Die gestresste Generation
Die Zusammensetzung der deutschen Gesellschaft befindet sich in einem dynamischen Wandlungsprozess. In den kommenden Jahrzehnten wird die Gesamtbevölkerung schrumpfen. Dafür nimmt der Anteil älterer Menschen sowie derer mit Migrationshintergrund zu. Diese oft beschriebene Genese birgt enormen Handlungsbedarf.
Für die Ethikrat-Vorsitzende Prof. Christiane Woopen müssen zuerst die Grenzen in den Köpfen überwunden werden. „Interesse und Wertschätzung als Grundhaltung gegenüber unterschiedlichen Lebensentwürfen, Kreativität in der Entwicklung neuer Formen von gemeinsamem Lernen, Arbeiten und Leben sowie Gerechtigkeit bei der Verteilung von Rechten und Pflichten zwischen Jung und Alt müssen die Grundlagen dafür sein, als Gesellschaft im demografischen Wandel zusammenzuhalten“, so Woopen.
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel erklärte, gerade bei langsam sich vollziehenden Prozessen sei es wichtig, frühzeitig über Gestaltungsmöglichkeiten nachzudenken. Exemplarisch nannte sie Rahmenbedingungen für Familien, die Gesundheitsversorgung, die Integration und die Arbeitswelt. Besonders wichtig sei jedoch die Nachhaltigkeit der sozialen Sicherungssysteme. Dabei betonte sie neben den Aufgaben der Politik die besondere Bedeutung des ehrenamtlichen Engagements der Bürger an der Basis. In der „Demografiestrategie“ diskutiere man auf politischer Ebene, wie Lösungswege für besonders strukturschwache Regionen gefunden werden könnten.
Die jüngeren Menschen im erwerbsfähigen Alter dürften nicht überfordert werden. „Wir müssen alle Hand in Hand arbeiten und voneinander lernen“, betonte Merkel. Sie sei auf ihrer „Demografiereise“ von der Vielfalt guter Projekte beeindruckt gewesen. (www.bundeskanzlerin.de) Auch der Bundesfreiwilligendienst habe sich etabliert. Dabei seien 30 Prozent der Teilnehmer älteren Semesters und setzten sich für andere Menschen ihrer Generation ein. Insgesamt müsse die Gestaltung des demografischen Wandels durch eine flexible Handhabung der Zuständigkeiten von Kommunen, Ländern und Bund unterstützt werden.
Ratsmitglied Prof. Elisabeth Steinhagen-Thiessen hob die Rolle der Prävention für die Gesundheit im ganzen Lebensbogen hervor und appellierte eindringlich für mehr Entlastung der pflegenden Angehörigen. Die komplementäre Pflege im Blick liege die BRD weit hinter Skandinavien zurück. Für den steigenden Versorgungsbedarf im Gesundheitswesen forderte sie eine Mittelumschichtung und neue Prioritäten. Hier müsse die Politik einen gesellschaftlichen Diskurs anstoßen.
Ratsmitglied Prof. Wolfgang Huber machte ebenfalls deutlich, dass die mittlere Generation besondere Aufmerksamkeit verdiene. Sie sei dreifach gefordert: in der Verantwortung für das Aufwachsen der Jüngeren, in der Fürsorgepflicht für die ältere Generation wie auch im Beruf. Für ihn stellt der Umgang mit Migration das wesentliche Moment für den Zusammenhalt einer Gesellschaft (im demografischen Wandel) heraus. Der Beitrag der Migration zur Milderung demografischer Ungleichgewichte werde nur verhalten zur Sprache gebracht. Zum Thema Geburtenmangel sagte er, viele Menschen hätten den Kinderwunsch, würden ihn aber nicht realisieren, weil sie mit der „Rushhour des Lebens“ nicht fertig werden. In der Diskussion wurde auch erörtert, wie häusliche Pflege gestaltet werden kann, wenn Bürger länger im Beschäftigungsverhältnis sind. Merkel erklärte, dass hier die Pflege Familienangehörige ersetzen könnte. Die Politik könne diese – auch ethische – Frage nur nicht allein beantworten.
Info
Audioprotokolle
Die Audioprotokolle der Statements von Prof. Christiane Woopen und Dr. Angela Merkel und der Mitschnitt der Podiumsdiskussion können unter dem Linkwww.ethikrat.org(Veranstaltung Forum Bioethik) nachgehört werden.