„Korruption im Gesundheitswesen ist die große Ausnahme.“
Herr Gassen, Stichwort Ärztemangel auf dem Land: Welche Initiativen sind vielversprechender: Die der Regierung, per Gesetz mehr Ärzte auf die Dörfer zu locken, oder die KBV-Kampagne „Lass Dich nieder“?
Vielversprechend ist es, wenn alle Beteiligten zusammenarbeiten, also Politik, Krankenkassen, Kommunen und Kassenärztliche Vereinigungen. Die Probleme lassen sich nur gemeinsam lösen. Ich denke, die KVen und die KBV haben in den letzten Jahren einige sehr gute Projekte umgesetzt, um den Landarztberuf attraktiver zu machen. Die aktuelle Kampagne „Lass Dich nieder!“ ist dafür ein Beispiel. Es geht hier nicht um ein Entweder-oder. Die Maßnahmen greifen ineinander und ergänzen sich.
Ein virulentes Thema ist derzeit die Termingarantie beim Arzt. Ist diese für GKV-Versicherte aus Ihrer Sicht notwendig?
Das Ganze ist eine Scheindebatte. Wir haben mit der aktuellen KBV-Versichertenbefragung deutlich zeigen können, dass die meisten Patienten ziemlich schnell an einen Termin beim Facharzt kommen. Sicher, nicht jeder Patient bekommt bei seinem Wunscharzt an seinem Wunschort zu seiner Wunschzeit einen Termin. Aber das sind doch Komfortprobleme. Deutschland steht im internationalen Vergleich sehr gut da. Es gibt wenige Länder, die eine ähnlich gute ambulante Versorgung haben wie wir.
Wir lehnen deshalb eine Termingarantie gemäß Koalitionsvertrag ab. Sollte der Gesetzgeber dies doch umsetzen, sollten die Regionen weitgehende Gestaltungsmöglichkeiten eingeräumt bekommen, damit sie ihre Angebote für die Versicherten auf die jeweiligen Gegebenheiten vor Ort abstimmen können.
Zum Thema Pflege: Wie gut ist aus Ihrer Sicht derzeit die interdisziplinäre Versorgung von Bewohnern in stationären Pflegeeinrichtungen in Deutschland und wo sehen Sie noch Verbesserungspotenzial?
Sie ist sicherlich verbesserungswürdig, aber wir haben einige wichtige Schritte unternommen, die interdisziplinäre Versorgung in Pflegeheimen voranzubringen. So hat die Vertragswerkstatt der KBV das Versorgungskonzept zur „Ärztlichen Teambetreuung in Pflegeeinrichtungen“ als ein mögliches Modell für die ärztliche Pflegeheimversorgung entwickelt. Die Versorgungsqualität soll durch eine fachübergreifende Zusammenarbeit zwischen Medizinern und Pflegepersonal optimiert werden. Daran sind sowohl Hausärzte als auch Fachärzte zum Beispiel für Urologie beziehungsweise Gynäkologie, für Neurologie oder für Nervenheilkunde beteiligt. Eine weitere Initiative der KBV im Pflegebereich ist die Rahmenvereinbarung „Pflegende Angehörige“, die die KBV in diesem Sommer gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin und dem Angehörigenverband „wir pflegen e.V.“ vorgestellt haben. Gerade die Angehörigen, die einen Verwandten oder eine ihnen nahestehende Person pflegen, müssen gestärkt werden. Wir möchten mit diesem Präventionsangebot bei routinemäßigen Besuchen in der Regel in der Hausarztpraxis ansetzen, damit Ärzte verstärkt das Gespräch mit pflegenden Angehörigen und nichtverwandten pflegenden Personen suchen.
Mit dem „Gesetz zur Weiterentwicklung der Finanzstruktur und der Qualität in der Gesetzlichen Krankenversicherung“ wird gerade ein neues Qualitätsinstitut eingerichtet. Ist die Einrichtung für eine gute Patientenversorgung zielführend oder ist damit nicht vielmehr ein Zuwachs an Bürokratie verbunden?
Ich begrüße es, dass dieses Institut eingerichtet wird. Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung sind schon lange ein wesentliches Aufgabengebiet der KBV. Da haben wir zum Beispiel mit dem Zertifizierungsverfahren „Qualität und Entwicklung in Praxen“ ein Instrument geschaffen, das in der Versorgung sehr gut ankommt. Das Institut soll auch die sektorenübergreifende Qualitätssicherung voranbringen – ich finde, die niedergelassenen Vertragsärzte und -psychotherapeuten sind dafür gut gerüstet und die Patienten werden davon profitieren.
Sie fordern für die Ärzte feste und kalkulierbare Preise und sehen einen Nachholbedarf von einigen Milliarden Euro für ambulant tätige Ärzte. Warum ist das gerechtfertigt und wie soll das System diese Summen eigentlich aufbringen?
Wenn Sie zehn Prozent Ihrer Leistungen nicht vergütet bekommen, sie aber regelmäßig erbringen, dann sehe ich einen erheblichen Nachholbedarf. Wir fordern generell feste und angemessene Preise für unsere Leistungen. Die 132 Millionen, die nun jeweils für Haus- und Fachärzte zusätzlich bereitgestellt werden, sind ein erster Schritt in diese Richtung – denn es sind eben ausbudgetierte Leistungen. Im Übrigen ist uns eine solche Ausbudgetierung 2012 schon einmal gelungen, bei den Psychotherapeuten.
Eine halbphilosophische Frage: Was macht für Sie den Wert der Freiberuflichkeit heute konkret aus?
Das läuft auf verschiedenen Ebenen: Es geht um die Freiheit des einzelnen Arztes oder Psychotherapeuten in Bezug auf Therapieentscheidungen. Dann spielt die Freiheit als Angehörige eines freien Berufs beziehungsweise des Selbstständigen eine wichtige Rolle. Schließlich geht es auch um die Freiheit der ärztlichen Selbstverwaltung. Deshalb sind auch nicht nur die selbstständigen Ärzte und Psychotherapeuten in eigener Praxis gemeint, wenn wir von Freiberuflichkeit reden. Die Eigenschaften eines freien Berufs gelten genauso für angestellte Ärzte, weil sie sich auf die Art der Arbeits-ausübung beziehen. Sie haben eine Schutzfunktion, die nicht nur den Arzt selbst betreffen, sondern letztlich auch den Patienten. Denn auch er hat in unserem System der Freiberuflichkeit gewisse Rechte und Privilegien.
Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz ist dabei, ein Korruptionsgesetz auszuarbeiten, mit dem im Straf- gesetzbuch ein neuer Straftatbestand der „Bestechlichkeit und Bestechung im Gesundheitswesen“ eingeführt werden soll. Wie beurteilen Sie dieses Vorhaben?
Grundsätzlich begrüßen wir die Bemühungen der Regierung als einen Schritt in die richtige Richtung. Natürlich kennen wir noch nicht die genauen Formulierungen. Entscheidend ist, dass das vertrauensvolle Arzt-Patienten-Verhältnis geschützt bleibt. Zudem darf nicht der gesamte Berufsstand unter Generalverdacht gestellt werden, denn Korruption im Gesundheitswesen ist die große Ausnahme. Wichtig ist auch, dass der Arzt nicht als Amtsträger gilt, wie es ja auch die jüngste Rechtsprechung klargestellt hat.