Gastkommentar

Maskerade

Die geplante Einführung kassenindividueller einkommensabhängiger Zusatzbeiträge schwächt den Wettbewerb der GKVen untereinander. Leidtragende dieser zwar wettbewerblich maskierten, im Kern aber wettbewerbsfeindlichen Politik sind die Beitragszahler, meint Andreas Mihm, FAZ-Korrespondent in Berlin.

Das stete Herumbasteln an der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung gilt in der Gesundheitspolitik wohl als vertrauensbildende Maßnahme. Wie anders ist es zu erklären, dass neue Regierungen regelmäßig die Bedingungen ändern, nach denen das Kassensystem mit seinen fast 200 Milliarden Euro Jahresumsatz finanziert wird? Ulla Schmidt (SPD) führte zuerst den Sonder-, dann den Zusatzbeitrag ein. Der wurde von Philipp Rösler (FDP) funktionsfähig gemacht. Hermann Gröhe (CDU), seit Dezember am gesundheitspolitischen Ruder, macht jetzt den Sonder- zum Zusatzbeitrag. Alles klar?

Geht es nach Gröhe, ist es ab Januar 2015 so: Arbeitgeber und Arbeitnehmer zahlen je 7,3 Prozent Kassenbeitrag auf das Gehalt bis zur Bemessungsgrenze von 4 050 Euro im Monat. Zusammen macht das 14,6 Prozent. Das sind 0,9 Punkte weniger als der Gesetzgeber aktuell mit 15,5 Prozent festgeschrieben hat. Entsprechend weniger Geld kommt bei den Kassen an. Ihnen fehlen ab dem nächsten Jahr elf Milliarden Euro. Das hat das Gesundheitsministerium errechnet, und so steht es im Entwurf für das „Gesetz zur Weiterentwicklung der Finanzstruktur und der Qualität in der Gesetzlichen Krankenversicherung“.

Um den Fehlbetrag auszugleichen, sollen Kassen einen Zusatzbeitrag erheben. Das klingt alles wie gehabt nach dem bekannten Zusatzbeitrag, den aktuell nur deshalb keiner verlangt, weil die Arbeitsmarktlage so ausgezeichnet ist und Beitragsgelder wie Brei regnen. Aber in Wahrheit ist der neue Zusatzbeitrag etwas ganz anderes.

Das fängt schon damit an, dass er den Sonderbeitrag ersetzt. Den nur von den Arbeitnehmern und Rentnern zu zahlenden Beitrag von 0,9 Prozent hatte 2005 Ulla Schmidt (SPD) eingeführt. Er war Teil der Hartz-IV-Reformen und ein Kompromiss. Denn die Reformer um Kanzler Gerhard Schröder (SPD) hatten erwogen, das nach sechswöchiger Krankheit von der Kasse zu zahlende Krankengeld aus dem Leistungskatalog zu streichen und den Zahnersatz gleich mit. Das waren 0,9 Prozentpunkte. Statt die Versicherten selbst über Art, Umfang und Kosten einer privaten Absicherung dieser Risiken entscheiden zu lassen, kam der Sonderbeitrag. So wurde verhindert, dass die Leistungen aus der Versicherung flogen. Der Sonderbeitrag wird jetzt abgeschafft, damit wirft die SPD einen weiteren Teil der Agenda 2010 auf den Müllhaufen ihrer bewegten Geschichte. Der Sonderbeitrag wird zum Zusatzbeitrag. Künftig kassiert die Kasse nicht mehr direkt bei ihrem Versicherten. Sie lässt kassieren. Denn wie der „normale“ Beitragssatz wird dann auch der Zusatzbeitrag an der „Quelle“ abgezogen, also auf der Gehaltsabrechnung der Beschäftigten.

Die Regierung begründet die kassenindividuellen einkommensabhängigen Zusatzbeiträge damit, dass so eine „preisliche Differenzierung“ erreicht werde. „Zusatzbeträge bleiben ein wichtiges Preissignal im Wettbewerb der Krankenkassen untereinander.“ Die Behauptung ist richtig und falsch zugleich. Denn fast gleiche Formulierungen wurden in den vergangenen Jahren verwandt, um die Einführung des pauschalen Zusatzbeitrags (statt des prozentualen Beitragsaufschlags) zu begründen. Das zeigt die Beliebigkeit der Argumentation. Tatsächlich waren die wettbewerblichen Auswirkungen der Pauschale von acht Euro im Monat gewaltig. Zehntausende Versicherte kündigten und suchten sich neue Anbieter. So wurden gewaltige Reform- und Rationalisierungsprozesse angestoßen.

Mit dem neuen Regime könnte alter Schlendrian zurückkehren. Denn viele Leute nehmen staatlich veranlasste Gehaltsabzüge als gegeben hin. Leidtragende dieser wettbewerblich maskierten, im Kern aber wettbewerbsfeindlichen Politik sind die Beitragszahler.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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