Patientenaufklärung und -einwilligung
Neue Begriffe in der Zahnheilkunde
Die umfassende Aufklärung und die nachfolgende ausdrückliche Einwilligung des Patienten in eine vorgeschlagene (zahn)ärztliche Maßnahme gelten heute als unverzichtbare Voraussetzung einer jeden diagnostischen, prophylaktischen, therapeutischen oder rehabilitativen Intervention. Diese Sichtweise verdankt sich dem Umstand, dass unsere moderne Gesellschaft – und damit auch die heutige Medizin als Abbild ebendieser Gesellschaft – die Selbstbestimmung des Patienten zu einem maßgeblichen Prinzip erklärt hat [Groß, 2012].
Dies war in früheren Zeiten durchaus anders. Noch vor 50 Jahren besaß und nutzte der Arzt in der Regel die alleinige Entscheidungsgewalt über die zu treffenden medizinischen Maßnahmen, das heißt, er traf die Entscheidung, welche Diagnose und welche Therapie für „seinen“ Patienten am Besten war. Heute wird demgegenüber das Leitbild des „informierten Patienten“ beschworen, das heißt eines Patienten, der am Entscheidungsfindungsprozess beteiligt ist. Eine repräsentative Befragung berufstätiger deutscher Zahnärzte ergab 2009, dass sich auch die große Mehrheit der Zahnbehandler an diesem neuen Leitbild orientiert: 24 Prozent der Befragten halten dieses Leitbild demnach für „sehr wichtig“, weitere 55 Prozent für „wichtig“ [Micheelis et al., 2010].
Die beschriebene Veränderung im Arzt-Patienten-Verhältnis – weg von der Fremdbestimmung („Heteronomie“) durch einen paternalistisch agierenden Arzt hin zur Selbstbestimmung („Autonomie“) des Patienten – führte nicht nur zu einer faktischen Stärkung der Patientenrechte, sondern auch zum Einzug neuer Standards auf dem Gebiet der Patientenaufklärung und -einwilligung. Zugleich haben viele neue Begrifflichkeiten Einzug in die (Zahn)heilkunde gehalten – angefangen von Schlüsselbegriffen wie „Informed Consent“ und „Patient Empowerment“ bis hin zu viel zitierten Forderungen nach einem „Shared decision making“ und einem „partnerschaftlichen Beziehungsmodell“. Doch was bedeuten diese Begriffe eigentlich genau und wie lassen sie sich gegeneinander abgrenzen? Ebendiese Fragen sollen im Folgenden näher erläutert geklärt und anhand konkreter Beispiele geklärt werden [Groß, 2012; Hick 2007; Parzeller et al., 2007; Schöne-Seifert, 2007; Wear, 1998].
Informed Consent und Informed choice
Der Begriff „Informed consent“ steht für die ausdrückliche Einwilligung des Patienten in die (ärztliche) Maßnahme auf der Grund- lage einer umfassenden Aufklärung. Als (leider recht ungenaue) Synonyme haben sich auch die deutschen Begrifflichkeiten „Informierte Einwilligung“ und „Informierte Zustimmung“ etabliert. Der Terminus „Informed choice“ (auch: Informierte Entscheidung) beschreibt dementsprechend die eigenverantwortlich getroffene Wahl eines Patienten auf der Grundlage eines „Informed consent“.
Die Argumente für das Konzept des „Informed consent“ sind vielfältig: Es gilt nicht nur als sichtbarster Ausdruck des Respekts vor der Patientenautonomie, sondern zugleich als wirksames Mittel gegen die „Strukturelle Asymmetrie“ im (Zahn)arzt-Patient-Verhältnis. Der letztgenannte Begriff beschreibt die auf Ungleichheit basierende Form der Arzt-Patient-Beziehung, bei der ein Hilfesuchender, nur mit medizinischem Laienwissen ausgestatteter Patient (= Rolle des „Schwachen“) auf einen Arzt trifft, der als professioneller Experte agiert und potenziell Hilfe gewährt (= Rolle des „Starken“). Im Rahmen des Aufklärungsgespräches gibt der Behandler (jedenfalls in Teilen) sein Expertenwissen und auch seine Entscheidungsmacht an den Patienten weiter, so dass die beschriebene strukturelle Asymmetrie aufgehoben oder zumindest gemindert wird.
Zudem bedeutet das Konzept des Informed Consent eine Stärkung der Patientenrechte und ein „Empowerment“ des Patienten: Gemeint ist hiermit die „Selbstermächtigung“ des Patienten – sie erfolgt durch gezielte Information, durch aktive Teilhabe und Einbindung des Patienten oder sonstige unterstützende Strategien und Maßnahmen, die geeignet sind, das Maß an Selbstbestimmung des betroffenen Menschen zu erhöhen.
Eine weitere positive Konsequenz betrifft Patienten und Behandler gleichermaßen: Jedes Aufklärungsgespräch ist bereits Teil der Therapie. Es fördert ein besseres Verständnis des Patienten für die Anamnese, eine bessere Einschätzung der therapeutischen Möglichkeiten und Grenzen, eine Erklärung für die bestehende Symptomatik und ermöglicht damit aus Patientensicht auch eine gewisse Beruhigung. Das Aufklärungsgespräch bietet die Möglichkeit, irrationale Ängste und Vorannahmen zu „verabschieden“ und konkrete Anknüpfungsmöglichkeiten für Gespräche über künftige Verhaltensweisen, beziehungsweise Verhaltensänderungen – etwa in den Bereichen (Sekundär)prävention, Therapie oder Rehabilitation – zu finden. In der Summe dient das Aufklärungsgespräch folglich im besten Fall der Festigung des „therapeutischen Bündnisses“ zwischen (Zahn)arzt und Patient: Gemeint ist hiermit die Beziehung, die Patient und Behandler aufbauen, um einen gemeinsamen Behandlungsplan zu verfolgen. Je fester und enger dieses Bündnis ist, desto höher ist die mutmaßliche „Adhärenz“ (auch „Therapietreue“ oder „Concordance“) des Patienten. Die besagten Begriffe bezeichnen das Ausmaß, in dem das Verhalten einer Person mit den mit dem Therapeuten vereinbarten Empfehlungen übereinstimmt. Früher war hierfür auch der Begriff „Compliance“ gebräuchlich. Letzterer gilt jedoch als nicht mehr zeitgemäß, weil er dem engen Wortsinn zufolge für ein füg- sames Verhalten eines Patienten steht, bei dem dieser die ärztlichen Ratschläge „befolgt“ (Compliance = Befolgung, Fügsamkeit). Demgegenüber steht der Terminus „Adhärenz“ für ein partnerschaftliches, hierarchiefreies Verhältnis zwischen Arzt und Patient.
Informationelle Selbstbestimmung
Doch nicht nur der „Informed consent“ ist Ausdruck eines autonomen Patienten, sondern auch dessen Recht auf „Informationelle Selbstbestimmung“: Dieser Begriff beschreibt das Recht des Patienten, darüber zu entscheiden, wer welche die eigenen Gesundheits(-angelegenheiten) betreffenden Daten oder personenbezogenen Informationen erhalten soll oder nicht. In der Praxis bedeutet dies, dass der Patient seine Einwilligung zur Weitergabe persönlicher Daten, beziehungsweise Informationen geben muss. Dieses Einverständnis kann ausdrücklich („Explizite Einwilligung“) oder stillschweigend erfolgen. Im letztgenannten Fall spricht man auch von einer „Konkludenten Einwilligung“: Wenn ein Patient etwa einverstanden ist, dass sein Hauszahnarzt ihn für eine Wurzelspitzenresektion an eine Oralchirurgin überweist, erteilt er damit auch stillschweigend seine Einwilligung, dass die patientenbezogenen Akten an die betreffende Oralchirurgin weitergegeben werden. Hiervon abzugrenzen ist die „Mutmaßliche Einwilligung“. Sie ist etwa in Notfällen zu unterstellen, etwa dann, wenn eine Patientin auf dem Zahnarztstuhl das Bewusstsein verliert und notfallmäßig in eine Klinik gebracht wird. Hier darf der Zahnarzt mutmaßen, dass die Patientin damit einverstanden ist, alle ihm verfügbaren relevanten patientenbezogenen Informationen an die Klinik weiterzugeben.
Entscheidungsfähigkeit und Geschäftsfähigkeit
Wenngleich der „Informed consent“ aus der modernen Medizin nicht mehr wegzudenken ist, ist er doch an bestimmte Voraussetzungen gebunden: Neben der bereits erwähnten Notwendigkeit einer umfassenden ärztlichen Aufklärung muss gewährleistet sein, dass der Patient bei seiner Entscheidungsfindung frei von steuernden Außeneinflüssen (Zwängen) ist und dass er die (zahn)ärztlichen Informationen kognitiv, beziehungsweise intellektuell aufgenommen und verstanden hat. Von zentraler Bedeutung ist hierbei der Begriff „Entscheidungsfähigkeit“: Gemeint ist in diesem Zusammenhang die Fähigkeit eines Patienten, das Wesen und die Bedeutung einer besprochenen Maßnahme zu verstehen und deren Tragweite zu ermessen. Sie ist eine Voraussetzung einer rechtswirksamen Einwilligung. Die Entscheidungsfähigkeit ist nicht zu verwechseln mit der „Geschäftsfähigkeit“: Letztere beschreibt die Fähigkeit einer natürlichen Person, Rechtsgeschäfte selbst oder durch einen Vertreter wirksam vorzunehmen. Während die volle Geschäftsfähigkeit an die Vollendung des 18. Lebensjahr geknüpft ist, ist die Entscheidungsfähigkeit nicht an die Volljährigkeit geknüpft: Auch 14– oder 15-jährige Minderjährige können unter Umständen rechtswirksam einwilligen – nämlich immer dann, wenn der (Zahn)arzt – unter Berücksichtigung der Art und Schwere des konkreten Eingriffs – die Einsichts- und Urteilsfähigkeit der betreffenden Person annimmt. In der Praxis geht man davon aus, dass Personen unter 14 Jahren nicht die erforderliche Reife zu einem Informed Consent besitzen, und in den meisten Entscheidungssituationen in der Zahnheilkunde ist es empfehlenswert, bei Minderjährigen im Teenageralter zugleich die Einwilligung der Sorgeberechtigten nach vorausgegangener Aufklärung einzuholen. Letztlich ist jedoch die Fallkonstellation maßgeblich: Wenn etwa eine 16– oder 17-jährige Patientin ihren Gynäkologen um die Verschreibung eines Kontrazeptivums bittet und der Arzt zu der Überzeugung gelangt, dass die Tragweite der betreffenden Entscheidung ermessen kann, wird der Arzt sie als entscheidungsfähig ansehen.
Andererseits sind volljährige Patienten nicht automatisch entscheidungsfähig: Potenziell nicht oder eingeschränkt entscheidungsfähig sind Personen, die an (passageren) Bewusstseinstrübungen leiden oder unter einer bestimmten Medikation, beziehungsweise unter Drogeneinfluss stehen. Eine emotional bedingte Einschränkung der Entscheidungsfähigkeit kann aber auch zum Beispiel bei einer akuten Depression gegeben sein. Weitere Beispiele für eine potenzielle Entscheidungsunfähigkeit sind Patienten, die an anderen psychischen Erkrankungen (etwa akute Psychosen) oder demenziellen Veränderungen leiden. Auch geistig behinderte Patienten sind in vielen Fällen nicht oder eingeschränkt entscheidungs- fähig.
Stellvertretende Einwilligung
Bei einwilligungsunfähigen Patienten ist eine „stellvertretende Einwilligung“ einzuholen – derartige Stellvertreter können (etwa bei Minderjährigen) die Eltern, beziehungsweise ein Elternteil, andere Familienangehörige oder aber eine andere zum gesetzlichen Betreuer bestellte Person sein. Gleichwohl sind auch nicht einwilligungsfähige Patienten über die vorgesehene Maßnahme so weit zu informieren, wie es ihrem Auffassungsvermögen entspricht. Wichtig ist, dass sich die stellvertretende Entscheidung am mutmaßlichen Willen des Betroffenen (und nicht an dem Willen des Betreuers) orientieren sollte.
Handelt es sich bei den Betroffenen um Kinder oder Jugendliche, wird vielfach auch auf die Begriffe „Kindeswohl“ und „Best-Interests standard“ Bezug genommen: Die Bezeichnung „Kindeswohl“ entstammt dem deutschen Familienrecht und hebt ab auf die Notwendigkeit, bei allen Maßnahmen, die das Kind betreffen, das Interesse des Kindes als handlungsleitendes Prinzip anzusehen. Im angloamerikanischen Sprachraum findet sich hierfür vielfach auch der Begriff „Best-Interests standard“. Schließlich wird gelegentlich auch vom „In loco parentis“-Prinzip gesprochen: Gemeint ist hier die gesetzliche Zuständigkeit von Personen oder Organisationen, die die Funktion und Verantwortlichkeit eines Elternteils für ein Kind übernehmen (lat. in loco parentis = an Eltern statt).
Eingriffs- und Sicherungsaufklärung
Aufklärung ist nicht gleich Aufklärung. Grundsätzlich sind verschiedene Gesprächstypen zu differenzieren, die wiederum mit unterschiedlichen Begriffen bezeichnet werden. Grundsätzlich zu unterscheiden sind die „Eingriffsaufklärung“ – die wiederum in verschiedene Unterbegriffe einzuteilen ist – und die „Sicherungsaufklärung“ [Groß et al., 2011c; Parzeller et al., 2007; Riha, 2008]. Die „Eingriffsaufklärung“ (auch „Selbstbestimmungsaufklärung“ genannt) muss jeder diagnostischen oder therapeutischen Maßnahme, die in die körperliche Integrität des Patienten eingreift, voraus- gehen und dem Patienten alle maßgeblichen Informationen zur Verfügung stellen, insbesondere den Befund und die resultierende Diagnose, die hieraus erwachsenden, beziehungsweise drohenden gesundheitlichen Folgen, die Art der vorgesehenen Maßnahme(n), beziehungsweise der bestehenden Behandlungsalternativen, die erwarteten Heilungschancen und die mit den geplanten ärztlichen Maßnahmen (aber auch mit deren Unterlassung) verbundenen Gefahren und Risiken. Die Aufklärung soll dem Patienten eine allgemeine Vorstellung von der Art und dem Schweregrad der Erkrankung und der möglichen Behandlung und ihren Implikationen vermitteln und ihn so in die Lage versetzen, kompetent über die Behandlung (mit-)zuentscheiden.
Konkret lässt sich die Selbstbestimmungsaufklärung wiederum in die „Diagnose“-, „Behandlungs“-, „Risiko“- und „Verlaufsaufklärung“ untergliedern:
Die „Diagnoseaufklärung“ beinhaltet die vollständige Information des Patienten über den medizinischen Befund und die hieraus resultierende Diagnose(n). Dabei ist der (Zahn)arzt angehalten, den Patienten durch die Art und den Inhalt der Diagnoseaufklärung nicht über Gebühr zu beunruhigen. Besondere kommunikative und ethische Herausforderungen birgt vor allem die Diagnoseaufklärung bei schwerwiegenden Erkrankungen, beziehungsweise bei Krankheiten mit infauster Prognose.
Die „Behandlungsaufklärung“ umfasst die Erläuterung der Art, die Dringlichkeit und die Erfolgsaussichten der geplanten Maßnahme(n), die Information über bestehende Alternativen und die Erläuterung der Tragweite, also der Folgen, die sich aus Durchführung, beziehungsweise Unterlassung der Maßnahme(n) ergeben (können). Abschließend kann es sinnvoll sein, eine fachliche Empfehlung zu geben. Diese sollte aber für den Patienten formuliert sein, sprich deutlich erkennen lassen, dass es sich nicht um eine persönliche Behandlungspräferenz des (Zahn)arztes handelt, sondern um einen auf den Fall des Patienten bezogenen (zahn) ärztlichen Rat.
Die „Risikoaufklärung“ soll über die typischen Risiken und Komplikationen informieren, die mit der diskutierten medizinischen Maßnahme verbunden sein können. Dabei sollte auf die Art des Risikos, seine Wahrscheinlichkeit und die mutmaßliche Bedeutung des Risikos für das weitere Leben des Patienten eingegangen werden. Zu nennen sind in der Regel Vorfälle ab einer Häufigkeit von 1:2 000. Aus ethischer Sicht ist es relevant, die dargestellten Risiken konkret zu beschreiben – gerade auch, um persönliche Enttäuschungen des Patienten oder Belastungen des Vertrauensverhältnisses von (Zahn)arzt und Patient zu vermeiden. Auch über etwaige Behandlungsalternativen und deren Chancen und Risiken ist aufzuklären. Als Faustregel gilt, dass die Risikoaufklärung umso detaillierter sein muss, je weniger dringlich, beziehungsweise fachlich geboten der Eingriff ist. Besonders hoch ist demnach der Aufklärungsbedarf auch bei Eingriffen aus dem Bereich der ästhetischen (Zahn)heilkunde ohne medizinische Indikation. Zu erwähnen sind im Übrigen nicht nur die Eingriffskomplikationen oder sonstige schädliche Nebenfolgen des Eingriffs, sondern auch die Risiken, die mit dem Unterlassen eines Eingriffs verbunden sind.
Zur „Verlaufsaufklärung“ zählen dagegen Informationen über sichere Eingriffsfolgen, etwa über entstehende Zahnlücken oder persistierende Operationsnarben, sowie ganz grundsätzliche Angaben zum mutmaßlichen Zustand nach dem Eingriff. In die Verlaufsaufklärung gehören zudem Informationen über die Erfolgs- beziehungsweise die Versagerquoten bei einem Eingriff. Die Verlaufsaufklärung soll den Patienten schließlich auch darüber informieren, wie die Krankheit voraussichtlich künftig verlaufen wird, wenn er dem Eingriff nicht zustimmt.
Die Beweislast über den Inhalt der „Selbstbestimmungsaufklärung“ liegt beim (Zahn)arzt. Es liegt daher in dessen Interesse, den Inhalt der Aufklärung stichwortartig zu dokumentieren und sich dies unter Umständen vom Patienten schriftlich bestätigen zu lassen.
Von der „Eingriffsaufklärung“ und ihren Unterformen abzugrenzen ist die „Sicherungsaufklärung“ (auch „therapeutische Aufklärung“ genannt): Sie bezeichnet die Aufklärung des Patienten über ein therapiegerechtes Verhalten zur (Ab)sicherung des Heilerfolges und setzt zumeist erst nach der Durchführung eines bestimmten Eingriffs ein. Die Sicherungsaufklärung soll die Eigenverantwortung des Patienten stärken und ein gesundheitsförderndes Verhalten nach der therapeutischen Maßnahme gewährleisten. Dies schließt Warnungen vor möglichen Folgen ungesunden Verhaltens nach der Maßnahme (etwa unzureichende körperliche Schonung), Hinweise auf Unverträglichkeitsrisiken oder Empfehlungen konkreter, für den Heilungsprozess maßgeblicher Änderungen der Lebensführung (etwa Umstellung der Mundhygienemaßnahmen und Ernährungsgewohnheiten, Etablierung eigenverantwortlicher sekundärprophylaktischer Maßnahmen) mit ein. Die Sicherungsaufklärung erstreckt sich auch auf die Medikation: Rezeptiert oder verabreicht der (Zahn)arzt ein Medikament, so muss er den Patienten über Dosis, Nebenwirkungen, Risiken und Unverträglichkeiten informieren. Das Faktum, dass jeder Medikamentenpackung ein Beipackzettel beigefügt ist, macht die therapeutische Aufklärung durch den (Zahn)arzt nicht entbehrlich. Auch bestimmte diagnostische Informationen können in den Bereich der Sicherungsaufklärung fallen – etwa dann, wenn eine Infektionskrankheit wie Hepatitis C diagnostiziert worden ist, die mit einer beträchtlichen Ansteckungsgefahr für dritte Personen verbunden ist, so dass einem achtsamen Verhalten des infizierten Patienten besondere Bedeutung zukommt.
Abweichungen vom Informed Consent-Konzept
Die grundsätzliche Relevanz des Informed-Consent-Konzepts wird heutzutage kaum noch in Frage gestellt. Gegenstand kritischer Diskussionen sind jedoch bisweilen das Ausmaß und die konkrete Ausgestaltung einer entsprechenden Patientenaufklärung. So warnen einige Experten vor einer allzu „risikoorientierten“ Aufklärung des Arztes und verweisen hierbei auf den „Nocebo-Effekt“: Der „Nocebo-Effekt“ beschreibt potenziell schädliche Wirkungen einer detaillreichen, sehr an einer juristischen Absicherung orientierten Aufklärung des Patienten über alle Risiken, Nebenwirkungen und mögliche Spätfolgen [Hahn, 1997]. Ein so gestaltetes Aufklärungs- gespräch kann tatsächlich dazu führen, dass Ängste und medizinische Komplikationen ausgelöst werden, kurz: dass sich die Gesundheitssituation des Patienten durch eine negative Erwartungshaltung verschlechtert. Die Tendenz, den Patienten im Rahmen der Aufklärung mit allen halbwegs denkbaren, statistisch eher abwegigen Risiken und Komplikationsmöglichkeiten zu konfrontieren, wird mit dem kritischen Begriff „Truth Dumping“ etikettiert: Gemeint ist damit das achtlose Abladen von (statistischen) Wahrheiten und Wahrscheinlichkeiten beim Patienten. Während „Truth dumping“ ein Zuviel an Aufklärung beschreibt, steht der historische Begriff „Therapeutisches Privileg“ (auch „gnädige Lüge“ und „Benevolent deception“) für das Gegenteil: Unter diesem Terminus wird das Sonderrecht des Behandlers verstanden, auf eine wahrhaftige (diagnostische und prognostische) Aufklärung des Patienten dann zu verzichten, wenn dem Kranken hierdurch ein unabsehbar großer Schaden zugefügt würde – etwa durch das Verschweigen einer prognostisch ungünstigen Krebsdiagnose. Das „Therapeutische Privileg“ fand vor allem in früheren Zeiten viele Fürsprecher – vor allem unter Ärzten, die befürchteten, dass eine wahrhaftige Aufklärung bei ihrem Patienten die Zerstörung der Lebenshoffnung und eine psychische Extremsituation (etwa eine suizidale Handlung) zur Folge hätte. Heutzutage wird das „Therapeutische Privileg“ nur noch selten angewandt – zum einen, weil das Verschweigen einer vital bedrohlichen Erkrankung als Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht geahndet werden kann, zum anderen aber auch, weil es dem Recht des Patienten auf ein selbstbestimmtes Leben, beziehungsweise Lebensende nicht berücksichtigt. Genau hier setzt auch die stärkste Kritik am „Therapeutischen Privileg“ an: Es fußt auf einem hippokratisch-paternalistischen Rollenverständnis, also auf einer Haltung, bei der sich der Arzt in der Rolle eines fürsorglichen „Vaters“ (lat. pater = Vater) sieht, der in bevormundender Weise Entscheidungen zum (vermeintlichen) Besten des Kranken trifft – bei einem derartigen Rollenverhalten des Arztes spricht man auch von einem „Hippokratischen Standesmodell“. Der moderne Gegenentwurf hierzu ist das „Partnerschaftliche Beziehungsmodell“. Ihm liegt ein Rollenverständnis von Arzt und Patient zugrunde, bei welchem sich beide als ebenbürtige Partner begegnen und zu einer gemeinsamen, geteilten Entscheidung in Diagnose- und Behandlungsfragen finden („Shared decision making“).
Univ.-Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Dr. phil. D. GroßRWTH Aachen UniversityMedical SchoolMTI II, Wendlingweg 2D-52074 Aachen