Kunst statt Honorar

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Egon Schiele und Frida Kahlo – zwei Künstler, wie sie vom Charakter und von der Kunstrichtung her unterschiedlicher nicht sein konnten. Doch beiden ist eines gemeinsam: Sie bezahlten ihre Zahnarztrechnungen mit Bildern, ihre Behandler wurden so – mehr oder weniger unfreiwillig – zu Kunstmäzenen. Diese etwas andere Art der Arzt-Patienten-Beziehung und Liquidierung beleuchtet die jüngst entstandene Masterarbeit der Karlsruher Zahnärztin Carmen Roxana Marin.

Liquidierung einmal anders

Egon Schiele malte in seinem kurzen Leben nahezu 250 Bilder. Den einen galten diese als „pornografischer Skandal“, für die anderen war er einer der Frontmänner der expressionistischen Avantgarde in Wien. Nicht weniger außergewöhnlich war Frida Kahlo, die in ihren über zweihundert Gemälden ihren schweren gesundheitlichen Problemen Ausdruck gab. Es handelt sich bei beiden Künstlern also nicht um Vertreter des zeit-genössischen Mainstreams. Beide Maler sind heute weltberühmt. Weniger bekannt ist die Tatsache, dass beide in ihren Zahnärzten Unterstützer ihrer Kunst fanden.

Zu den Künstlern Schiele und Kahlo stellt Marin in ihrer kürzlich erschienenen Masterarbeit (siehe Kasten) fest: „Egon Schiele hinterlässt der Nachwelt Bilder und Briefe, welche diese kulturelle Epoche [Wien zu Anfang des 20. Jahrhunderts] in beein- druckender Form widerspiegeln und in welcher der Zahnarzt eine bedeutende Rolle spielt: als behandelnder Zahnarzt, aber auch als Sammler von wichtigen Kunstzeitzeugnissen für die Nachwelt. Frida Kahlo stand im Zusammenhang mit der Beziehung zu ihrem Zahnarzt in ihren Hinter- lassenschaften Egon Schiele nicht nach. Sie bezahlte auch ihre Zahnarztschulden mit ihren Werken. In ihren eindrucksvollen Briefen ist ihre gefühlte, sowie auch gelebte Freundschaft zu ihrem Zahnarzt dokumen tiert und der Menschheit erhalten geblieben“ [Marin, S. 7].

Geldknappheit und Zahnschmerzen

Ein Förderer Schieles war der Zahnarzt Dr. Hermann Engel, der im 1. Wiener Bezirk seine Praxis hatte. Wie Marin anhand von erhaltenen Briefen belegen kann, war das Verhältnis zwischen dem eher geldknappen Schiele und dem solventen Zahnarzt Engel nicht ohne Spannungen. Exemplarisch sei hier die Auseinandersetzung genannt, die über den Wert der in Zahlung genommenen Bilder entbrannte. In einem Schreiben mahnt der Zahnarzt den Künstler, das noch ausstehende Schulden zu begleichen seien: „Sie wissen sehr gut, daß meine Tochter im J (ahr) 1912 sich in Folge Ihres Benehmens ihr gegenüber von Ihnen nicht hat malen lassen, und die untermalte Leinwand aus gerechten Zorn zerstört hat“ [zitiert nach: Marin, S. 12]. Der Zahnarzt fordert bei diesem Disput weitere drei Gemälde, worauf ihm der Künstler antwortet, er sei im Irrtum über den wahren Wert seiner Bilder. Bei dem Dissens um das Bild der Tochter Trude Engel (heute im Lentos Museum, Linz) ging es sicher weniger um das künstlerische Können Schieles, als vielmehr um den Geschmack des Zahnarztes Engel.

In weiteren Briefen schilderte Schiele sehr anschaulich die Motivation und die Bedeutung seines Gemäldes „Die Offenbarung“ (Museum Leopold im Museumsquartier Wien), das ebenfalls von Engel als Honorar angenommen wurde. Ob er bei Engel damit auf Verständnis stieß, ist fraglich, denn der Zahnarzt scheint die Malweise des Künstlers Schiele nicht wirklich geschätzt zu haben. Vom Sohn des Zahnarztes stammen die Worte: „Mein Vater hatte kein Verständnis für seine Werke und wollte sie nicht in seinem Haus aufbewahren. Er verschenkte alle während des Weltkrieges“ [zitiert nach: linz aktiv, Kommunale Vierteljahresschrift der Stadt Linz, Hrsg. Landeshauptstadt Linz, 2007, S. 99].

Ein weiterer Unterstützer Schieles war der jüdische Zahnarzt Dr. Heinrich Rieger (1868–1942), der im Wiener Bezirk Neubau praktizierte. Das Verhältnis zu Rieger bestimmte zu Anfang die Bitte um finanzielle Unterstützung, die durch das Angebot eines Bildes erbeten wurde. Marin erklärt:

„Anfänglich als ’Künstler – Kunstinteressierter Käufer’, entwickelte sich diese Beziehung auf eine höhere, vertrauliche Basis, indem Egon Schiele um Hilfe, dieses Mal als Zahnarzt, bat. Der Zahnarzt Rieger behandelte daraufhin Schieles Frau Edtih.“ Das Verhältnis zu Rieger war, wie Marin hervorhebt, „harmonischer und freundschaftlicher“ als die Verbindung zu Engel.

Grundstock zur Kunstsammlung

Zudem scheint Rieger die Kunst Schieles geschätzt zu haben. Von 1915 bis 1918 gingen „50 Schiele-Zeichnungen und 12 Ölbilder in Riegers Eigentum“ [Marin, S. 15] über. Der profunde und leidenschaftliche Kunstsammler Rieger nahm nicht nur von Schiele Gemälde als Bezahlung. „In den Künstlerkreisen wurde die bei Dr. Rieger mögliche Honorierungsform bald allgemein bekannt und allmählich entstand der Kern seiner Sammlung, die heute mehr als 500 Bilder und 200 Graphiken umfasst“ [Marin, S. 16]. Darunter sind so berühmte Namen wie Oskar Kokoschka oder Käthe Kollwitz. Zu den Ölbildern, die Rieger von Schiele bekam, gehören die beiden Werke „Kardinal und Nonne“ (heute im Museum Leopold im Museumsquartier Wien, siehe auch: derstandard.at 3327725) sowie die „Umarmung“ (Österreichische Galerie, Schloss Belvedere Wien), die in der damaligen Zeit in vielen Gesellschaftskreisen als revolutionär-provokant angesehen wurden.

Rieger verlor als Mensch jüdischer Abstammung und als Sammler „entarteter Kunst“ in der Nazizeit seine Existenz und sein Vermögen und wurde schließlich deportiert. Er starb 1942 in Theresienstadt, seine Frau Berta wurde 1944 in Auschwitz ermordet.

Ausdrucksstarke Kraft des Leidens

Der Hinweis von Marin, dass Frida Kahlo in Europa bis 1980 fast unbekannt war, mag heute erstaunen, ist aber berechtigt. In alten Lexika sucht man Kahlo vergebens. Selbst in Fachlexika wie DuMont’s Bildlexikon der Kunst von 1976 oder Kindlers Malereilexikon von 1982 ist die Künstlerin nicht verzeichnet. Kahlos Bilderwerk ist heute weltweit bekannt und beeindruckt durch seine Ausdrucksstärke.

Kahlo war als Kind an Kinderlähmung erkrankt und musste sich durch einen mit 18 Jahren erlittenen Unfall zeitlebens in ärztliche Behandlung begeben. Durch die Kraft des Leidens fand Kahlo zu ihrer expressiven Kunstform. Die Künstlerin hatte durch ihre Erkrankungen ständigen Kontakt zu ihren Ärzten. Besonders ihr Zahnarzt Dr. Samuel Fastlicht (1902–1983) spielte eine große Rolle in ihrem Leben. Der aus dem polnischen Sambor (heute Ukraine) stammende Fastlicht hatte in Mexiko Zahnmedizin studiert, schloss das Studium in Los Angeles mit der Fachrichtung Orthodontie ab und praktizierte in Mexiko-Stadt. Dort erinnert noch heute das „Museo de Odontología Dr. Samuel Fastlicht“ (de la Universidad Nacional Autónoma de México) an ihn.

Kahlo beglich die Honorare ihres Zahnarztes mit ihren Bildwerken. Dazu gehörte unter anderen ein Selbstporträt von 1948. Auf das Selbstbildnis bezogen, geht Kahlo auf die Frage Fastlichts ein, ob der Preis für das Gemälde nicht zu hoch sei. „Hören Sie Companero, bitte denken Sie nicht, daß ich Sie übers Ohr haue – ganz im Gegenteil. Normalerweise verkaufe ich meine Bilder für 3000 Pesos: Ihnen überlasse ich es für $ 2500,00, weil Sie so freundlich zu mir waren. Davon behalten Sie 500 ein, die ich ihnen für die Backenzähne schulde…“ [zitiert nach: Marin, S. 25].

Marin betont in ihrer Untersuchung das innige Verhältnis zwischen Kahlo und Fastlicht, das in einer Reihe von Briefen zum Ausdruck kommt. Während eines verschlechterten Gesundheitszustands bat Kahlo ihren Zahnarzt um einen Hausbesuch, um eine schlecht sitzende Brücke zu reparieren. Marin: „Der Brief übermittelt wichtige medizinische Informationen, man erhält einen Einblick in die Art der Zahnversorgung der Künstlerin: es handelt sich um einen herausnehmbaren Zahnersatz im Ober- und Unterkiefer, die Mängel in der Funktion aufweisen“ [zitiert nach: Marin, S. 26]. In ihren Briefen bat die Malerin auch um Schmerzmittel, um besser schlafen zu können. Leider war die Künstlerin in ihren letzten Lebensjahren immer stärker auf schmerzstillende Drogen angewiesen. Auch wenn Fastlicht in einer engen freundschaftlichen Beziehung zur Künstlerin stand, verletzte er niemals seine ethischen Pflichten.

Mit Recht weist Marin zum Schluss ihrer Untersuchung darauf hin, dass heute die Annahme von Kunstwerken als Honorar gegen die Standesbestimmungen der Zahnärzteschaft verstoßen würde. Aber dem Zahnarzt bleibe natürlich weiterhin die Möglichkeit, Kunst zu sammeln oder auch künstlerisch tätige Patienten außerhalb des Arzt-Patienten-Verhältnisses zu fördern.

Kay Lutzekaylutze@ish.de

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Neben Schiele und Kahlo verweist Carmen Roxana Marin auch auf den Künstler Amadeo Modigliani (1884–1940), der 1909 in Paris die Bekanntschaft der Brüder Paul und Jean Alexandre machte. Paul war Dermatologe, sein Bruder Jean Zahnarzt. Marin: „Sie waren nicht nur seine großen Bewunderer und Unterstützer – indem sie seine Bilder und Zeichnungen kauften und ihm Portraitaufträge vermittelten –, sondern auch seine engen Freunde“ [Marin, S. 7].

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