Innovationen brauchen Zeit
Bereits der Kongress-Titel „Innovation 2014 – Wege aus dem Innovationsstillstand“ ließ erkennen, wie die eingangs gestellte Frage (zumindest vom Veranstalter) beantwortet wurde. Aus unterschiedlichen Sichtweisen – Politik, Forschung, Ärzteschaft und Selbstverwaltung – sollte, so formulierte es Prof. Dr. Reinhold Roski, Herausgeber der Fachzeitschrift von MVF, nicht nur der Status nach knapp 40 Jahren Gesundheitsreformen beschrieben werden, sondern es sollten auch Lösungsansätze aufgezeigt werden, „wie der siechenden Innovationskultur“ neues Leben eingehaucht werden kann.
Dr. Roland Leuschner, stellvertretender Abteilungsleiter beim BKK Dachverband e.V, machte denn auch für die Kassen fehlende Anreize für den Mangel an Versorgungsinnovationen verantwortlich. Neuerungen würden für Kassen immer hohe Entwicklungs- und Investitionskosten bedeuten.
Innovationen kosten
Und während die Kosten bereits in der Gegenwart anfielen, würden Versorgungsneuheiten, wenn überhaupt, erst mittel- und langfristig Erträge erwirtschaften. Bis dahin könnten Versicherte die Kasse bereits verlassen haben. Anschubfinanzierungen wie zum Beispiel über die Bereitstellung von Mitteln aus dem Gesundheitsfonds für Ausgaben der Kassen im Bereich Forschung und Entwicklung sind nach Leuschner eine Möglichkeit, Kassen zu Innovationen zu animieren. Ansonsten würden sektorales Denken und sektorale Vergütung adäquate Anreizsysteme verhindern. Die Vergütung müsse deutlich qualitätsorientierter erfolgen, so Leuschner.
Univ.-Prof. Volker Eric Amelung vom Bundesverband Managed Care machte auf die Mechanismen von Veränderungsprozessen aufmerksam. So durchliefen Innovationen in der Regel mehrere Stufen: Nach anfänglicher Skepsis und negativer Wahrnehmung über eine vorsichtig-distanzierte Annahme des Neuen komme es erst dann zu dessen Akzeptanz. Innovative Versorgungskonzepte bei Volkskrankheiten wie Diabetes würden dies bestätigen. Neues Versorgungsdenken etwa mittels integrierter Versorgung im Bereich der Telemedizin oder bei Disease-Management-Programmen brauche eben seine Zeit. Gerade in diesen, für viele noch recht neuen Medizinfeldern könne festgestellt werden, dass viele entwickelte Projekte noch zu kleinteilig seien, was zu übermäßig hohen Transaktionskosten führe.
Beim Thema Telemedizin und der Frage, warum sie als prototypische Innovation im Gesundheitswesen so langsam Fahrt aufnimmt, verwies Prof. Dr. Wolfgang Greiner von der Universität Bielefeld auf folgende Hemmnisse: Sowohl seitens der Patienten als auch seitens der Ärzte gebe es unter anderem eine optimierbare Akzeptanz sowie Bedenken gegenüber Wirksamkeits- und Wirtschaftlichkeitsnachweisen.
Zwar würden Innovationen auch im Wirtschaftsbereich als volkswirtschaftlicher Wachstumsmotor angesehen, doch auch dort setze sich nur ein kleiner Teil der Innovationen am Markt durch. Im Gesundheitsbereich komme noch hinzu, dass der Gesetzgeber bisweilen Hürden setzt, die es den zahlreichen Akteure im System erschwert, Neuheiten einzuführen.
Einige Vorzeigemodelle
Best-practice-Beispiele in der integrierten Versorgung, wie es sie etwa von der AOK Baden-Württemberg im Schwarzwald gebe, würden dem nicht generell widersprechen. Auch Helmut Hildebrandt, Geschäftsführer des Leuchtturmprojekts „Gesundes Kinzigtal“, bestätigte: Viele Player des Systems wie die niedergelassenen Ärzte, die Kliniken und auch einige Kassen sähen bei den aktuellen Vergütungsstrukturen keinen Nutzen darin, sich an Projekten der integrierten Versorgung zu beteiligen.
Der Geschäftsführer des IGES-Instituts, Prof. Bertram Häussler, vermochte indes keinen Innovationsstau im Gesundheitswesen zu erkennen und wandte sich gegen den Vorwurf, es sei in vielen Bereichen als zäh oder gar resistent gegenüber Veränderungen anzusehen. Kurzfristige Betrachtungen führten oft zum Eindruck des Stillstands, eine übergreifende Betrachtung des Gesundheitssystems jedoch bringe andere Ergebnisse hervor, so Häussler. „Das System verändert sich stärker als es oft im Alltag erscheint“, sagte er.
Tatsächlich habe sich in den vergangenen dreißig Jahren eine ganze Menge getan im deutschen Gesundheitswesen – gemessen am Zweck eines solchen Systems. Häussler: „Ein Gesundheitssystem ist nicht dazu da, Glück und Wohlfahrt für die Menschen zu erzeugen, sondern einzig und allein dazu, das Sterberisiko des Menschen zu senken, zu heilen und die persönliche Lebensqualität des Menschen zu steigern.“ So sei etwa bei der Bekämpfung der Sterblichkeit bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen ein Rückgang von 60 Prozent in den vergangenen 30 Jahren zu verzeichnen. „Wir haben uns daran gewöhnt, dass Sterblichkeitsraten zurückgehen und die Medizin Erfolge feiert“, so Häussler.
Politik in der Pflicht
Antje Domscheit, Referatsleiterin im Bundesversicherungsamt, verwies wie andere Referenten auch auf die steigende Bedeutung gesundheitlicher Innovationen in der Politik. Immerhin sei das Thema auch in den Koalitionsvertrag aufgenommen worden, ein 300 Millionen Euro umfassender Innovationsfonds solle ebenfalls eingerichtet werden. Damit stehe die Politik in der Pflicht.
Dr. Stefan Etgeton von der Bertelsmann Stiftung nahm die Sicht der Patienten ins Zentrum seiner Ausführungen. Danach sei innovativ, „was die Patientenorientierung der Versorgung verbessert“. Diese stellten Ansprüche an eine gute Versorgung hinsichtlich Qualität und Sicherheit der Leistungserbringung, der freien Arzt- und Therapiewahl, der freien Kassen- und Tarifwahl, der Qualitätstransparenz und des Einbezugs bei der Therapiewahl. Gute Versorgungsinnovationen könnten (und sollten) dazu beitragen, das Vertrauen in die Ver-lässlichkeit der Versorgung zu stärken, so Etgeton.