Malignome der Speicheldrüsen an ungewöhnlichen Lokalisationen

Enossales maxilläres Mukoepidermoidkarzinom

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Vinay V. Kumar, Peer W. Kämmerer

Eine 15-jährige Patientin stellte sich mit einer ausgeprägten Schwellung der rechten Gesichtshälfte zur Konsultation in einer Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie in Bangalore, Indien, vor. Sie gab an, dass ihr die Veränderung zum ersten Mal vor etwa neun Monaten aufgefallen sei. In der darauf folgenden Zeit sei es zu einer progressiven Größenzunahme gekommen. Die Patientin verneinte Schmerzen sowie Par- ästhesien in dem betroffenen Gebiet. Bis auf die Extraktion des Zahnes 15 bei Lockerungsgrad III vor ungefähr drei Monaten bestanden keine Voroperationen. Neben- erkrankungen waren nicht bekannt.

Bei der extraoralen Untersuchung fiel die bereits beschriebene, ausgeprägte Schwellung im Bereich der rechten Maxilla auf (Abbildung 1). Die Haut über dem harten, nicht druckdolenten Tumor war ohne Auffällig-keiten, Lymphknoten waren nicht zu pal-pieren. Enoral zeigte sich eine Gaumenschwellung, vor allem auf der rechten Seite von regio 13 bis 17, die die Mittellinie nach links um circa einen Zentimeter überschritt (Abbildung 2). Der Tumor war inhomogen palpabel, es lagen weiche und harte Anteile vor. Sowohl palatinal regio 16 also auch vestibulär regio 15 waren Fistelöffnungen, aus denen sich eine dickflüssige, klare Flüssigkeit entleerte. Ein Orthopantomogramm zeigte multilokuläre Radioluzenzen, beginnend von kaudal regio 17 bis 22, die sich bis in den infraorbitalen Rand erstreckten. Bei den Zähnen 16 und 17 ergab sich der Verdacht auf externe Wurzelresorptionen. Eindrucksvoller konnte das Ausmaß des Tumors in der Computertomografie bestätigt werden, hier ließ sich eine expansiv wachsende, multi- lokular-zystisch und minimal Kontrastmittel aufnehmende Läsion im rechten Oberkiefer sehen. Nach kranial war der Orbitaboden bereits verdrängt (Abbildung 3). Ein MRT konnte das Vorliegen weiterer Befunde im umgebenden Weichgewebe ausschließen. In Zusammenschau mit der klinischen Dia-gnostik ergab sich insgesamt der Verdacht auf Vorliegen eines Ameloblastoms mit den Differenzialdiagnosen eines odontogenen Myxoms, eines Riesenzellgranuloms, eines keratozystischen odontogenen Tumors sowie eines mesenchymalen Speicheldrüsentumors. Enoral-palatinal wurde in Lokal- anästhesie eine Inzisionsbiopsie durchgeführt. Nach Bildung eines Mukoperiost- lappens wurde hierzu der dünne kortikale Knochen lokal entfernt und aus der sich darstellenden Kavität ein Stück pink-bräunliches Material von gelatineartiger Konsistenz entnommen. Die histopathologische Aufbereitung wies zum einen quader- und kelch- förmige muköse Zellen nach, die entweder festes Gewebe bildeten oder zystische Hohlräume auskleideten. Diese Zellen zeigten ein blasses Zytoplasma mit in die Peripherie verlagerten Zellkernen. Weiterhin kamen zahlreiche Intermediärzellen mit stark angefärbten Zellkernen und Plattenepithelzellen vor. Die sich so ergebende Verdachtsdia-gnose eines low-grade-Mukoepidermoidkarzinoms konnte anhand des endgültigen Resektionspräparats (Abbildung 4) verifiziert werden. Hierzu wurde der Tumor großflächig über einen extraoralen Zugang reseziert (Abbildungen 5 und 6). Nach der operativen Entfernung erfuhr die Patientin eine adjuvante Radiotherapie und nach weiteren sechs Monaten eine sekundäre Rekonstruktion des Oberkiefers mit einem mikrovaskulär anastomosierten, freien Beckenkammtransplantat (Abbildung 7).

Die Patientin befindet sich im engen Recall der indischen Klinik. Ein Jahr nach der Operation liegt kein Verdacht auf Rezidive oder Metastasen vor.

Diskussion

Das Mukoepidermoidkarzinom (MEK) gilt mit bis zu 35 Prozent als häufigstes Speicheldrüsenkarzinom im Kopf-Hals-Bereich. Hauptsymptome sind Schwellungen, seltener Schmerz, Trismus und Parästhesien. Lockerungen von Zähnen kommen vor. So ist davon auszugehen, dass in unserem Fall der Zahn 15 tumorbedingt extrahiert werden musste. Insgesamt sind Frauen häufiger betroffen, das durchschnittliche Alter bei Erkrankung liegt in der vierten bis fünften Lebensdekade. Die Ätiologie des MEK ist weitgehend unbekannt, allerdings existieren Hinweise einer Assoziation zwischen dem Entstehen eines MEKs und einer vorherigen Exposition gegenüber ionisierenden Strahlen. Am häufigsten kommt das MEK in der Parotis, gefolgt von der oralen Kavität und der Glandula submandibularis vor. Primäre, enossale MEKs des Kiefers sind sehr selten [Munde et al., 2010]; weltweit wurden bisher ungefähr 200 solcher Tumoren beschrieben, wobei es sich bei den meisten um mandibuläre Neoplasmen handelte [Pires et al., 2003; Walter und Kunkel, 2008]. Ein maxilläres MEK einer pädia- trischen Patientin ist eine Rarität.

Die Diagnose eines enossalen MEKs stützt sich auf mehrere Kriterien. Zum einen wird eine Begrenzung des Tumors durch eine intakte Kortikalis vorausgesetzt; bei fort- geschrittenen Stadien kann der Knochen allerdings auch durchbrochen sein. In der Bildgebung – hier bietet sich vor allem die Schichtbildgebung mittels CT und MRT zur Weichgewebsdiagnostik an – sollten Zeichen einer ossären Destruktion zu sehen sein, und der Tumor muss histologisch bestätigt werden (muköse, mucin-positive und intermediäre Zellen in festem und in zystischem Gewebe). Weiterhin müssen sowohl primär in den Speicheldrüsen gelegene Karzinome als auch odontogene Tumore ausgeschlossen werden [Alexander et al., 1974]. All diese Kriterien trafen im vorliegenden Fall zu. So konnte beispielsweise die primäre Biopsie erst nach der Knochenperforation entnommen werden, das CT zeigt das verdrängend-destruktive Wachstum.

Bezüglich der Entstehung von Speicheldrüsenmalignomen im Kiefer existieren zahlreiche Theorien. Laut diesen handelt es sich entweder um Speicheldrüsengewebe, das während der embryologischen Entwicklung oder der späteren Wachstumsphase im Knochen eingeschlossen wurde, um eine Invasion solchen Gewebes – zum Beispiel aus der Kieferhöhle – oder um eine neoplastische Transformation von Drüsengewebe, das mit impaktierten Zähnen assoziierte, dentogene Zysten ehemals auskleidete [Ezsias et al., 1994; Dhawan et al., 1970; Bouquot et al., 2000].

Therapeutisch ist – je nach Ausprägung des Tumors – eine konservative oder eine radikale chirurgische Therapie zu favorisieren. Bei Verdacht auf Lymphknotenmetastasen wird eine zusätzliche Lymphknotenausräumung empfohlen [Brookstone und Huvos, 1992; Caccamese und Ord, 2002]. Eine adjuvante Radiotherapie kann von Nutzen sein, allerdings ist die Evidenz hier limitiert [Freije et al., 1995]. Insgesamt sollte sich an die Therapie eine entsprechende Nachbeobachtungszeit anschließen da Rekurrenzen und Metastasen möglich sind [Dhawan et al., 1970; Brookstone et al., 1992]. Die Prognose verschlechtert sich bei höheren Tumorstadien und einer fortschreitenden Entdifferenzierung (high grade).

Aufgrund der möglichen Ähnlichkeit des seltenen MEKs und anderer, eher ausgefallener Erkrankungen mit odontogenen Zysten und Tumoren zeigt sich wiederum der Wert der Überweisung derartiger Fälle an eine Fachklinik, in der weitere Untersuchungen zur Dignitätsabklärung, zur operativen Therapie und zur entsprechenden funktionellen und ästhetischen Rekonstruktion stattfinden können.

Dr. Vinay V. KumarM.R. Ambedkar Dental College and Hospital,Bangalore, Indien und Klinik für Mund-, Kiefer- und GesichtschirurgieJohannes Gutenberg-Universität Mainz

Dr. Dr. Peer W. KämmererVisiting Assistant Professor,Harvard Medical School, Boston, USA undM.R. Ambedkar Dental College and Hospital,Bangalore, Indien undKlinik für Mund-, Kiefer- und GesichtschirurgieJohannes Gutenberg-Universität Mainzpkrammerer@partners.org

Fazit für die Praxis

• Primäre Zahnlockerungen bei ansonsten gutem Gebisszustand besonders bei jungen Patienten können Hinweise auf ein pathologisches Geschehen geben.

• Unklare Befunde am Gaumen können auch Speicheldrüsentumore darstellen. Hier ist eine frühe Biopsie indiziert.

• Zwischen odontogenen Pathologien und einigen Malignomen bestehen deutliche klinische und radiologische Ähnlichkeiten. Daher sind auch hier weitere Untersuchungen und besonders eine pathohistologische Unter- suchung des Gewebes obligat.

• Eine verbesserte Früherkennung minimiert die primäre Invasivität der Operation und kann somit die Lebensqualität der betroffenen Patienten in großem Ausmaß beeinflussen.

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