Beziehungsstörungen
Selten hat ein Angebot im zahnmedizinischen Bereich eine so breite Ablehnung hervorgerufen: Nachdem das Kaffeeunternehmen Tchibo im Sommer seine ZahnersatzCard ankündigte, warnten und protestierten Zahnärzte, Verbraucherschützer und viele Patienten einhellig gegen den Zahnersatz vom Kaffeeröster und die Einmischung in das Zahnarzt-Patienten-Verhältnis.
Aber es zeigt: Andere Akteure wollen die Beziehung zwischen Patient und Zahnarzt als Betätigungsfeld nutzen und davon profitieren. Kein Wunder, bei gut 200 Millionen Patientenkontakten und circa 60 Millionen Behandlungsfällen in Deutschland pro Jahr. Dabei kommt den „Einmischern“ die Entwicklung des Arzt-Patienten-Verhältnisses entgegen, das sich in den letzten Jahren vollzogen hat. Die alleinige Entscheidungssouveränität des Arztes ist einer partnerschaftlichen Beziehung gewichen, in der Patienten stärker an den medizinischen Entscheidungsprozessen beteiligt werden. Ein vertrauensvolles Verhältnis entsteht nicht mehr allein durch den Wissens- und Informationsvorsprung des Zahnarztes, sondern ebenso durch eine gute Beratung und eine ausführliche Information. Beides ist für den Patienten von großer Bedeutung. Dadurch nimmt sich der Patient das verständliche Recht heraus, sich Informationen zu beschaffen und Angebote einzuholen – nicht nur von seinem Zahnarzt, sondern auch von anderer Stelle. Genau hier kommen Akteure ins Spiel, die dem Patienten (vermeintliche) Hilfe anbieten, aber eigennützige Interessen verfolgen.
Zahnersatz aus Manila
Tchibo verkaufte im Juli seine ZahnersatzCard für 24 Euro – bei rund 750 Filialen und dem florierenden Internetauftritt ein Angebot mit enormer Reichweite. In Kooperation mit dem Hamburger Zahnlabor Novadent sollten „Kunden zwei Jahre lang qualitativ hochwertigen Zahnersatz zu attraktiven Preisen erhalten, die bis zu 50 Prozent unter dem regulären Angebot liegen“, wie es bei Tchibo hieß. Fertigen lässt Novadent in Manila auf den Philippinen. „Da Material- und Lohnkosten dort erheblich niedriger sind als in Deutschland, sparen sie Kosten ein, die sie in Form von Billigangeboten an Patienten weitergeben können“, erklärt der KZBV-Vorsitzende Dr. Jürgen Fedderwitz.
Für beide Seiten verspricht die Offerte Gutes. Tchibo platziert sich auf dem Gesundheitsmarkt, nachdem der Verkauf mit Haushaltswaren aller Art ausgereizt scheint. Und Novadent hofft auf neue Kunden, da es den ZahnersatzCard-Inhabern gleich noch eine Liste mit Praxispartnern anbietet, sollte der Stammzahnarzt dem philippinischen Zahnersatz nicht zustimmen. Gegen das Angebot hat ein Mitbewerber geklagt – und vom Landgericht Düsseldorf Recht bekommen. Die Richter sahen Hinweise auf wettbewerbswidriges Verhalten, sodass das Produkt in der ursprünglichen Form nicht mehr beworben werden durfte. „Die Aktion ist eine reine Marketingmaßnahme, denn ausländischen Zahnersatz kann man auch ohne „ZahnersatzCard“ bekommen – und spart somit die 24 Euro“, bewertet auch BZÄK-Vizepräsident Prof. Dietmar Oesterreich das Angebot.
Aber es zeigt: Die Behandlung „verhandelt“ der Zahnarzt heutzutage nicht mehr alleine mit seinem Patienten. „Die Abstimmung über die Behandlung und damit auch über die Herstellung von Zahnersatz geschieht in einer auf Vertrauen basierenden Zahnarzt-Patienten-Beziehung“, sagt Oesterreich. Das stimmt im Idealfall. Aber immer mehr andere Akteure versuchen, sich in diese Beziehung einzumischen. Beim Zahnersatz sind das nicht nur Handelsketten wie Tchibo, sondern Dentallabore wie Novadent, die versuchen, ihre Produkte direkt an den Patienten zu bringen – ohne den Zahnarzt, der den Patienten über das Notwendige, Machbare und Sinnvolle aufklärt.
Internet als Marktplatz
Sie inszenieren sich insbesondere im Internet als Hilfs- und Beratungsangebote, die dem Interessenten den Weg zu günstigem Zahnersatz weisen. Erst auf den zweiten Blick erkennt man, dass hier Dentallabore ihre Produkte verkaufen wollen. Ein Beispiel dafür ist die Webseite zahnersatzsparen.de, die wegen ihres Namens und wegen des Slogans „Perfekter Zahnersatz muss nicht teuer sein“ wie ein Vergleichsportal erscheint. Zudem wird mit TÜV-Prüfung geworben. Erst bei näherem Hinsehen wird klar, dass hier die Mamisch Dental Health AG dahintersteckt, die Zahnersatz aus dem Ausland vertreibt und über die Webseite verkaufen will. Natürlich haben Anbieter von Auslandszahnersatz die wirtschaftliche Pflicht, ihre Produkte anzubieten. Es kommt dabei auf die Form der Vermarktung an.
Ein vollumfassendes Vermarktungsmodell hat die Indento GmbH etabliert. Sie verbindet Zahnärzte, Dentallabore und Krankenkassen. Indento arbeitet mit einem Essener Zahnlabor zusammen, das in Asien fertigen lässt. Zudem hat sie unter dem Namen dent-net.de ein Praxisnetzwerk eingerichtet, dem nach eigenen Angaben über 700 Zahnärzte in Deutschland angehören. In diesen Praxen wird asiatischer Zahnersatz angeboten – „ohne Zuzahlung“, wie es auf der Webseite zahnersatz-zuzahlungsfrei.de heißt, die zu dent-net.de gehört. Das gilt aber nur für die Regelversorgung und für Versicherte von einer von knapp 50 gesetzliche Krankenkassen, die mit Indento beziehungsweise dent-net.de selektivvertraglich verbunden sind. Zudem muss das Bonusheft mindestens zehn Jahre lückenlos geführt worden sein.
Was bei solchen Vertragsgebilden leidet, ist die Therapiefreiheit des Zahnarztes. Schließt sich der Zahnarzt dem Netzwerk an, muss er zumindest für die Versicherten der teilnehmenden Krankenkassen auf den Zahnersatz des Essener Labors zurückgreifen. Eine eigene Entscheidung des Zahnarztes für ein Dentallabor seiner Wahl ist kaum möglich.
dent-net.de wird auch von der Wettbewerbszentrale kritisch beobachtet. Die Wettbewerbszentrale mahnte im August die Krankenkasse DAK ab und forderte sie auf, die „Förderung von Wettbewerbsverstößen Dritter“ zu unterlassen. Hintergrund war die Werbung der DAK mit Festpreisen für dent-net.de, mit dem sie seit 2009 durch einen Selektivvertrag mit Idento verbunden ist. Beworben wurden unter anderem eine Zahnreinigung für 50 Euro und Implantat und Krone für 1250 Euro inklusive Material und Honorar. Diese Werbung für zahnärztliche Leistungen mit Festpreisen oder Rabatten sei jedoch möglicherweise berufsrechtswidrig und somit wettbewerbswidrig. Die Gebühren müssen individuell nach sachlich-medizinischen Kriterien berechnet werden. Rabatte oder Festpreise sieht die Gebührenordnung für Zahnärzte in der Regel nicht vor. Nach Auffassung der Wettbewerbszentrale fördert die DAK mit ihrer Werbung Wettbewerbsverstöße Dritter und ist damit selbst zur Unterlassung verpflichtet.(Anm. d. Red.: Inzwischen wird der Vorwurf der Wettbewerbswidrigkeit seitens der Wettbewerbszentrale gegenüber der DAK-Gesundheit nicht weiter aufrecht erhalten.)
Gebote und Angebote
Seit einigen Jahren breiten sich im Internet neben „Beratungsangeboten“ auch Auktionsplattformen wie medikompass.de oder zahngebot.de aus. Dort können Patienten den von ihrem Zahnarzt erstellten Heil- und Kostenplan einstellen. Andere Zahnärzte haben dann die Möglichkeit, günstigere Gebote für eine Behandlung abzugeben.
Jeder Patient hat das Recht, sich eine zweite Meinung bei einem anderen Zahnarzt einzuholen. Mit einem bloßen Blick auf den Heil- und Kostenplan kann sich aber kein Zahnarzt eine fundierte (zweite) Meinung bilden, zumal, wenn wichtige Unterlagen wie Röntgenaufnahmen fehlen. Laut BZÄK gebe es von richterlicher Seite zwar keine berufs- oder wettbewerbsrechtlichen Bedenken gegen solche Portale, aber es „werden doch die Regeln der zahnärztlichen Wissenschaft verletzt, weil der mitsteigernde Zahnarzt ein Angebot abgibt, ohne den Patienten und seine Vorgeschichte zu kennen und ohne ihn selbst untersucht zu haben“, heißt es in einer Stellungnahme zur Patientenberatung. Mit einer zweiten Meinung im eigentlichen Sinne habe das nichts zu tun.
„Vor allem aber verliert der Patient eine auf Kontinuität und Vertrauensverhältnis basierende, gewachsene Beziehung zu seinem Zahnarzt“, betont der BZÄK-Präsident Dr. Peter Engel. Noch problematischer macht die Auktionsportale, dass mancher Anbieter von Zahnzusatzversicherungen Heil- und Kostenpläne von Patienten an die Portale weitergibt. Schlagzeilen machte dabei im vergangenen Jahr die Ergo Direkt Versicherung, die mit dem Internet-Vergleichsportal 2te-Zahnarztmeinung.de zusammenarbeitete. Patienten konnten dabei den von ihrem Zahnarzt erstellten Heil- und Kostenplan dem Versicherer übermitteln, der dann anonym „angeboten“ wurde.
Es könne nicht angehen, wenn Unternehmen Patienten an Auktionsportale für medizinische Leistungen navigieren, kritisiert Fedderwitz diese Praxis. „Das ist eine paradoxe Situation: Die Patienten schließen eine Zusatzversicherung ab, weil sie eine hochwertige Versorgung haben wollen. Die Versicherung schickt sie aber in Richtung Billigmedizin, um ihre Ausgaben zu minimieren.“ Es würden weder Befundunterlagen eingereicht noch die Indikation zur vorgeschlagenen Therapie überprüft, so der KZBV-Vorsitzende weiter, und warnt vor einem möglichen Qualitätsverfall in der Versorgung. Zumal manche Versicherungsanbieter nicht bei ihnen versicherte Patienten auffordern, Heil- und Kostenpläne einzureichen, die sie dann an Auktionsportale weitergeben. Fedderwitz: „Was hier vordergründig als Service deklariert wird, ist in Wahrheit ein aggressiver Versuch, an neue Kunden zu kommen – und zwar an solche, die man anhand des frei Haus gelieferten zahnmedizinischen Risikoprofils selektieren kann.“
Patienten navigieren
Subtiler als über Auktionsplattformen läuft die Patientennavigation über Bewertungsportale. Hier können Patienten ihre Meinung zu ihrem behandelndem Zahnarzt „loswerden“. „Mit wenigen Ausnahmen sind Bewertungsportale kaum in der Lage, Patienten Hilfestellung bei der Suche nach einer guten Praxis oder Klinik zu geben. Häufig stehen kommerzielle Interessen der Betreiber im Vordergrund“, erklärt Oesterreich. „Die quantitative Grundlage der Bewertungen ist oftmals zu gering, eher subjektive Faktoren denn harte Fakten fließen in die Bewertung ein.“
Die Anbieter der Portale verfolgen zudem oft wirtschaftliche Interessen. Der Betreiber der Bewertungsplattform jameda.de beispielsweise vertreibt auch die Werbeplätze auf der Webseite. Der Nutzer erhält auf seine Interessen abgestimmte Werbung, wie es bei jameda.de heißt. Sprich: das gesamte Surfverhalten wird analysiert, um dem Nutzer, der über die IP-Adresse des Computers identifiziert wird, möglichst passende Produkte anzubieten. Als zumindest „solide Plattform“ beurteilt die BZÄK die „Weisse Liste“, die von der Bertelsmann Stiftung ins Leben gerufen wurde und die mit den großen Krankenkassen AOK, Barmer GEK und Techniker Krankenkasse zusammenarbeitet.
Die KZBV will das Projekt aufmerksam begleiten und auf Missbrauch überprüfen. Zum Start des Portals im vergangenen Jahr sagte der KZBV-Vorsitzende Dr. Jürgen Feddertwitz, dass man genau beobachten werde, ob beziehungsweise wie die Kassen versuchen, Arztbewertungen für die Steuerung von Patientenströmen oder andere Wettbewerbszwecke einzusetzen.
Der „Weissen Liste“ liegen Qualitätskriterien zugrunde, wie sie in einem Leitfaden von KZBV, BZÄK und dem Ärztlichen Zentrum für Qualität in der Medizin erarbeitet wurden – etwa der Verzicht auf eine Freitexteingabe oder eine Mindestanzahl an Bewertungen. Trotzdem könnten nur weiche Kriterien abgefragt werden, und keine Behandlungsqualität im klassischen Sinne, erklärt der KZBV-Vorsitzende. Oesterreich weist darauf hin, „dass kein Bewertungsportal die freie Entscheidung des Patienten übernehmen beziehungsweise ersetzen kann. Die individuelle Vertrauensbeziehung zwischen Arzt und Patient ist nach wie vor die maßgebliche und entscheidende Beziehung.“
Praxis als Franchise
Will der Patient richtig Geld mit einer Zusatzversicherung sparen, muss er teilweise bereit sein, seinen Zahnarzt zu wechseln. Bei sogenannten Partnerzahnärzten, mit denen spezielle Verträge abgeschlossen werden, bieten die Versicherungen ihren Kunden Sonderkonditionen an, um die Behandlungskosten zu senken. Festpreise für eine professionelle Zahnreinigung oder ein Implantat sind dann üblich. Bei Zahnzusatzversicherung der privaten Deutschen Krankenversicherung (DKV) bekommen die Patienten zum Beispiel eine um fünf Prozentpunkte höhere Erstattung, wenn sie sich in einer ihrer Partnerpraxen von goDentis behandeln lassen. goDentis ist nämlich ein hundertprozentiges Tochterunternehmen der DKV. Dem Netzwerk gehören nach Angaben der Versicherung über 330 Praxen in Deutschland an. goDentis funktioniert nach dem Franchise-Prinzip. Das heißt, wenn ein Zahnarzt sich goDentis anschließt, übernimmt er – gegen Gebühren – auch deren Geschäftskonzept und verpflichtet sich, die von dem Unternehmen definierten Qualitätsstandards einzuhalten, die auch regelmäßig überprüft werden. Der Zahnarzt kann seine Praxis ganz dem Markenauftritt anpassen, inklusive Praxisschild, Zeitungsannonce und Homepage. Und er kann Werbemittel im eigens eingerichteten Webshop kaufen. Zudem wird die Marke goDentis auch über Marketingaktionen beworben. Dafür verspricht goDentis seinen Franchisenehmern einen „Wettbewerbsvorteil“, die „Eröffnung neuer Marktpotenziale“ und die „Zukunftssicherung der eigenen Praxis durch eine starke Marke mit hohem Wiedererkennungswert“.
Behandlung im Kaufhaus
Aber nicht nur durch die Wandlung der Zahnarztpraxis zur Markeneinrichtung wird um den Patienten gekämpft. Es gibt auch Versuche, ihn direkt in seinem Alltag abzuholen. Im Jahr 2005 sollte in der Bremer Filiale der Kaufhauskette Karstadt eine Zahnarztpraxis eingerichtet werden. Nach einem Bericht der inzwischen eingestellten „Financial Times Deutschland“ trat die Firma medi-z als Betreiber auf.
Karstadt vermietete die Räume und versprach sich von der Praxis Umsatzzuwächse beim Verkauf zahnkosmetischer Produkte. Realisiert wurde das Projekt im Endeffekt jedoch nicht. Karstadt wollte sich auf Nachfrage der zm nicht zu den Gründen äußern. Gerüchten zufolge passte die Praxis aber nicht mehr in die veränderte Unternehmensstruktur.
Ob Zahnersatz vom Kaffeeröster, Auktionsplattformen, Bewertungsportale oder Praxis-Franchise: bei der ehemaligen Vier-Augen-Beziehung zwischen Zahnarzt und Patient schauen heute noch viel mehr Akteure zu, um mögliche Betätigungsfelder für ihre Interessen zu finden. Der Patient und auch der Zahnarzt können dabei leicht zum Spielball werden.
Kommentar
Patient im Zentrum
Zahnärzte agieren in einem marktwirtschaftlichen System, sind aber – anders als die meisten anderen Akteure in diesem System – zuvorderst (medizin-)ethischen Regeln unterworfen und keinem Gewinnstreben. Der Patient steht trotz allem unverrückbar im Zentrum des zahnärztlichen Handelns. Aber sie wollen zu Recht zunehmend informiert, eingebunden und an Entscheidungen beteiligt werden. Verbraucher seien nicht nur Konsumenten, sie müssten über die Produkte und Dienstleistungen, die sie erwerben, informiert werden, um auf dieser Grundlage ihre Entscheidungen treffen zu können, sind sich BZÄK und KZBV einig.
Dass sich Patienten nicht mehr nur beim Zahnarzt, sondern auch anderweitig informieren, ist nachvollziehbar. Vorsicht ist aber vor vermeintlichen „Informanten“ geboten, die das gewachsene Vertrauensverhältnis zwischen Zahnarzt und Patient stören, weil sie dem Diktat der Profitmaximierung folgen. Cash as cash can, lautet die Devise. Um Ethik und Moral sollen sich die anderen kümmern.
Die Zahnärzte können diesen Ellenbogen-Kapitalismus beklagen. Aber sie müssen mit den Rahmenbedingungen umgehen und ihnen etwas entgegensetzen. Sie müssen aufklären und Fragen von Patienten beantworten, die eben mehr sind als reine Kunden. Ein offenes und ehrliches Verhältnis können dann auch Beziehungsstörungen von außen nicht trüben.
Eric Bauer