Barmer GEK Zahnreport 2013

Zahnersatz im Fokus

In ihrem neuen Zahnreport 2013 unterstellt die Barmer GEK, dass die Kosten für Zahnersatz in den vergangenen Jahren angestiegen seien. „Wer neuen Zahnersatz braucht, muss tiefer in die Tasche greifen“, so die Aussage der Kasse. KZBV und BZÄK sehen die Ergebnisse des Reports differenzierter: Nicht alle Ergebnisse könne die Zahnärzteschaft mittragen, aber Konsens gebe es bei der Forderung, zielgerichtet Präventionsmaßnahmen auszuweiten.

„Es ist gut, wenn sich gesetzliche Krankenkassen verstärkt mit Fragen der zahnmedizinischen Versorgung auseinandersetzen und Berichte veröffentlichen“, kommentierte der KZBV-Vorsitzende Dr. Jürgen Fedderwitz den Report. „Dann können wir die Ergebnisse mit unseren eigenen Untersuchungen in den Zahnärzteorganisationen abgleichen, zum Beispiel unseren regelmäßigen deutschlandweiten Mundgesundheitsstudien.“

Der Barmer GEK Zahnreport 2013 wurde am 23. April auf einer Pressekonferenz in Berlin vorgestellt. Neben Leistungen im konservierend-chirurgischen Bereich, insbesondere dem Bereich der Früherkennungsuntersuchungen von Karies, findet sich als Schwerpunktthema die Versorgung mit Zahnersatz und Zahnkronen.

Der Bericht decke sich in vielen Punkten mit den Analysen der Zahnärzteschaft, bilanziert Fedderwitz. Er bestätige, dass es Betreuungs- und Versorgungsbereiche gebe, in denen alle Beteiligte gefordert seien, noch besser zu werden. Ohnehin sei für die KZBV die Forderung nach einer Ausweitung zielgerichteter Präventionsmaßnahmen für alle Bevölkerungsgruppen eines der wichtigsten Ergebnisse des Zahnreports. Nicht einverstanden sei die KZBV allerdings mit einigen Schlussfolgerungen zum Thema Zahnersatz. Auch die BZÄK zeigt sich zu diesem Bereich kritisch.

Höhere Privatkosten beim Zahnersatz

Der Report liefert laut Aussagen der Wissenschaftler erstmals umfassende bevölkerungsbezogene Auswertungen von Zahnersatzleistungen wie Kronen, Brücken oder Implantaten. Für die Analyse griff das Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung (ISEG) in Hannover auf Heil- und Kostenpläne der früheren Gmünder ErsatzKasse GEK aus den Jahren 2001 bis 2009 zurück.

Die Durchschnittskosten für neuen Zahnersatz lagen laut Report im Jahr 2009 bei 1 382 Euro je Betroffenem. Davon mussten Patienten 56 Prozent, nämlich im Schnitt 776 Euro privat aufwenden, also deutlich mehr als die Hälfte. Dabei habe sich eine überraschend hohe Versorgungsrelevanz von prothetischen Leistungen gezeigt, so die Versorgungsforscher. So wurde im Jahr 2009 für 11,5 Prozent der Bevölkerung mindestens ein Heil- und Kostenplan für Zahnersatz abgerechnet. Knapp die Hälfte entfiel auf Neueingliederungen, der Rest auf Wiederherstellungen und Reparaturen. Die Inanspruchnahme von Frauen lag 1,6 Prozentpunkte über derjenigen von Männern. Noch deutlicher sei die Variation im Altersverlauf: Auf dem Gipfel der Inanspruchnahme, bei den 77-Jährigen, bekämen rund 27 Prozent der Bevölkerung Zahnersatz, wobei das Gros auf Reparaturen entfalle.

Danach sei ein Abfall zu beobachten, der im Alter von über 90 Jahren bei einer Inanspruchnahmerate von 21 Prozent bei den Männern beziehungsweise 15 Prozent bei den Frauen endet. Der Rückgang der Inanspruchnahme von Zahnersatz im Alter gehe für Pflegebedürftige mit einem hohen Maß von zahnmedizinischer Vernachlässigung einher, so der Report.

Nach Ansicht von Dr. Rolf-Ulrich Schlenker, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Barmer GEK, zeigt sich hier Handlungs- bedarf. Zwar seien die Eigenanteile seither nicht so dramatisch gestiegen wie von vielen befürchtet. „Aber der schleichende Trend zu höheren Privatkosten ist unverkennbar. Nirgendwo sonst im Gesundheitswesen ist die Aufspaltung in eine solidarisch finanzierte Sockelversorgung und privat getragene Premiumbehandlung weiter fortgeschritten“, sagte er vor den Journalisten. Über den Einsatz teurer Versorgungsalternativen werde der Privatkostenanteil in die Höhe getrieben und die Basis der Festzuschüsse weiter abgesenkt. Seine Forderung: „Wir müssen deshalb das Modell der Festzuschüsse reformieren, indem wir den Anstieg der über die private Gebührenordnung der Zahnärzte abgerechneten Leistungen bremsen.“ Und: „Die gesetzlichen Krankenkassen brauchen einen entsprechenden Verhandlungsauftrag, um die gesamte Behandlung und ihre Kosten im Interesse der Versicherten regeln zu können“, erklärte Schlenker vor der Presse.

Laut Berechnungen des ISEG stiegen die Eigenleistungen für Zahnersatz zwischen 2005 und 2009 inflationsbereinigt um 18 Prozent. Der Privatanteil an den Gesamtkosten legte um einen Prozentpunkt von 55 auf 56 Prozent zu. Der Autor des Reports, Prof. Dr. Thomas Schäfer, sagte dazu: „Für die darauffolgenden Jahre ist aus Daten der Gesundheitsausgabenrechnung des Bundes belegt, dass diese Entwicklung weitergegangen ist. Insgesamt müssen wir von einem noch höheren Niveau der Eigenleistungen ausgehen.“

Keine finanzielle Überforderung

Nach Ansicht von Fedderwitz stellt sich der Sachverhalt jedoch anders dar: „Es gibt keine anhaltende Tendenz zur Privatisierung der vertragszahnärztlichen Versorgung. Und wir können auch keine finanzielle Überforderung der Patienten feststellen. Das Honorar für private Zusatzleistungen bei Füllungen und Zahnersatz hat im Jahr 2011 nur rund zehn Prozent des Gesamthonorars für die Behandlung von gesetzlich Krankenversicherten ausgemacht. Die Eigenanteile der Versicherten haben sich auch ausweislich des Barmer-Reports seit 2006 kaum verändert.“

Das seit 2005 geltende Festzuschusssystem für Zahnersatz funktioniere sehr gut und sei bei den Patienten akzeptiert. Es sei sozial sensitiv und verhindere durch eine Härtefallregelung übermäßige finanzielle Belastungen. Patienten könnten sich darauf verlassen, dass die Regelversorgung dem aktuellen wissenschaftlichen Standard entspricht und die Teilnahme am wissenschaftlichen Fortschritt ermöglicht. Denn das Festzuschusssystem sei als lernendes System angelegt. Die Regelversorgung werde vom Gemeinsamen Bundesausschuss turnusmäßig geprüft und bei Bedarf angepasst. Leistungen, die über die Regelversorgung hinausgingen, dienen meistens der Ästhetik und dem Komfort. Fedderwitz: „Dass Patienten dafür selbst aufkommen sollen, halte ich für legitim – zumal sich der Eigenanteil über eine Zahnzusatzversicherung deutlich reduzieren lässt. Nicht legitim ist die alte Forderung der Krankenkassen, private Leistungen kontrollieren zu wollen. Ich habe den Eindruck, unsere Patienten sehen das genauso.“ Für einen Verhandlungsauftrag der Kassen zur Regelung der Gesamtkosten für den Versicherten sieht die KZBV keine Notwendigkeit.

Vorzieheffekt und Umstellungsprozesse

Die Statistik-Abteilung der KZBV hat zum Zahnreport eine ausführliche Einschätzung erarbeitet. Darin geht sie unter anderem auch auf die vermeintliche Belastung der Versicherten von rund 18 Prozent ein. Die KZBV-Berechnungen belegen Folgendes: Diese Entwicklung muss vor dem Hintergrund der Einführung der Festzuschüsse im Jahr 2005 gesehen werden. Diese hat zu einem deutlichen Einbruch der Neuversorgungsfälle geführt. Im Jahr 2005 gingen die Ausgaben für Zahnersatz um 33,4 Prozent zurück. Wesentliche Gründe für den starken Rückgang der Ausgaben im Bereich Zahnersatz im Jahr 2005 lagen in dem Ende 2004 eingetretenen Vorzieheffekt, in einer fehlenden Übergangsregelung, in der Verunsicherung der Versicherten und in den durch den Systemwechsel bedingten Umstellungsproblemen im Jahr 2005. Dies hatte besonders im 1. Halbjahr 2005 zu einem gravierenden Rückgang der prothetischen Neuversorgungen geführt. Der Normalisierungsprozess im Versorgungsgeschehen führte dazu, dass die Eigenleistungen für Zahnersatz im Jahr 2006 gegenüber 2005 um 90 Euro anstiegen.

Der restliche Anstieg in den Jahren 2006 bis 2009 verlief moderat. Er betrug in diesen drei Jahren nur 20 Euro je Betroffenen. Insofern ist die Gesamtentwicklung 2005 zu 2009 fast vollständig auf einen statistischen Basiseffekt zurückzuführen. Auch hieraus kann keine finanzielle Überforderung der Ver- sicherten abgeleitet werden. Hätte man – methodisch korrekt – das Basisjahr 2006 zugrunde gelegt, hätte der Anstieg der Eigenleistung in den Jahren 2006 bis 2009 insgesamt nur drei Prozent betragen.

Aufklärung statt Verunsicherung

Die BZÄK sieht die Ergebnisse des Reports zum Zahnersatz differenzierter und schlägt kritische Töne an. „Die verbreiteten Folgerungen zur Kostenbelastung der Patienten sind rein politisch motiviert“, so BZÄK-Präsident Dr. Peter Engel. „Hinter der Forderung, private Leistungen kontrollieren zu wollen, wirft die gesetzliche Krankenversicherung ihren Anker zum Geschäftsfeld der PKV.“ Daten zur Versorgungsforschung könnten Trends abbilden sowie Lücken und Versorgungsbedarfe aufzeigen. „Kritisch wird es, wenn eine Datenlage fehlinterpretiert wird, mit einem Konvolut an Zahlen die Öffentlichkeit verunsichert wird und politisches Kalkül dahintersteckt“, sagt Engel.

Die Datenlage des aktuellen Zahnreports bilde zwar eine solide zahnmedizinische Versorgung auch im Bereich Zahnersatz ab, werde jedoch schlagzeilenartig interpretiert, so die BZÄK. Denn die Datenlage des Reports selbst zeige, dass über 70 Prozent der zu versorgenden Zähne sogar bei neuem Zahnersatz nach der Regelversorgung behandelt werden. Der wesentlich geringere Anteil der Zahnersatzbehandlungen gehe auf Patientenwunsch über die Regelversorgung hinaus.

Die BZÄK verweist darauf, dass die Material- und Laborkosten mit bis zu 60 bis 70 Prozent der Zahnersatzkosten eine entscheidende Rolle spielen, denn neue Technologien, bessere Materialien und höhere ästhetische Ansprüche kosteten mehr. Die Interpretation dieser Daten werde weder in einen Zusammenhang mit der demografischen Entwicklung – Zunahme der Bevölkerungsgruppe zwischen 50 und 75 Jahren, die Zahnersatz besonders benötigen – noch mit der gestiegenen Erwartungshaltung der Patienten gebracht, sondern richte sich kassenseitig ausschließlich gegen den Zahnarzt.

Dabei sei das 2005 eingeführte Festzuschusssystem gerade dazu angelegt worden, keinen Patienten sozial zu benachteiligen und trotzdem am medizinischen Fortschritt teilzuhaben. Die BZÄK erinnert daran, dass vor 2005 ein Patient zur Versorgung mit Implantaten keinerlei Zuschuss seiner Krankenkasse erhielt.

Für den Vizepräsidenten der BZÄK, Prof. Dr. Dietmar Oesterreich, ist die Intention dieser Zahlenfehldeutung durchsichtig und unverantwortlich. „Wer generierte Daten aus dem Versorgungsalltag einseitig zur Umsetzung seiner politischen Motive nutzt, hat weder den Sinn der Versorgungsforschung richtig verstanden, noch leistet er einen nutzbringenden Beitrag zur Gesundheitssystemgestaltung. Unabhängigkeit und verantwortlicher Umgang bei der Inter- pretation der Forschungsergebnisse sind Voraussetzungen für solide Versorgungsforschung. Hier hat die Zahnärzteschaft mit ihrem Institut der deutschen Zahnärzte (IDZ) seit Jahren eine beispielhafte Arbeit geleistet. Der Zahnreport erfüllt dieses Klassenziel nicht.“

Unterschiede bei Geschlecht und Region

Der Report geht auch auf konservierende, chirurgische und Prophylaxe-Leistungen ein. Hier verbleiben die Kennzahlen im Jahr 2011 auf Vorjahresniveau. Wieder zeigen sich die aus den Vorjahren bekannten Geschlechterunterschiede. Während 2011 rund 73 Prozent der Frauen einen Zahnarzt aufsuchten, waren es bei den Männern gerade mal 66 Prozent (2010: 74 versus 66). Die Zahnarztscheu junger Männer im Alter zwischen 20 bis 24 Jahren legte noch einmal leicht zu: Nur 54 Prozent (2010: 56 Prozent) gingen zum Zahnarzt (Frauen in der Altersgruppe: 67 Prozent).

Der im Report erstellte Vergleich zwischen den Bundesländern offenbart starke Abweichungen bei den Inanspruchnahmeraten von Zahnersatz. Demnach ist die Streuung bei den Eigenanteilen teilweise extrem: Sachsen-Anhalt und Brandenburg liegen 15,0 beziehungsweise 12,0 Prozent unter Bundesdurchschnitt, Baden-Württemberg und Bayern hingegen 8,5 beziehungsweise 6,4 Prozent darüber.

Die BZÄK-Abteilung Statistik sieht hier einen Beleg dafür, dass in Regionen mit sozial schwachen Strukturen eher die Regelleistung in Anspruch genommen wird.

Zunahme frühkindlicher Karies

Das Prophylaxeniveau blieb nach Aussagen des Barmer-GEK-Reports gegenüber dem Vorjahr beinah unverändert: Nur jeder zweite Erwachsene beziehungsweise 48,1 Prozent lässt sich einmal im Jahr den Zahnstein entfernen (2010: 48,2), Früherkennungsuntersuchungen für Kleinkinder wurden von 32,3 Prozent in Anspruch genommen (2010: 31,9). Die vergleichsweise geringe Inanspruchnahme der Frühvorsorge bei den Kleinkindern wird durch die Gruppenprophylaxe in den Kindergärten relativiert. Über diese Maßnahmen können rund 29 Prozent der Vorschulkinder erreicht werden. Dazu Versorgungsforscher Schäfer: „Da es eine unbekannte Zahl von Kleinkindern gibt, die sowohl im Kindergarten als auch beim Zahnarzt untersucht werden, kann man die Anteile nicht einfach addieren. Der tatsächliche Anteil untersuchter Kleinkinder dürfte etwa in der Mitte zwischen 32 und 61 Prozent liegen.“

Die Zunahme frühkindlicher Karies wird auch von der KZBV mit Sorge beobachtet. Fedderwitz: „Wir erarbeiten derzeit ein Versorgungskonzept, das eine präventive zahnmedizinische Betreuung der 0- bis 3-Jährigen gewährleistet. Das gilt aber auch für die zahnmedizinische Versorgung von alten Menschen, Pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderung, für die wir bereits ein Versorgungskonzept vorgelegt haben. Hier haben wir schon ein Etappenziel erreicht, denn seit dem 1. April sind Haus- und Heimbesuche von Zahnärzten einfacher geworden.“

„Lösungen im Sinne der Patienten können wir hier nur gemeinsam umsetzen“, so das Plädoyer des KZBV-Vorsitzenden. „Deswegen laden wir die Barmer GEK und alle anderen Krankenkassen zu einer offenen Diskussion über die Betreuung von zahnmedizinischen Risikogruppen ein.“

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