Dualität erhalten und reformieren
Für Bahr ist und bleibt das duale System im Gesundheitswesen der Garant für eine wohnortnahe und flächendeckende medizinische Versorgung auf hohem Niveau. Das machte der Minister am 22. April 2013 bei der Veranstaltung des Deutschen Instituts für Gesundheitsrecht erneut deutlich. „Das duale System ist ein hervorragendes Konstrukt, um eine Allokation in der gesundheitlichen Versorgung herzustellen“, sagte Bahr. Er unterstrich, dass eine Vereinheitlichung der Versicherungssysteme, so wie sie in den verschiedenen Vorschlägen der Oppositionsparteien diskutiert wird, die bestehenden Probleme im Gesundheitswesen nicht lösen, sondern – im Gegenteil – noch verschlimmern werde.
Dabei, so der Minister, gebe es gar nicht jenes eine allumfassende Modell der Bürgerversicherung, sondern nur die Idee der Vereinheitlichung der beiden konkurrierenden Systeme von Gesetzlicher Krankenversicherung (GKV) und Privater Krankenversicherung (PKV). Je nach Gusto der für die Idee der Einheitsversicherung eintretenden Partei wären höchst unterschiedliche Vorstellungen und Schwer-punkte damit verknüpft.
Doch erst durch die Dynamik zwischen den beiden unterschiedlichen Systemen entstehe ein fruchtbarer Wettbewerb, so Bahr. „Bei aller Kritik schafft es das duale System im internationalen Vergleich doch hervorragend, die medizinische Versorgung in Deutschland sicherzustellen“, sagte er. Dabei sei der Wettbewerb kein Selbstzweck, sondern vielmehr als Ordnungselement zu sehen. Bahr: „Wettbewerb setzt einen Regelrahmen voraus, der durch Politik und Gesetzgeber geschaffen wird. Auch der Wettbewerb setzt sich seine Voraussetzungen nicht selbst.“
Obwohl das duale System einer Einheitsversicherung überlegen sei, gehe es dennoch auch darum, es immer wieder zu reformieren, um die Aufgaben in der Zukunft meistern zu können. Während die GKV immer wieder mit dem Problem der Kostenbegrenzung und Ausgabendynamik zu kämpfen habe, sei es vom Gesetzgeber jahrelang versäumt worden, in der PKV Reformen anzustoßen, so Bahr.
Bahr sprach sich bei der Tagung auch dafür aus, dass Krankenkassen, zumal wenn sie fusionieren, auch dem Wettbewerbs- und Kartellrecht unterliegen müssten. Bahr: „Dort wo sich die Kassen wie Unternehmen verhalten, müssten sie eigentlich auch wie Unternehmen behandelt werden.“
Für den Bereich der zahnmedizinischen Versorgung haben sowohl die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) als auch die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) immer wieder ihre Bedenken gegen eine Bürgerversicherung vorgebracht. Der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der KZBV, Dr. Wolfgang Eßer, stellte bei den Gesundheitsgesprächen die Frage, warum man ein gut funktionierendes System abschaffen wolle. Eßer: „Never change a running system.“
Der Leistungskatalog ist gefährdet
Bei allen Verbesserungsmöglichkeiten schneide das Gesundheitssystem hierzulande im internationalen Vergleich gut ab, Deutschland nehme bei der Mundgesundheit weltweit einen Spitzenplatz ein und der zuzahlungsfreie zahnärztliche Leistungsumfang sei so umfangreich wie in keinem anderen Land. Eßer: „Im Rahmen der vertragszahnärztlichen Versorgung ist eine qualitativ hochwertige, den heutigen Erkenntnissen der Wissenschaft entsprechende Grundversorgung definiert worden, inklusive einer weitgehenden Regelversorgung beim Zahnersatz und entsprechenden Regelungen, die soziale Härtefälle vermeiden.“ Es gebe keine plausiblen Argumente, wie eine Bürgerversicherung die Versorgung verbessern soll. Daher plädiere die Zahnärzteschaft für die Beibehaltung des bestehenden dualen Systems und nicht für die Abschaffung der PKV, so Eßer. Aus Sicht der Zahnärzte wäre eine Einheitsversicherung eine Verschiebung der Risikolast hin zu den Heilberufen. Grund: Zehn Prozent Privatversicherte tragen über 26 Prozent der gesamten Praxisumsätze. Eßer: „Der Wegfall dieser Honorareinnahmen würde viele Praxen existenziell gefährden. Gerade niedergelassene (Zahn-)Ärzte im ländlichen Raum sind auf diese zusätzlichen Umsätze im höchsten Maße angewiesen, um ihre Praxis wirtschaftlich betreiben zu können.“
Auch seien im zahnärztlichen Bereich die Investitionskosten für das Errichten und Führen einer Praxis sehr hoch. Um dem medizinischen Fortschritt Rechnung zu tragen, stünden regelmäßig Neuausstattungen und Investitionen an. Solche Investitionen würden beim Wegbrechen der Einnahmen aus privatzahnärztlicher Versorgung nicht mehr darstellbar sein.
Gesundheitsversorgung nach Kassenlage droht
Zudem: In den Bürgerversicherungsmodellen sei vorgesehen, den Steuerzuschuss in das Gesundheitswesen deutlich zu erhöhen, was zwangsläufig zu einer Gesundheitsversorgung „nach Kassenlage“ führen werde, da der Finanzminister nicht die Versorgung der Bevölkerung mit medizinischen Leistungen, sondern die Stabilität seines Haushalts im Auge habe. Eßer: „Wir erleben dies bereits heute, wenn die Einführung von dringend erforderlichen Therapien für alte Menschen und Menschen mit Behinderungen am Veto des Finanzministers scheitert und wenn der Bundeszuschuss zur GKV für die Haushaltssanierung herhalten muss.“ Eßer betonte auch, dass gerade der Wettbewerb durch verschiedene Versicherungssysteme beibehalten werden müsse. „Die Stärke unseres Gesundheitssystems entsteht aus der Konkurrenz der beiden Systeme untereinander. Die Konvergenz der Systeme schwächt diesen Wettbewerb.“
Der KZBV-Vize führte auch aus, dass es für die zahnärztliche Versorgung nicht entscheidend sei, ob ein Patient privat oder gesetzlich versichert ist. „Der Vorwurf der Zwei- Klassen-Medizin spiegelt sich in der Realität nicht wider, denn die Schwere der Krankheit ist entscheidend für die Schnelligkeit und den Umfang der Behandlung“, so Eßer.
Steigende Macht einzelner Krankenversicherer
Wird die PKV als Vollversicherer beseitigt, werde dies einen weiteren Konzentrationsprozess mit Oligopolbildung auf der Krankenkassenseite induzieren. Oligopolen Strukturen fehle aber die Eigenschaft des systemimmanenten Wettbewerbs mit Mitbewerbern. „Die Bürgerversicherung gefährdet daher die Grundprinzipien des Wettbewerbs, der Vertragsfreiheit, der Freiberuflichkeit und der freien Arztwahl und ist daher nicht mit der sozialen Marktwirtschaft kompatibel“, sagte Eßer.
Daher spreche sich die Vertragszahnärzteschaft für den Erhalt der privaten Krankenvollversicherung als wichtige zweite Versicherungssäule des deutschen Krankenversicherungssystems aus. Die Bürgerversicherung biete keinen Lösungsansatz, um den steigenden Kosten im Gesundheitswesen, die durch die demografische Entwicklung und den medizinisch-technischen Fortschritt bedingt sind, wirksam zu begegnen. Eine zentralisierte und fiskalgesteuerte Gesundheitspolitik sei nicht der richtige Weg für die Lösung der Probleme im Gesundheitswesen.
Freies Wahlrecht fördert Wettbewerb
Trotzdem, so Eßer, werde das gegenwärtige Gesundheitssystem zukünftig nur tragfähig bleiben, wenn es nachhaltig reformiert wird.
Reformierte Dualität heiße die passende Lösung. Zudem müsse die Frage erlaubt sein, warum man politisch nicht bereit sei, die PKV für alle Bürgerinnen und Bürger zu öffnen und die Versicherungspflichtgrenze abzuschaffen oder zumindest deutlich ab-zusenken. Eßer: „Warum sollen Menschen ihre Krankenkasse nur im GKV-Bereich, und nicht auch zwischen GKV und PKV frei wählen können? Wenn Bürger sich frei entscheiden könnten, gäbe es wirklich ein echtes Wahlrecht und einen wirkungsvollen Wettbewerb um die beste Versorgung.“
Der Vorstandsvorsitzende und Direktor des Instituts für Gesundheitsrecht, Prof. Helge Sodann, wies als Veranstalter der Tagung darauf hin, dass das duale System in Deutschland eine lange Tradition besitzt. Mittlerweile sei es aber trotz der unterschiedlichen Ansätze in den Versicherungsarten immer mehr durch Politik und Gesetzgeber zu einer Angleichung zwischen PKV und GKV gekommen.