Plaste in der Paste
„Zunächst einmal ist es nur ein ästhetisches Problem“, sagt der emeritierte Meeresbiologe Prof. Gerd Liebezeit. „Ich muss mir halt die Frage stellen, ob ich mir wirklich mit Plastik die Zähne putzen will. Das eigentliche Problem ist jedoch, dass die Verwendung von Mikroplastik in Kosmetikprodukten unter Umweltaspekten bedenklich ist.“
Der Grund: Das beigemengte Polyethylen (PE), Polypropylen (PP) oder die Ethylen-Vinylacetat-Copolymere (EVA) begeben sich nach dem Ausspucken und Mundausspülen auf eine lange Reise, die auf dem Essenstisch jedes Einzelnen enden kann.
Gröbere Granulate werden in den Kläranlagen zwar aus dem Abwasser herausgefiltert, anschließend aber in Form von Klärschlamm als Dünger auf Feldern ausgebracht. „Von dort aus gelangen die Partikel dann in die Atmosphäre“, erklärt Liebezeit, der in seinen Arbeiten am Institut für Chemie und Biologie des Meeres an der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg Mikroplastik bereits in diversen Lebensmitteln nachgewiesen hat. In Honig, Trinkwasser und Milch zum Beispiel – aber auch in Bier oder Softdrinks. „Im Endeffekt ist alles betroffen, was offen verarbeitet wird“, sagt Liebezeit nüchtern. Auch in Regen oder Schnee ließen sich die kleinen Kunststoffteilchen als granulares Material nachweisen.
Feinere Partikel werden im Meer zu Fischfutter
Doch welche Folgen oder Langzeitfolgen hat der Verzehr dieser kleinen Kunststoffteilchen auf die Gesundheit der Menschen? „Das muss die Wissenschaft erst noch herausfinden“, sagt Liebezeit.
Was die feineren Granulate betrifft, ist man schon einen Schritt weiter. Liegen diese im kosmetischen Ausgangsprodukt – neben Zahnpasta kommt Mikroplastik auch häufig in Peeling-Duschgels und -Gesichtsmasken zum Einsatz – in mikroskopischer Größe vor, passieren sie die Filteranlagen der Klärwerke und werden in die Flüsse und letztlich das Meer gespült. Dort werden sie zu kontaminiertem Fischfutter.
„Das große Problem ist, dass die Mikroplastik-Partikel lipophile Schadstoffe wie einen Schwamm aufsaugen“, erklärt der Toxikologe Prof. Edmund Maser vom Institut für Toxikologie und Pharmakologie im Universitätsklinikum Kiel (UKSH). Damit reicherten die Kunststoffpartikel Weichmacher, Pthalate, krebserregende Polychlorierte Biphenyle (PCB) oder das international geächtete Insektizid Dichlordiphenyltrichlorethan (DDT) an. Diese kontaminierten Plastikteilchen werden anschließend von Tieren gefressen und gelangen schließlich in die Nahrungskette. „Das führt dazu, dass wir das Granulat in Seehunden und Vögeln, aber auch in Muscheln und Seefischen gefunden haben“, erklärt Liebezeit, der ein Verbot von Mikroplastik in Kosmetikprodukten fordert.
Beim Bundesumweltamt heißt es zu dieser Forderung nur, man empfehle „aus Sicht des Umweltschutzes, die Verwendung von Mikroplastik in kosmetischen Mitteln zu vermeiden.“ Und: „Damit kann die Freisetzung schwer abbaubarer Kunststoffpartikel in die Umwelt begrenzt werden.“
Das Bundesumweltministerium erläutert, ein Verbot von Mikroplastik in Kosmetik sei aufgrund der dünnen Datenlage „derzeit nicht rechtssicher begründbar.“ Um die Erkenntnislücken zur potenziellen Gefährdung, die durch Mikroplastik für Mensch und Umwelt entstehen, zu schließen, habe das Bundesumweltministerium bereits Forschungsaufträge vergeben. Wann mit Ergebnissen zu rechnen sei, sagt das Ministerium nicht. Wohl aber, dass es auf Arbeitsebene bereits Gespräche mit den betroffenen Kosmetikunternehmen gegeben habe. „Übereinstimmende Einschätzung des Bundesumweltministeriums und der Industrie“ sei, dass es eines „zeitnahen freiwilligen möglichst europaweiten Ausstiegs aus der Verwendung von Mikroplastik bedarf.“ Zahlreiche Ankündigungen von Hauptakteuren zum freiwilligen Ausstieg lägen zudem bereits vor.
Das ist nach Einschätzung von Sarah Häuser, die beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) für Chemikalienpolitik und Nanotechnologie zuständig ist auch nötig. Denn die Kunststoffe bergen ihrer Meinung nach ein indirektes Gesundheitsrisiko für den Menschen. „Wenn die Partikel gefressen werden, können sie sich im Fettgewebe von Tieren anreichern und gelangen so in die Nahrungskette. Und damit auch wieder in den Körper von Menschen.“
Darum sorgen sich offenbar auch die Landesumweltministerien. „Zum Schutz von Anglern und ihren Familienangehörigen vor den schädlichen gesundheitlichen Auswirkungen von Dioxinen und PCB“ warnen die Landesministerien in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, generell auf den Verzehr von Wildaalen und Brassen zu verzichten. Außerdem heißt es: „Es wird weiterhin geprüft, ob dies auf weitere Fischarten auszudehnen ist.“ Das Bundesministerium für Umwelt informiert lediglich, dass „Gehalte über dem gesetzlich festgelegten Höchstgehalt für Dioxine und PCB bei Flussfischen vergleichsweise häufig“ seien. Angler und ihre Familien sollten sich deswegen bei den zuständigen Landesbehörden über die Belastungssituation der Fische informieren.
Auffällig ist, dass das bereits Mitte 2001 weltweit verbotene PCB heute noch einmal zum Problem wird. In jedem Fall ist das in deutschen Flüssen vorkommende Umweltgift eines, das sich an den Mikroplastikpartikeln anlagert. „Das ist keine Panikmache“, sagt Maser, „sondern Fakt. Das Szenario ist valide.“ Wie die Aufnahme von Mikroplastik aus Lebensmitteln für Menschen zu bewerten ist, mag beim Umweltbundesamt niemand sagen, sondern verweist an das Bundesamt für Verbraucherschutz. Dort leitet man nach „Rückfrage bei den Fachleuten“ wiederum an das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) weiter – und beim BfR gibt man sich dann noch zugeknöpfter: Auf die Frage zur Toxikologie von PP und EVA oder den Risiken, die durch die Einbringung in den Wasserkreislauf und die Nahrungskette entstehen, gibt das Institut schlicht keine Antwort. Begründung der Presseabteilung: „Nach Auskunft der Hersteller werden in kosmetischen Mitteln überwiegend Mikrokunststoffpartikel aus Polyethylen verwendet“ – Grund genug für das BfR, sich in seiner Stellungnahme einzig diesem Inhaltsstoff zu widmen. Was folgt, ist eine ausführliche wissenschaftliche Erläuterung, dass dieser Kunststoff in „kosmetischer Reinheit“ produziert keinerlei nachweisbare Toxizität zeigte.
Hersteller planen Ersatz von Mikroplastik
„Das ist jedoch ganz klar und völlig unstrittig“, sagt Liebezeit, der auch im Ruhestand weiter an dem Thema forschen will. „Das Problem ist die Sekundärbelastung“. Auch am Universitätsklinikum Kiel plant Maser ein entsprechendes Forschungsprojekt. Bemühungen die aufmerksam beobachtet werden – unter anderem von den betroffenen Zahnpasta-Herstellern.
Denn dort wächst das Problembewusstsein. Dr. Liebe lässt mitteilen: „Wir nehmen die unter anderem von Prof. Dr. Gerd Liebezeit geäußerten Vermutungen, dass der Einsatz von Mikrokunststoffpartikeln in kosmetischen Mitteln eine relevante Quelle für das Vorkommen von Kunststoffpartikeln in Milch, Honig und Trinkwasser sei, sehr ernst und werden uns die derzeitigen Untersuchungen genau anschauen“.
Gleichzeitig arbeite man daran, heißt es, für das in der Zahncreme PearlsDents verwendete Mikroperlsystem mit EVA „bis spätestens Mitte 2015“ ein überarbeitetes, „möglichst naturbasiertes System“ am Markt zu platzieren. Außerdem teilt man mit, dass man davon ausgehe, dass die Mikroplastikpartikel des eigenen Produkts aufgrund ihrer relativen Größe von 0,3 bis 0,8 Millimetern in den Kläranlagen überwiegend „entweder über Klärschlamm oder über eine Abtrennung an der Wasseroberfläche entfernt und entsorgt“ würden. Eine Argumentation, mit der Liebezeit nicht ganz einverstanden ist.
„Sicher wird ein Teil des in Kosmetika und Zahnpasten enthaltenen granulären Mikroplastiks im Klärschlamm zurückgehalten“, sagt er. „Ein Teil wird aber, wie wir nachgewiesen haben, auch über den Auslauf in die Umwelt gelangen.“ Wie groß dieser Anteil sei, müsse noch ermittelt werden, ebenso die absoluten Größen der Partikel. Liebezeit: „Also ist dieser Aspekt noch zurückhaltend zu betrachten, obwohl die Feststellung der Firma Liebe meines Erachtens eher Wunschdenken sein dürfte.“ Das wäre anders, wenn wie in den USA eine Endfiltration des geklärten Abwassers über 200 Mikrometer-Siebe erfolgte, erklärt der Meeresbiologe. „Dann wäre das Problem zumindest für dieses Produkt nicht mehr existent.“ Ob dies auch auf die zahlreichen Colgate-Produkte zutrifft, die Mikropartikel enthalten und im Handel zu bekommen sind, ist unklar.
Altbestände mit PE bleiben im Handel
Die Stellungnahme des Herstellers Colgate-Palmolive haushaltet sorgsam mit entscheidenden Informationen. Man habe „die Besorgnis zur Kenntnis genommen“, heißt es etwa „und im Jahr 2012 entschieden, bei der Formulierung von neuen Produkten keine Plastikpartikel mehr zu verwenden und für bereits existierende Produkte alternative Inhaltsstoffe zu identifizieren.“ Erst bei neuerlicher Nachfrage, warum aktuell zig Produkte aus dem Portfolio trotzdem Mikropartikel enthalten, schärft die Unternehmenskommunikation nach: die Produktion von Zahnpasten mit Mikroplastik für den europäischen Markt sei Ende 2013 gestoppt worden – „ältere Varianten mit früheren Formulierungen“ seien darum noch im Verkauf zu finden, bis die Bestände aufgebraucht sind. Für Verbraucher lohnt sich also der Blick auf die Inhaltsstoffe. Denn was mit dem Plastik im menschlichen Körper passiert, ist bis heute kaum erforscht. Prof. Angela Köhler vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven hat jedoch in Experimenten mit Miesmuscheln entzündliche Reaktionen als Folge einer Polyethylenaufnahme durch kontaminiertes Wasser beobachtet. Mögliche Langzeitfolgen der Mikroplastik-Ausbringung in die Umwelt seien überhaupt nicht abzusehen, sagt die Toxikologin. In ihrer Studien-Veröffentlichung im amerikanischen Peer-Review-Magazin Environmental Science Technology betont sie zudem, dass die mit Mikroplastik verbundenen Umweltprobleme vielschichtig sind. Vor allem aus den Eigenschaften des Mikroplastiks ergebe sich ein großes Schädigungspotenzial, besonders problematisch sei die Aufnahme von im Wasser befindlichen Giftstoffen wie PCB oder polycyclischen aromatischen Kohlenwasserstoffen. Gelangten letztere durch das Mikroplastik in die Körper von in und am Meer lebenden Organismen, habe dies „weitreichende ökotoxikologische Implikationen“, lautet das Fazit in Köhlers Publikation. Bei der Benennung des Szenarios bedient sie sich eines Medizinbegriffs, der sich auf die griechische Mythologie bezieht – sie nennt es einen „Trojan Horse Effect“.