionseinschränkungen gestellt werden sollte [Ahlers et al., 2005; Reich, 2000]. Wenngleich der Großteil der arthrogenen Erkrankungen einen selbstlimitierenden Verlauf mit einer langfristig zufrieden stellenden Funktion aufweist, können chirurgische Verfahren den Krankheitsverlauf und die Beschwerdesymptomatik positiv beeinflussen. Für die funktionsdiagnostisch tätigen zahnärztlichen Kolleginnen und Kollegen, denen für die diagnostische und therapeutische Weichenstellung eine entscheidende Verantwortung zukommt, gilt es dabei zu beachten, dass eine – unbegründete – Furcht vor einer etwaigen Schädigung des Nervus facialis [Bergé et al., 2001; Neff et al., 2001] allerdings die Entscheidung nicht zugunsten einer häufig langwierigen und unter funktionellen Gesichtspunkten nicht selten frustranen konservativen Therapie [Diraçoğlu et al., 2009; Neff Gündel, 2006] beeinflussen darf. Auch besitzt das Dogma, dass den chirurgischen Verfahren die Rolle einer Reservetherapie zukommt, heute definitiv keine Gültigkeit mehr.

Univ.-Prof. Dr. Dr. Andreas Neff

Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie UKGM GmbH,

Universitätsklinikum Marburg

FB 20 der Philipps-Universität Marburg

Baldingerstraße

35043 Marburg

mkg@med.uni-marburg.de

Fotos: Neff

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