Rehabilitation von rezessivem Kieferknochen und Weichgewebe

Implantation in der ästhetisch sensiblen Zone

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In der Implantologie ist die Versorgung der Kieferknochen und die Gestaltung des Weichgewebes von hoher Bedeutung für den klinischen Langzeiterfolg. Auch die Gestaltung der prothetischen Aufbauten nimmt Einfluss auf die Dauerhaftigkeit der gesamten implantologischen Versorgung. Biologische und technische Risiken, die bei der chirurgischen und prothetischen Behandlung auftreten können, sind im Nachhinein nur mit großem Aufwand zu korrigieren.

Manfred Kern, Michael Stimmelmayr

Ein deutlicher Wandel hat sich in der Implantologie von der Funktion hin zur Ästhetik vollzogen. Da nach Zahnextraktionen oder Zahnverlusten in den meisten Fällen bukkale Weichgewebe- und Hartgewebe-Resorptionen beobachtet werden [Araujo, 2005; Covani et al., 2004], ist die Insertion von Implantaten in der ästhetischen Zone ein sehr anspruchsvolles Prozedere. Zu dünne bukkale Knochenlamellen führen an den späteren Implantatrekonstruktionen oftmals zu Rezessionen [Grunder, 2000; Small et al., 2000] und somit auch zu Weichgewebedefiziten [Schropp et al., 2003], die im Nachhinein nur sehr schwer korrigiert werden können [Hämmerle et al., 2004].

Bei der Extraktion kommt es zu einem Abriss der Sharpey’schen Fasern; dadurch verliert der Bündelknochen seine Funktion und wird resorbiert [Cardaropoli et al., 2003]. Die transversale Resorption kann innerhalb von zwölf Monaten etwa 50 Prozent betragen, wobei zwei Drittel der Resorption auf den bukkalen Bereich entfallen [Seibert et al., 1996]. Bereits drei Monate nach Extraktion verringert sich die vertikale Knochenhöhe um 1,2 Millimeter. Araujo et al. konnten belegen, dass der Bündelknochen ent- scheidend an den Heilungsvorgängen in der Extraktionsalveole beteiligt ist. Da stets ein bestimmter Anteil der inneren Alveolenwand aus Bündelknochen besteht, weisen dünne parodontale Biotypen bukkale Lamellen auf, die fast vollständig aus Bündelknochen bestehen und nach Zahnentfernung vollständig resorbieren [Botticelli et al., 2004; Schmidlin et al., 2004]. Es muss daher bei dünnen parodontalen Biotypen – vor allem mit prominent im Alveolar- knochen stehenden oberen Frontzähnen – mit massiven horizontalen und vertikalen Resorptionen gerechnet werden. Überdies kommt es im Rahmen der natürlichen Alveolenheilung zu einer Verlagerung der mukogingivalen Grenze und zur Abflachung der Interdentalpapillen [Terheyden et al., 2006] sowie der fazialen Kontur des Alveolarfortsatzes [Buser et al., 2004].

Sofort oder zeitverzögert implantieren

Ziel der Alveolenheilung aus implantologischer Sicht ist die Erhaltung des Hart- und Weichgewebes nach Zahnextraktion. Dies ist Voraussetzung für die Schaffung eines idealen Emergenzprofils, besonders im leicht einsehbaren, ästhetisch sensiblen Frontzahnbereich. Um den Volumenverlust von Hart- und Weichgewebe zu minimieren, werden unterschiedliche Behandlungskonzepte diskutiert. So haben Hämmerle et al. [2004] den Zeitpunkt der Implantation in Phasen eingeordnet. Die Sofortimplantation nach Extraktion erfordert, dass Alveole und Bündelknochen noch intakt sind und dass eine dicke Gingiva vorhanden ist – eine Situation, die im Oberkiefer-Frontzahnbereich nur selten anzutreffen ist [Chen et al., 2009].

Die Frühimplantation nach Extraktion hat im fazialen Bereich in der Regel einen kleinen bis mittleren Knochendefekt zur Folge, der meist zweiwandig ist, und der simultan mit der Implantation augmentiert werden muss. So lässt sich ein stabiles Langzeitergebnis erzielen. Risiko ist eine eventuell erschwerte Positionierung und Verankerung des Implantats. Ob jedoch der Bündelknochen durch eine Sofortimplantation oder durch knochenerhaltende Maßnahmen (Ridge Preservation) erhalten werden kann, ist nicht sichergestellt [Araujo et al., 2005; Cardaropoli et al., 2005; Joda et al., 2013].

Bei der verzögerten Sofortimplantation, die vier bis acht Wochen nach Extraktion erfolgt, ist die knöcherne Ausheilung der Alveole noch nicht abgeschlossen, aber das Risiko für unerwünschte, ästhetische Komplikationen ist geringer [Buser et al., 2008]. Vorteilhaft ist hier das größere, abgeheilte Weichteilangebot mit keratinisierter Mukosa, das eine leichtere Lappenmanipulation und einen spannungsfreien Wundverschluss ermöglicht.

Je nach Größe des Knochendefekts wird ein Implantat einzeitig oder zweizeitig mit einer Hartgewebeaugmentation inseriert. Der primäre Weichgewebeverschluss wird mit einem koronalen Verschiebelappen erzielt. Risiko des Verfahrens ist ein unterschiedlich ausgeprägter Knochenabbau.

Die Spätimplantation findet nach mehr als 16 Wochen statt. Zu diesem Zeitpunkt ist eine nahezu vollständige Resorption und Volumenreduktion des Alveolarkamms anzutreffen. Knochen und Weichgewebe sind vollständig ausgeheilt. Ziel ist, mit einer Konturaugmentation eine rund zwei bis drei Millimeter dicke, faziale Knochenwand zur Stützung des Weichgewebes zu erreichen [Jensen et al., 2006].

War bis vor wenigen Jahren ein Knochen-defizit noch eine absolute Kontraindikation für eine Implantatinsertion [Spiekermann, 1990], so konnte durch die von Buser et al. [1990] beschriebene gesteuerte Knochen-regeneration (GTR) das Spektrum der Implantologie deutlich erweitert werden. Nach Zahnverlust wurde bisher die verzögerte Sofortimplantation bevorzugt [Hämmerle et al., 2004], um eine teilweise Weichgewebe- und Knochenheilung zu erreichen. Je nach Größe und Morphologie des Knochendefekts wurde ein einzeitiges oder zweizeitiges, augmentatives und implantologisches Vorgehen durchgeführt [Feher et al., 2000]. Wurde anfänglich mit Zeltpfosten-Kon-struktionen zum Volumenerhalt und mit Membrantechniken gearbeitet [Buser et al., 1993], so wurde schnell erkannt, dass mit Knochenersatzmaterial oder Knochentransplantaten bessere Ergebnisse hinsichtlich des Volumengewinns erzielt werden konnten [Buser et al., 1995]. Autologe Knochentransplantate werden aus der näheren Umgebung, der Retromolar-Region oder dem Kinnbereich entnommen [Garg, 2006; Schlegel, 1996]. Für größere Defektrekonstruktionen werden extraorale Spenderareale herangezogen. Der primäre Weichgewebeverschluss wird mit einem koronalen Verschiebelappen erzielt [Becker, 1990]; das kann jedoch zu einer Verschiebung der mukogingivalen Grenze und somit zu einer Ästhetikeinbuße führen.

Gewebestabilität und langfristiger Strukturerhalt

Alternativ zur Sofortimplantation in Extrak-tionsalveolen kann bei intakter, bukkaler Knochenwand mittels Socket-Preservation-Technik versucht werden, die Veränderungen nach Zahnextraktion zu kompensieren [Lekovic et al., 1997; Stimmelmayr et al., 2009]. Socket-Preservation umfasst regenerative Maßnahmen zur Stabilisierung des Blutkoagulums und die Augmentation der Extraktionsalveole bei intakten Knochenwänden, das heißt die Auffüllung der Alveole mit Eigenknochen, Knochenersatzmaterial oder Kollagen (Abbildung 1).

Um der Knochen- und Weichgeweberesorption innerhalb der ersten drei bis vier Monate entgegenzuwirken (Dehiszenzdefekte der bukkalen und/oder oralen Alveolenränder, apikale Fenestrationsdefekte), empfiehlt sich, zeitgleich bei Zahnentfernung die Ridge-Preservation-Technik in Kombination mit einer Alveolendeckung (Socket-Seal-OP) durchzuführen [Lekovic et al., 1997; Stimmelmayr et al., 2009]. Über den Zugang der Alveole kann minimalinvasiv, ohne zusätzliche Lappenbildung, eine Augmentation durchgeführt werden (Abbildungen 2 und 3). Bei dieser Technik wird vor dem Auffüllen der Alveole mit resorbierbarem Knochenersatzmaterial oder autologem Knochen bukkal eine resorbierbare Kollagenmembran zwischen Periost und Knochenoberfläche eingebracht. Diese Augmentation kann minimalinvasiv über den Zugang der Alveole ohne zusätzliche Lappenbildung durchgeführt werden. Hierdurch können eine Knochenresorption und ein später notwendiger, großer koronaler Verschiebelappen-Eingriff verhindert werden. Diese minimalinvasive Technik ohne Lappenabklappung beugt einer weiteren Resorption vor, da jegliche Deperiostierung des Knochens zum Verlust von Hartgewebe führen würde [Fickl et al., 2008].

Das von Igelhaut et al. [2006] angewandte Verfahren zur Socket-Seal mit kombinierten Bindegewebe-Schleimhaut-Transplantaten zum Verschluss von Extraktionsalveolen mit einstieligen Transplantaten ist aufgrund der nicht notwendigen Lappenbildung deutlich weniger invasiv und durch die zusätzliche Weichgewebevermehrung und Stabilisierung in der ästhetischen Zone zu bevorzugen. Dieses Verfahren wurde von Stimmelmayr et al. [2010] mit zweistieligen Transplantaten weiterentwickelt (Abbildungen 4 und 5). Neben einem besseren Gefäßanschluss kommt es zu einer Verdickung der bukkalen Weichgewebe. Dies ist in der ästhetischen Zone zur Ausformung eines natürlichen Emergenzprofils von großer Bedeutung. Außerdem stützt der Weichgewebeverschluss der Extraktionsalveole die benachbarten Papillen und beugt einer Schrumpfung der ortsständigen, befestigten Gingiva vor [Iglhaut et al., 2006; Landsberg, 1997 und 1994; Seibert et al., 1996; Terheyden et al., 2006].

Der Erfolg der Socket- oder Ridge-Preservation-Technik hängt entscheidend von einem speicheldichten primären Wundverschluss der augmentierten Extraktionsalveole ab [Stimmelmayr et al., 2009; Terheyden et al., 2006]. Deshalb ist ein speichelfreier, bakteriendichter Wundverschluss der augmentierten Extraktionsalveole unabdingbar [Jung et al., 2004; Terheyden, 2006]; dadurch werden entzündlich-resorptive Umbauvorgänge verhindert. Entscheidend für den Langzeiterfolg ist auch die Gingivaverdickung; bei dünner Gingiva empfiehlt sich die Einbringung eines subepithelialen Bindegewebetransplantats [Landsberg, 1997]. Eine zweite Weichgewebe-Augmentation kann bei der Implantatfreilegung erfolgen.

Der wichtigste Behandlungsprozess ist die prothetisch orientierte Insertion des Implantats; deshalb müssen die Implantate in der korrekten dreidimensionalen Position platziert werden. Dabei sollte das Implantat mit seiner Schulter in mesiodistaler, in koronoapikaler und in orofazialer Richtung in die sogenannten Komfortzonen eingebracht werden [Wittneben et al., 2013]. Die Freilegung des zweizeitigen Implantats wird heute nach drei bis fünf Monaten mit graziler Lappentechnik durchgeführt, um die Morbidität des Patienten gering zu halten. Anschließend erfolgt die provisorische Versorgung mit dem Ziel der Weichgewebekonditionierung [Buser et al., 2013]. In der ästhetischen Zone sind Implantate, die auf Knochenniveau inseriert sind, von Vorteil, da diese mehr prothetische Freiheit er- möglichen und unter anderem auch eine individuelle Gestaltung des Mukosa- und Emergenzprofils erlauben.

Suprastruktur stützt das Weichgewebe

Die Zahnästhetik beruht auf dem Zusammenspiel der Zähne und der Gingiva. Deshalb ist der Übergang der prothetischen Versorgung zur Gingiva eine wichtige Schnittstelle in der Implantologie. Diese Schnittstelle, das Austrittsprofil der Suprastruktur, ist aus ästhetischer und aus biologischer Sicht von entscheidender Bedeutung. Nachträgliche Korrekturen in diesem Bereich sind nur selten erfolgreich.

Nach Freilegung des Implantats ist das Austrittsprofil kreisrund und entspricht nicht der natürlichen Form eines Zahnes. Die periimplantäre Weichgewebearchtitektur wird durch die Weichteilkonditionierung gestaltet, wie zum Beispiel durch die dynamische Kompressionsmethode [Wittneben et al., 2013]. Dabei wird in den ersten Wochen durch eine Konturierung des Provisoriums Druck auf die periimplantäre Mukosa ausgeübt und das Emergenzprofil ausgeformt. Das Mukosa- und das Emergenzprofil werden durch Anfertigung eines individuellen Abformpfostens registriert und auf das Meistermodell übertragen; das kann auch digital erfolgen [Joda et al., 2013].

Transgingivales Verbindungselement zwischen Implantat und der implantatgetragenen Krone ist das Abutment; es bewerkstelligt bei zweigeteilten Implantaten den Übergang, die Gewebeformung und die Ästhetik durch das Emergenzprofil (Abbildungen 6 bis 8). Funktionell sichert es den Verbund zum Implantatkörper unterhalb des Knochen-niveaus, retiniert durch eine Schraub-, Klebe-, Zementierungs- oder frikativ wirkende Konussteckverbindung. Sowohl auf der Ebene der Implantatschulter als auch im Kontaktbereich zur Rekonstruktion ist ein spaltfreier Übergang anzustreben, um bakterielle Belastungen im sensiblen Umgebungsbereich auszuschließen.

Im ästhetisch sensiblen Frontzahnbereich hat sich dafür Zirkoniumdioxid-Keramik (ZrO2) als Werkstoff qualifiziert. Es ermöglicht einen reizlosen Übergang zur Schleimhaut (Abbildung 9).

Es ist in der Lage, durch koronales Maskieren ein Durchschimmern des grauen Titan implantats durch die Gingiva zu verhindern, besonders bei dünner Schleimhautabdeckung [Beuer et al., 2010]. Die geringere, mikrobielle Belagsbesiedlung auf ZrO2bedeutet eine hohe Biokompatibilität und löst weniger Entzündungen aus. Nur ein reiz-freies, periimplantäres Weichgewebe wird langfristig stabile, klinische Ergebnisse bieten [Harder et al., 2011]. Ein individualisiertes Abutment, das zum Beispiel im CAD/CAM-Verfahren hergestellt wird, hat ein breiteres Indikationsspektrum als ein vorfabriziertes Sekundärteil. Damit sind die Definition des zukünftigen Kronenrandes, die Position und die Abwinkelung (Angulation) weitgehend frei bestimmbar. Eine aktuelle klinische Studie, die Keramik-Abutments mit Vollkeramikkronen versus Titan-Abutments mit Metallkeramikkronen verglichen hat, zeigt nach fünf bis sechs Jahren keinen signifikanten Unterschied dieser beiden Versorgungsarten [Zembic et al., 2013].

Die Entscheidung der Retention beeinflusst die Wahl des Abutments. Bei einer verschraubten Einzelkrone repräsentiert das Abutment das Gerüst. Es muss so konstruiert werden, dass es als Gerüst die Verblendkeramik trägt – also mit Höckerunterstützung. Hier ist die Individualisierung des Sekundärteils im CAD/CAM-Verfahren vorteilhaft, um das Gerüst der zukünftigen Krone anzupassen. Bei zementierten Implantatkronen hilft ein individuell gestaltetes Abutment oder ein Standard-Abutment mit verschiedenen Gingivahöhen, die exakte Position des zukünftigen Kronenrandes zu definieren, wobei diese maximal zwei Millimeter unterhalb der Mukosa liegen sollte [Wittneben et al., 2009]. Zementreste müssen so präzise wie möglich entfernt werden, um die Entstehung einer Peri-Mukositis oder einer Peri-Implantitis zu vermeiden [Wilson, 2009].

Fazit

Grundvoraussetzung für eine komplikations freie Osseointegration unter Belastung ist eine ausreichende, exakt messbare Primärstabilität. Nach einer Zahnextraktion ist wichtig, dass Alveole und Alveolarkamm erhalten oder durch eine Augmentation rehabilitiert werden. Das periimplantäre Weichgewebe muss das Interface zum Implantat bedecken; darin wird es vom individuell geformten Abutment unterstützt. Der Weichgewebedurchtritt an der Suprastruktur wird von der Gestaltung des Emergenzprofils beeinflusst und spielt die entscheidende Rolle für das Zahnbild im ästhetisch sensiblen Frontzahnbereich. Abutments aus Zirkoniumdioxid verhindern bei dünner Gingiva ein Durchschimmern des grauen Titans; die Biokompatibilität von ZrO2reduziert das Risiko einer periimplantären Entzündung.

Diese Thematik wird am 30. November 2013 auf dem 13. Keramiksymposium der AG Keramik in Frankfurt/Main von PD Dr. Stimmelmayr als Referent in einem Vortrag vertieft werden. Weitere Vorträge unterwww.ag-keramik.de, dort unter „Keramiksymposium“.

PD Dr. Michael StimmelmayrJosef-Heilingbrunner-Str. 2 93413 Cham

Manfred KernArbeitsgemeinschaft für Keramik in der Zahnheilkunde e.V.,Postfach 10011776255 Ettlingen

info@ag-keramik.de

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