Fit für Europa
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
die Wahlen zum Europäischen Parlament liegen hinter uns. Die leidenschaftlichen Diskussionen zum Zustand Europas im Vorfeld der Wahlen und die anschließenden Analysen danach zeigen, dass uns Europa mehr denn je beschäftigt. Die Wucht der Wirtschafts-und Finanzkrise und deren unterschiedliche Ausprägung und Auswirkungen in den EU-Mitgliedstaaten verdeutlichen aber auch, dass es für „das“ Europa aufgrund seiner Diversität nicht immer nur einheitliche Rezepte geben kann. In etlichen Bereichen werden wir flexible Antworten finden müssen, die die Situation in den einzelnen Mitgliedstaaten im Auge hat. Was hat das mit den Freien Berufen zu tun? Ganz einfach: Die Freien Berufe einschließlich der (Zahn)Ärzte und ihre Selbstverwaltung stehen vor umfassenden Umwälzungen, die geeignet sind, vor allem auf das Verhältnis zu unseren Patientinnen und Patienten gehörig Einfluss zu nehmen. Grund ist ein völlig anderes Verständnis von Gleichmacherei statt Diversität, „Zentralstaatsallüre vs. Subsidiarität!“.
Konkret betrifft das die sogenannte Transparenzinitiative der EU-Kommission von Oktober 2013. Diese verpflichtet die EU-Mitgliedstaaten dazu, ihren gesamten nationalen Rechtsbestand vor allem im Bereich der Berufszugangs- und der Berufsausübungsregelungen auf seine Vereinbarkeit mit europäischem Recht hin zu überprüfen. Ausdrücklich soll dies auch für Pflichtmitgliedschaften in Berufsorganisationen gelten. Dahinter steckt die Idee, Europa und vor allem den europäischen Binnenmarkt in ein bundesstaatliches einheitliches Regelungsgefüge umzuwandeln, indem überall die gleichen Regeln und Maßstäbe gelten. Denn nur so kann es nach Ansicht der Kommission einen wirklichen und Verbraucher schützenden europäischen Binnenmarkt geben.
Parallel dazu will die Kommission jedoch auch die Qualität vor allem der freiberuflichen Dienstleistungen einschließlich der Gesundheitsberufe sicherstellen. Wohlgemerkt: Während auf nationaler Ebene die Frage der Selbstverwaltung verknüpft ist mit dem Anspruch auf Qualitätssicherung, gibt es auf europäischer Ebene parallele Diskussionen – mitunter mit verheerenden Auswirkungen. Nach deutschem Rechtsverständnis ist das System freiberuflicher Selbstverwaltung im Bereich klassischer reglementierter Berufe untrennbar mit dem Verbraucher- und Patientenschutz verbunden. Danach bedient sich der Staat der Kammern und anderer Einrichtungen als Körperschaften öffentlichen Rechts zur Durchsetzung wichtiger Gemeinwohlbelange. Daher behält er sich auch die Rechtsaufsicht vor. Er stattet die Kammern zu diesem Zwecke unter anderem mit der Kompetenz zur Sicherstellung vor allem der Qualität bei der Berufsausübung und der Fortbildung aus. Um dies gleichermaßen und diskriminierungsfrei zu Gunsten der Verbraucher durchsetzen zu können, führt er die Pflichtmitgliedschaft aller Berufsangehörigen in der jeweiligen Kammer ein. Das lex generalis wird im Bereich vertrags(zahn)ärztlicher Strukturen durch das SGB V als lex specialis ergänzt.
Dies zeigt: Zwar verfolgen Europa und Deutschland die gleichen Ziele in Form einer hohen Versorgungsqualität, die Wege und Ansichten zur Umsetzung divergieren jedoch mitunter deutlich. Dies wäre nicht weiter dramatisch, würde man es bei dieser Feststellung belassen. In den Zeiten der Krise hat sich jedoch auch gezeigt, wie leistungsstark Systeme mit Pflichtmitgliedschaft im Vergleich zu anderen Systemen sind.
Damit wird auch klar, dass derjenige, der leichtfertig die Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft in Berufsorganisationen gleich welcher Coleur fordert, schnell das bewährte System des Verbraucherschutzes durch Kammern und anderen Körperschaften in Frage stellt, wie es sich Deutschland und anderen Ländern in den vergangenen Jahrzehnten bewährt hat.
Anlässlich des Deutschen Ärztetages in Düsseldorf hat Gesundheitsminister Gröhe erneut die herausragende Bedeutung des Themas Qualität für die Gesundheitspolitik und der Freiberuflichkeit herausgestellt. Es wird höchste Zeit, dass die Bundesregierung vor allem auch aus Gründen des Gemeinwohls in Brüssel deutlich macht, dass erfolgreiche Systeme der Qualitätssicherung via freiberuflicher Selbstverwaltung nicht falschen Allmachtsansprüchen europäischer Beamter zum Opfer fallen dürfen. Für die Zahnärztekammern heißt dies zudem, die Zeichen der Zeit zu erkennen, und dem Thema Qualität noch mehr Aufmerksamkeit zu widmen.
Mit freundlichen kollegialen Grüßen
Dr. Peter EngelPräsident der Bundeszahnärztekammer