Gastkommentar

Ausgestorben

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Ist eine solidarisch finanzierte Wurzelbehandlung für das Überleben der Spezies unumgänglich? Nein, meint Hans Glatzl, dgd-Redakteur Vincentz-Network, Berlin.

Die Neandertaler sind – so die jüngste Hypothese der Paläontologen – ausgestorben, weil die Vermehrungsrate infolge schwieriger Geburten dauerhaft nicht ausreichte, um den Bestand der Art zu sichern. Im Holozän passiert das nicht, weil eine moderne Hochleistungsmedizin im Kreißsaal bereitsteht, um Komplikationen zu verhindern. Der Rest wird bei Hausgeburten auf Kundenwunsch durch die Übernahme eventueller Haftungsrisiken der beteiligten Hebammen auf die Allgemeinheit abgewälzt. Alles auf Kosten der GKV-Solidargemeinschaft. So weit, so gut. Ausgräber späterer Jahrtausende, könnten beim Homo sapiens sapiens allerdings auf Exemplare stoßen, bei denen mangels ausreichender „Bezahnung“ so die Vermutung der Wissenschaftler das System versagt hat. Eine aberwitzige Behauptung? Nicht, wenn man der Argumentation der Barmer GEK in letzter Konsequenz folgt, die sich bei der Vorstellung ihres aktuellen Zahnreports durchaus janusköpfig mit dem Thema Wurzelbehandlung beschäftigt.

Vorab enthält der Bericht viel Lob für die Prophylaxe und Präventionsleistungen der deutschen Zahnärzteschaft. Die Barmer GEK wäre allerdings keine Krankenkasse, wenn nicht damit ein Wunsch nach weiteren Verbesserungen verknüpft würde. So soll die Wurzelbehandlung als Kassenleistung künftig auch auf Backenzähne ausgeweitet werden. Eigentlich eine gute Sache. Verknüpft mit den WANZ-Vorgaben des SGB V wird der großzügige Vorschlag jedoch schnell zum Bumerang. Denn eine Wurzelbehandlung ist gerade im Molarenbereich mit einem hohen Arbeits- und einem vorab unberechenbaren Zeitaufwand verbunden, den die Krankenkassen gern mit Pauschalen abgelten. Im Augenblick lassen die Krankenkassen-Partner zwar die Hosenträger schnalzen, ausgestattet mit genug Finanzmitteln. Aber sollten sich die Zeiten ändern, stehen zwar nicht die einmal gewährten Wohltaten, wohl aber deren ausreichende Bezahlung auf dem Prüfstand.

Das Angebot der Krankenkassen könnte sich aber auch aus einem anderen Grund als Danaergeschenk erweisen. So hat der Medizinische Dienst der Krankenversicherung für das Jahr 2013 erneut die Zahnärzte an den Pranger gestellt und zwar mit Fehlern bei der Wurzelbehandlung. Dass es sich hierbei um eine Quote von exakt 0,0013 Prozent – 103 von rund acht Millionen Eingriffen handelt – wird schlagzeilenträchtig gerne hintangestellt.

Ohne Zweifel, die Wurzelhandlung ist – selbst lege artis ausgeführt – mit einem, wenn auch geringen Restrisiko verbunden, das allerdings zum Totalverlust des Zahnes führen kann. Da die Kausalität hier selbst von medizinisch unkundigen Anwälten relativ leicht zu beweisen ist, bilden erfolglose Zahnrettungsversuche ein dankbares Arbeitsfeld einer patientengeneigten Rechtsprechung.

Und hier schließt sich der Kreis. Denn die Haftungsfrage führt, wenn Risiko und Chance in keinem Verhältnis stehen, zu einer Verhaltensänderung. Die Behandlungsmethode zum Zahnerhalt wird zum Schutz vor Regress schlicht nicht mehr angeboten. Eine Vergesellschaftung par ordre du mufti wie durch Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe zur Hebammen-Stützung angerichtet, steht für Zahnärzte nicht an. Die Zahnmediziner tun gut daran, sich nicht verlocken zu lassen diese Leistung künftig „auf Kasse“ zu erbringen. Das Festzuschusssystem in Eigenverantwortung hat sich längst zum Nutzen aller Beteiligten etabliert. Der Patient hat hier die freie Wahl eine aufwendige Wurzelbehandlung in Absprache mit seinem Zahnarzt als Zusatzleistung jenseits des WANZ-Katalogs zu vereinbaren. Zahnlos muss deshalb kein GKV-Versicherter bleiben. Es gibt Zahnersatz. Ein solidarisch finanziertes „must-have“ zum Überleben der Art ist die Wurzelbehandlung jedenfalls nicht.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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