Mobil gesund
„Technologische Innovationen verändern die Landschaft der Krankheitsprävention und -kontrolle“, erklärte WHO-Generalsekretär Hamadoun I. Touré bei der Vorstellung der Kooperation zu mobilen Gesundheitsanwendungen zwischen der WHO und der „Internationalen Fernmeldeunion“ (ITU) im Herbst in Dubai. „Die weite Verbreitung von mobilen Technologien, auch in vielen Entwicklungsländern, ist eine außergewöhnliche Möglichkeit, den Nutzen der elektronischen Medizin auszuweiten.“
Der Einsatz von mobilen Telekommunikations- und Multimedia- sowie Netzwerktechnologien im Gesundheitsbereich wird unter dem Begriff mHealth zusammen- gefasst. Sie hängt oft mit sogenannten eHealth-Anwendungen zusammen, also dem Einsatz elektronischer Geräte zur medizinischen Versorgung und Dokumentation.
Große Erwartungen
Die Erwartungen an mHealth sind hoch. Sie sei „der größte technologische Durchbruch unserer Zeit“, befand US-Gesundheitsministerin Kathleen Sebelius auf dem letztjährigen „mHealth Summit“ in Washington. Manche Analysten gehen davon aus, dass mobile Gesundheitsanwendungen den Gesundheitsmarkt grundlegend verändern werden.
Auch unter Mediziner ist das Zutrauen groß. Insgesamt 59 Prozent der Ärzte glauben, dass sich mHealth durchsetzen und diese Entwicklung unausweichlich sein wird. Das zeigt die aktuelle Studie „Emerging mHealth: Paths for growth“ der internationalen Unternehmensberatung „PricewaterhouseCoopers“ (PwC), die 433 Mediziner in zehn Ländern, darunter auch Deutschland, befragt hat.
Doch von einer flächendeckenden Einführung ist die Technologie noch weit entfernt. Dabei lägen die Vorteile auf der Hand, glaubt Michael Burkhart, Geschäftsbereichsleiter Gesundheitswesen und Pharma bei PwC. „Durch mHealth wird der Gesundheitsmarkt flexibler, schneller, leichter zugänglich und preiswerter.“ Die Unternehmensberatung erwartet, dass mobile Dienste es künftig ermöglichen, Versorgungsengpässen durch den demografischen Wandel vorzubeugen. Die Zahl alter und chronisch kranker Menschen wird in den nächsten Jahren stetig steigen. „mHealth wird eine wichtige Rolle spielen“, sagt Burkhart. „Dazu trägt auch die rasante Verbreitung von Smart-phones in Deutschland bei.“ PwC rechnet aber mit einer langsameren Verbreitung von mHealth als technologisch machbar wäre. Denn im Gesundheitsbereich stünden einige Akteure den mobilen Diensten noch skeptisch gegenüber – nicht zuletzt um eigene Pfründe zu verteidigen. Ärzte fürchteten den Verlust medizinischer Kontrolle, Kostenträger die Ausgaben.
mHealth soll zukünftig auch bei der Prävention helfen. Das Forschungskonsortium „Inprimo“ arbeitet im Bereich mPrevention. Ziel sei, dass die Vorsorge mit mobilen Endgeräten bei der Gesunderhaltung helfe oder um bei Patienten schwerwiegende Verschlechterungen zeitnah zu erkennen oder Folgeschäden zu vermeiden. Beispielsweise können Asthmakranke per Bluetooth-fähigem Peak-Flow-Meter ihre Lungenfunktionswerte drahtlos auf ihr Smartphone übertragen und von dort ins elektronische Asthma-Tagebuch übertragen. So können Veränderungen in der Lungenfunktion beobachtet und erkannt werden.
Gegen Diabetes und Krebs
Global setzt sich die WHO für eine Verbreitung von mHealth ein. Sie will mit ihrer Initiative zusammen mit der ITU, einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen, speziell nicht-übertragbare Krankheiten (NCDs) bekämpfen. Dazu zählen Diabetes, Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder chronische Atemwegsbeschwerden. Die NCDs sind eine der Haupttodesursachen sowohl in Industrie- als auch in Entwicklungs- und Schwellenländern. Nach Schätzungen der WHO sind von den jährlich 57 Millionen Todesfällen auf der Welt circa 36 Millionen auf nicht-übertragbare Krankheiten zurückzuführen. Die Organisation hofft nach eigenen Angaben, mithilfe von mHealth-Anwendungen via Mobiltelefon Leben retten, Krankheiten und Behinderungen reduzieren und Gesundheitskosten senken zu können.
Konkret setzen WHO und ITU auf evidenzbasierte und einfach umsetzbare Beratung, um NCDs und deren größte Risikofaktoren – Tabak, Alkohol, ungesunde Ernährung und sportliche Inaktivität – zu bekämpfen. mHealth-Anwendungen seien „kosteneffektiv, anpassbar und nachhaltig“, betonte Touré. Wie genau diese mobilen Dienste aussehen sollen, ist aber noch nicht bekannt. WHO und ITU testen zurzeit An- wendungen zur Raucherentwöhnung, zur gesunden Ernährung und zur Steigerung der körperlichen Aktivität.
Während die WHO-ITU-Initiative noch relativ am Anfang steht und im Moment vor allem noch eine Absichtserklärung ist, sind Unternehmen im Bereich mHealth schon weiter. Der britische Mobilfunkkonzern „Vodafone“ hat bereits mehrere solcher Lösungen umgesetzt. In Tansania betreibt er das „SMS for Life“-Projekt. Das Ziel ist laut Vodafone, Malariapatienten einen einfachen und sicheren Zugang zu lebenswichtigen Medikamenten zu garantieren. Mit einer webbasierten Anwendung wird die Bevorratung von Gesundheitseinrichtungen mit dem Malariamittel überprüft. Dazu wird jede Woche eine Erinnerungs-SMS an die jeweilige Einrichtung geschickt, auf die mit einer SMS geantwortet wird, wie groß der Vorrat noch ist und ob neuer benötigt wird. Lokale Gesundheitsbeamte haben Zugang zu den Gesamtdaten und können so Malariaepidemien frühzeitig erkennen und die Medikamentenversorgung gezielter planen. Nach einer nach Firmenangaben erfolg- reichen sechsmonatigen Pilotphase, in der Fehlmengen reduziert und der Arznei- zugang verbessert wurden, wurde „SMS for Life“ 2011 auf alle 5 070 Gesundheits-einrichtungen in Tansania ausgeweitet.
Das Beispiel zeigt: mHealth ist in den Entwicklungs- und Schwellenländern stärker auf dem Vormarsch als in den Industrie- nationen. Wenige Beschäftigte im Gesundheitswesen, weite Wege und im Vergleich zum Einkommen hohe Behandlungskosten lassen die mobilen Dienste dort viel schneller wachsen.
mHealth ist Business
Man sollte aber nicht vergessen: mHealth ist ist auch Geschäft. Durch das zunehmende Gesundheitsbewusstsein in der Gesellschaft wächst auch die Nachfrage nach Gesundheitsprodukten aller Art. Technologie- und Mobilfunkunternehmen wie eben Vodafone drängen in den für sie untypischen Gesundheitsmarkt. Die britische Firma hat das (ökonomische) Potenzial von mHealth schon länger erkannt. Auf der eigens eingerichteten Webseite (mhealth.vodafone.com) heißt es: „Wir sehen den großen Wert, den Mobilität dem Gesundheitssektor auf der ganzen Welt bringt. Er hat mit Kostendruck als Resultat einer alternden Bevölkerung zu kämpfen, mit der Last chronischer Krankheiten und einer zunehmenden Zahl an technologie- affinen Patienten, die eine qualitativ hochwertige, personalisierte Versorgung fordern. mHealth kann sowohl in der öffentlichen wie in der privaten Gesundheitsvorsorge Lösungen für diese Herausforderungen bieten.“
Den allergrößten Teil der heutigen mHealth-Anwendungen in Deutschland machen Smartphone-Apps aus. Tausende sind in den diversen App-Stores verfügbar. Weltweit gegen Experten von 200 Millionen verwendeten Apps aus. Ihre Nutzung liegt aber im privaten Verantwortungsbereich der User. Sie sind in Deutschland nicht in das Versorgungssystem eingebettet, weder mit den Leistungserbringern noch den Kostenträgern verbunden. Anwendungen wie das Asthma-Projekt von Inprimo kommen (noch) nicht in der Breite zum Einsatz.
Das „Aktionsforum Gesundheitsinformationssystem“ (afgis) warnt vor „unkalkulierbaren Risiken“ bei frei verfügbaren Apps, „weil es für Produzenten keine verbind- lichen Vorgaben bei der Herstellung und für Verbraucher keine transparenten Qualitätsmerkmale bei der Nutzung gibt“. Ein geregeltes Verfahren gebe es nur für Apps, die vom Hersteller als Medizinprodukt eingestuft werden.
Die Branche setzt weiter auf Wachstum im mHealth-Markt und glaubt an echte Mehrwerte für den Nutzer. „In Zukunft werden die Anwendungen interaktiver und orts- ungebundener sein“, glaubt Jens Wallraven, Senior Manager Gesundheitswesen und Pharma bei PwC. „Diese Entwicklung wird sich weiter beschleunigen und neue Geschäftsmodelle ermöglichen. mHealth ist eine gute Lösung zur Steigerung der Patientenmobilität und zur Versorgung von Menschen auch in strukturschwachen Gebieten.“eb