Freie Berufe in Deutschland und Europa

Starker Pfeiler für Wirtschaft und Gesellschaft

Vor Kurzem hat das Bundeskabinett den Bericht der Bundesregierung zur Lage der Freien Berufe beschlossen. Er bescheinigt den Freiberuflern in Deutschland eine Schlüsselrolle in der Wirtschaft. Aber auch auf europäischer Ebene stehen die Belange der Berufsgruppe im Fokus und werden von der EU-Politik verstärkt wahrgenommen – nicht zuletzt durch das aktive Engagement ihrer Standes-vertreter. Hier ein Überblick über die aktuellen Diskussionen.

Dr. Rolf Koschorrek, MdB, Präsident des Bundesverbands der Freien Berufe (BFB), zeigte sich erfreut über den Bericht: „Die Bundesregierung identifiziert uns Freie Berufe mit ihrer Lageanalyse als wesentlichen Pfeiler der Sozialen Marktwirtschaft, Wachstumsmotor für die Wirtschaft und spricht uns eine Schlüsselrolle für die moderne Dienstleistungsgesellschaft zu,“ erklärte er. Besonders erfreulich seien die vielen Vergleiche zu anderen Sektoren in dem Bericht. Sie belegten unter anderem die hohe Gründungsdynamik in den Freien Berufen; festgestellt werde zudem, dass hochqualifizierte Dienstleistungen in Zukunft immer wichtiger würden. Allerdings wäre wünschenswert gewesen, dass der Bericht nicht erst so spät in der laufenden Legislaturperiode vorgelegt worden wäre, damit ausreichend Raum für die parlamentarische Befassung geblieben wäre, schränkte Koschorrek ein.

Der Bericht der Bundesregierung stützt sich auf die vom Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gegebene Studie des Instituts für Freie Berufe (IFB) an der Universität Erlangen-Nürnberg.

Zehn Prozent am BIP erwirtschaftet

Im Bericht wird die Bedeutung der Freien Berufe in der Gesellschaft unterstrichen. Die Zahl der selbstständigen Freiberufler wachse kontinuierlich und habe Anfang 2012 mit knapp 1,2 Millionen Selbstständigen einen neuen Höchststand erreicht. Auch als Arbeitgeber und Ausbilder spielten die Freien Berufe eine wichtige Rolle. Sie erwirtschafteten rund 10,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und beschäftigten fast drei Millionen Mitarbeiter, darunter knapp 112 000 Auszubildende. Der Anteil der freiberuflichen Gründungen am Gründungsgeschehen sei mit rund 21 Prozent hoch. Vor allem nähmen Freiberufler gesellschaftliche Verantwortung wahr. Der Bericht unterstreicht, dass die Gesellschaft auf die von Freiberuflern erbrachten gemeinwohlorientierten und durch hohe Qualität, Eigenverantwortlichkeit und Unabhängigkeit geprägten Vertrauensdienstleistungen angewiesen sei. So stehe etwa der (Zahn-)Arzt im Dienste des Patienten im Besonderen und der Gesundheit im Allgemeinen.

Der Freiberufler verkörpere in besonderer Weise die Ideale des selbstverantwortlichen Mittelstands. Wesentlich sei das Element der Freiheit. Diese beziehe sich auf geistige Entscheidungsfreiheit und auf eigenverantwortliches, unabhängiges Handeln. Dem Verständnis von Freiheit und Subsidiarität entspreche auch die Selbstverwaltung der Freien Berufe.

Eine Charta der Freien Berufe

Der Bericht der Bundesregierung bescheinigt aber nicht nur den Freiberuflern in Deutschland, sondern auch denen in Europa die Rolle als eine der wichtigsten Triebfedern für Innovation. Fragen der Zukunft der Freiberuflichkeit schwingen immer wieder bei europäischen Gesetzgebungsverfahren mit, so etwa bei der Revision der Berufsanerkennungsrichtlinie oder auch bei der Diskussion um die Unterwerfung der Freien Berufe unter das europäische Wettbewerbs- und Kartellrecht. Immer wieder geschieht es dabei, dass die spezifischen Belange der betroffenen Berufsgruppen bei Gesetzgebungsverfahren nicht genügend Berücksichtigung finden – und dass die Standesvertreter in Brüssel dafür kämpfen müssen, Gehör zu finden. Deshalb hat es sich für die freiberuflichen Verbände bewährt, Aktivitäten auf europäischer Ebene zu bündeln und sich gut zu vernetzen.

Die europäische Zahnärzteschaft ist hier sehr aktiv und hat entsprechende Konzepte erarbeitet. Auf der Novembersitzung 2012 des Council of European Dentists (CED) wurde eine Charta der Freien Berufe ver- abschiedet, die eine auf Initiative der Bundeszahnärztekammer gegründete Arbeitsgruppe des CED-Vorstands als Entwurf ausgearbeitet hatte. Sie soll dem Dialog mit anderen freiberuflichen Berufsgruppen auf europäischer Ebene dienen, um gemeinsam für die Belange der Freien Berufe in Brüssel zu werben.

Trotz der wachsenden Bedeutung und der Tatsache, dass Freie Berufe oft öffentliche Dienstleistungen in den Kernbereichen der Daseinsvorsorge bieten, werde die Bedeutung der Freien Berufe auf Ebene der Europäischen Union noch immer nicht ausreichend anerkannt, heißt es im Entwurf der Charta.

Das Papier liefert zudem eine Definition des Begriffs Freie Berufe, die auf der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs beruht (siehe Kasten). Außerdem werden in dem Papier zehn Grundsätze formuliert, die dem CED zufolge von allen Freien Berufen in Europa gemeinsam geteilt werden sollten:

• Sie übernehmen Verantwortung und dienen dem Gemeinwohl.

• Sie sind Teil einer freiheitlichen Gesellschaft.

• Sie schützen Vertrauen.

• Sie erbringen höchste Qualität.

• Sie sind unabhängig.

• Sie erbringen ihre Leistung persönlich.

• Sie sind verlässliche Partner.

• Sie setzen auf eine transparente Selbst-verwaltung.

• Sie investieren in Ausbildung.

• Sie stehen für ein innovatives Europa.

Leitlinien für die EU-Institutionen

Die Charta schlägt vor, verbindliche Leit- linien aufzustellen, die gewährleisten sollen, dass die europäischen Institutionen den möglichen Auswirkungen aller neuen oder geänderten Rechtsvorschriften auf Frei- berufler Rechnung tragen. Folgende sieben Leitlinien sollten von den europäischen Institutionen vor der Einführung neuer Gesetze beachtet werden:

• Die Europäische Union stärkt die Rolle der Freien Berufe und unterstützt diese Berufe im Rahmen ihrer Kompetenzen.

• Die Europäische Union erkennt den Mehrwert der Freien Berufe für die euro- päische Gesellschaft an und stellt sicher, dass die Freien Berufe nicht ausschließlich auf Grundlage der marktwirtschaftlichen Kriterien beurteilt werden.

• Die Europäische Union respektiert die Selbstverwaltungsstrukturen der Freien Berufe, so wie sie in vielen Mitgliedstaaten existieren. Nach dem Grundsatz der Subsidiarität haben die Mitgliedstaaten die Freiheit, selbst die Art und Weise der Organisation der professionellen freiberuflichen Strukturen zu wählen.

• Die Europäische Union erkennt an, dass eine Entscheidung zur Deregulierung der Freien Berufe, ohne Berücksichtigung aller möglichen Konsequenzen, zu einem Qualitätsrückgang und zum Verlust einer vollständigen Versorgung führen kann, wie etwa im Bereich Gesundheitsdienstleistungen.

• Die Europäischen Institutionen führen eine Folgenabschätzung über die spezifischen Auswirkungen der Legislativvorschläge für die Freien Berufe vor und nach Annahme der europäischen Gesetzgebung durch. In dieser Hinsicht soll der europäische Gesetzgeber insbesondere die negativen Auswirkungen der bürokratischen Belastung auf die Freien Berufe berücksichtigen.

• Die Europäische Union garantiert, dass die von Freien Berufen erbrachten Dienstleistungen individuelle Lösungen auf einer sehr kreativen Grundlage sind, die nicht Gegenstand einer Normung/Standardisierung auf europäischer Ebene sind.

• Die Europäische Union garantiert, dass das besondere Vertrauensverhältnis zwischen den Angehörigen der Freien Berufe und ihren Klienten beziehungsweise Kunden oder Patienten vollständig geschützt ist.

Aktionsplan Unternehmertum 2020

Dass die Forderungen des CED auch in der europäischen Politik wahrgenommen werden, zeigt sich positiv im neuen Aktionsplan der EU-Kommission „Unternehmertum 2020“, der Anfang Januar vorgestellt wurde. Als Folge der Überprüfung des „Small business Act“ für Europa von 2011 und der Mitteilung zur Industriepolitik vom Oktober 2012 enthält der Aktionsplan eine erneute Vision und zeigt Maßnahmen auf, die auf EU-Ebene und auch auf der Ebene der Mitgliedstaaten zur Förderung des Unternehmertums ergriffen werden sollten. Auch 2007 hatte die Kommission bereits in ihrer „European Charter for Small Enterprises“ Kautelen festgelegt, um auf die Bedürfnisse kleiner und mittelständischer Unternehmen einzugehen.

Im neuen Aktionsplan „Unternehmertum 2020“ hebt die Kommission die wirtschaftiche Bedeutung der Freien Berufe in Europa hervor. Sie plädiert für einen Wandel in der Unternehmerkultur, setzt auf das Wachstumspotenzial von kleinen und mittelständischen Unternehmen. Die Freien Berufe werden erstmals als eigene Kategorie anerkannt, der künftig mehr Augenmerk auf europäischer Ebene gewidmet werden soll.

Unter ausdrücklicher Bezugnahme der Freien Berufe stellt die Kommission einen weiteren Abbau bürokratischer Hürden in Aussicht und fordert, dass ungerechtfertigte Markteintrittsbarrieren bei Freien Berufen beseitigt werden sollen.

Für die Freiberufler ist dies ein erfreuliches Ergebnis. BFB-Präsident Koschorrek reagierte entsprechend: „Dieser Aktionsplan ist ein wichtiger Schritt nach vorne“, wird er in einer Pressemeldung des BFB nach Veröffentlichung des Papiers zitiert. „Denn damit wird ein unmissverständliches Bekenntnis zu den Freien Berufen und ihrem System ausgesprochen und diese werden nicht wie sonst üblich ständig in den Fokus von ungerechtfertigten Deregulierungsbestrebungen geschoben. Vielmehr sollen jetzt die Potenziale der Freien Berufe genutzt werden.“

Der Aktionsplan Unternehmertum 2020 sei ein weiterer Versuch der Europäischen Kommission, die Folgen der anhaltenden Wirtschaftskrise in Europa zu überwinden, bilanziert das Brüsseler Büro der Bundeszahnärztekammer. Die Brüsseler Behörde sehe in der Förderung des Unternehmertums und der Unternehmenskultur ein Schlüsselelement. Insofern enthalte der Aktionsplan viele richtige und wichtige Ansätze.

Besondere Rolle berücksichtigt

„Als ausgesprochen positiv muss hervor- gehoben werden, dass die Kommission im Aktionsplan gleich mehrfach auf die Freien Berufe Bezug nimmt“, kommentierte BZÄK-Präsident Dr. Peter Engel. „Hier ist für die Freien Berufe ein Erfolg erzielt worden, den auch die zahnärztliche Versorgung in Deutschland als positive Rahmenentwicklung verbuchen kann. Auch die besondere Rolle der Freiberufler für das Allgemeinwohl und für das europäische Wirtschaftsgefüge wird hier ausdrücklich anerkannt.“

Die spezifischen Bedürfnisse von Freiberuflern sollen jetzt in einer Arbeitsgruppe unter Führung der Kommission ermittelt werden. Die Arbeitsgruppe, die mit einer Anzahl von 40 bis 60 Vertretern agieren soll, ist derzeit in der Phase, sich zu konstituieren. Geplant ist, dass von deutscher Seite auch der BFB beteiligt ist. Auszugehen ist ferner davon, dass der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) Vertreter in das Gremium schicken wird. Der EWSA ist ein offizielles EU-Organ, das die EU-Kommission, das europäische Parlament und die im EU-Rat versammelten Mitgliedstaaten bei allen europäischen Gesetzgebungsverfahren berät.

Seit Mitte April 2011 ist die BZÄK über ihren Hauptgeschäftsführer RA Florian Lemor als stellvertretendes Mitglied im EWSA vertreten. Damit hat die BZÄK Zugriff auf die Verwaltungsstrukturen des Ausschusses und kann an nicht-öffentlichen Sitzungen der europäischen Institutionen teilnehmen.

Dies stellt nach Meinung der BZÄK politisch gesehen einen großen strategischen Vorteil dar, wenn es um die Belange der Freien Berufe geht: Die Anliegen der deutschen und der europäischen Zahnärzteschaft könnten so unmittelbar in den Gesetzgebungsprozess eingebracht werden – so wie jetzt bei der Ermittlung der spezifischen Bedürfnisse von Freiberuflern auf europäischer Ebene. Diese Arbeitsgruppe eröffnet die Gelegenheit, freiberufliche Forderungen, wie sie der CED in seiner Charta der Freien Berufe bereits vorformuliert hat, zentral zu platzieren, heißt es bei der BZÄK.

Info

Definition des Begriffs Freie Berufe

Da der Begriff Freie Berufe in den verschiedenen EU-Mitgliedstaaten unterschiedlich verstanden wird, sei eine gemeinsame Definition von entscheidender Bedeutung, formuliert der Charta-Entwurf des CED. Im Jahr 2001 erließ der Europäische Gerichtshof (Rechtssache „C-267/99, Adam. / .Administration De l’enregistrement et des Domaines de Luxemburg) zum ersten Mal ein Urteil, wonach die Freien Berufe durch folgende Merkmale gekennzeichnet sind:

• Sie haben einen hohen intellektuellen Charakter,

• erfordern ein hohes Qualifikationsniveau,

• unterliegen in der Regel spezifischen und strengen berufsrechtlichen Regelungen,

• darüber hinaus ist ein persönliches Element während der Ausübung eines solchen Berufs sehr wichtig,

• und schließlich erfordert die Ausübung eines solchen Berufs ein hohes Maß an Unabhängigkeit in der beruflichen Praxis.

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