Die Macht der Worte
Zinsen in Höhe von mehr als fünf Prozent für zehnjährige Darlehen gehörten vor rund sechs Jahren zu den üblichen Konditionen für eine Baufinanzierung. Jetzt reiben sich die damaligen Hauskäufer die Augen, wenn sie die aktuellen Angebote der Banken sehen. Schließlich liegen die alten Sätze etwa drei Prozentpunkte über dem derzeitigen Schnitt. Aktuell verlangen günstige Anbieter für ein Darlehen von 100 000 Euro über zehn Jahre Laufzeit bei zwei Prozent Tilgung 2,33 Prozent effektiv. Wer sich damals langfristig festgelegt hat, kommt frühestens nach zehn Jahren aus seiner Zinsbindung heraus. Einen vorzeitigen Ausstieg erlauben die meisten Kreditinstitute nur gegen die Zahlung meist horrender Gebühren, deren Höhe schon häufig die Gerichte beschäftigt hat.
Dr. Achim Tiffe, Rechtsanwalt mit Spezialisierung auf Verbraucherrecht, nennt eine Faustformel: „Ganz grob geschätzt beläuft sich eine Vorfälligkeitsentschädigung auf etwa 15 Prozent der Darlehenssumme.“ Bei einem Kredit von 100 000 Euro sind das stolze 15 000 Euro. Ob sich ein Ausstieg, nur um einen günstigeren Kredit abschließen zu können, lohnt, ist die Frage. Ein guter Berater rechnet den Umfang der neuen Belastung gerne aus.
Auf die Formulierung kommt es an
Allerdings sind nicht immer nur die günstigen Zinsen der Grund für eine vorzeitige Rückzahlung eines Kredits. So mancher Hausbesitzer möchte seine Immobilie verkaufen, weil er das Geld benötigt, die Raten nicht mehr zahlen kann oder in eine andere Stadt ziehen und dort ein neues Haus kaufen möchte.
Egal aus welchem Grund man seine Hypothek vorzeitig kündigt, es gilt, die Ausstiegsgebühren so niedrig wie möglich zu halten. Doch was ist, wenn einem dies nicht gelingt? Die Antwort liegt darin, den Vertrag nach seinen Konditionen zu durchforsten. Denn es besteht die Möglichkeit, dass er ungenaue Bestandteile enthält, die juristisch nicht (mehr) haltbar sind – und deswegen den Ausstieg erlaubt.
Dabei handelt es sich explizit um die Formulierung der Widerrufsbelehrung, die seit 2002 in jedem Kreditvertrag enthalten sein muss. Zwar hat sich der Wortlaut seitdem einige Male geändert. Doch immer hat der Gesetzgeber sozusagen einen Mustertext vorgegeben. Daran gehalten haben sich vor allem kleine Institute. Große Sparkassen und Volksbanken sowie ausländische Banken wie die ING-DiBa zogen es häufig vor, ihre eigenen Formulierungen in den Vertragstext einzubauen.
Wie sich herausgestellt hat, haben sie sich damit häufig keinen Gefallen getan. Denn wie die Verbraucherzentrale Hamburg herausfand, ergab die Überprüfung von 300 Kreditverträgen, dass bei mehr als zwei Drittel die Widerrufsbelehrung fehlerhaft war. Mit dabei waren Verträge von Deutscher Bank, Commerzbank, Postbank, ING-DiBa sowie von großen Sparkassen.
In dieser Widerrufsbelehrung muss klar zum Ausdruck kommen, dass der Kreditnehmer gemäß § 355 BGB mit einer Frist von 14 Tagen den Vertrag widerrufen kann. Die Bank oder Sparkasse muss den Kunden über dieses Recht belehren. Die entsprechende Klausel bedarf einer vorgegebenen Form. Damit sie gültig ist, muss sie zum Beispiel im Text hervorgehoben sein.
Ungültig kann auch eine unklare Formulierung sein. Ein Beispiel dafür lieferte sogar der Gesetzgeber selbst, als er 2002 in der Musterbelehrung schrieb: „Die Frist beginnt frühestens mit Erhalt dieser Belehrung.“ Der BGH lehnte diesen Satz mit der Begründung ab, dass diese Formulierung zu unklar ist. Banken, die diesen Satz in ihren Text übernommen haben, waren erst einmal aus dem Schneider.
Andere Institute lagen mit ihren Formulierungen ebenfalls falsch. Allerdings ist es schwierig genau festzulegen, welcher Text Gültigkeit hat und welcher nicht. Dirk Scobel, Kreditexperte bei der Verbraucherzentrale Hamburg wundert sich über so viele fehlerhafte Widerrufsbelehrungen: „Es wäre doch so einfach gewesen, den vorgegebenen Text einfach abzuschreiben.“ Warum die Institute sich nicht daran gehalten haben, weiß niemand.
Gravierende Abweichungen von der Norm notwendig
Betroffen sind vor allem die Großen der Branche, die über eine eigene Vertragsabteilung verfügen. Kleinere Sparkassen haben meistens die im Sparkassen-Verlag gedruckten Texte übernommen. Rund zehn Jahre lang kursierten die falschen Formulierungen und niemand hat sich daran gestört, bis ein Jurist die Schwachstellen entdeckt hat. Dazu Scobel: „Man hat einfach nicht damit gerechnet, dass die Banken sich nicht einfach an die Vorgaben gehalten haben.“ Und anscheinend hat auch niemand über die Konsequenzen einer falschen Widerrufsbelehrung nachgedacht. Sie erlaubt jederzeit den Ausstieg aus dem Vertrag.
Doch ganz so einfach wird es für die betroffenen Kunden nicht. Denn eine Formulierung, die von der gesetzlichen Vorlage abweicht, muss nicht unbedingt falsch sein. Auch die grafische Darstellung ist Ermessenssache. Scobel meint: „Die Abweichung von der Vorgabe muss schon gravierend sein.“
Verbraucheranwalt Tiffe nennt noch eine weitere Bedingung: „Es kommt auch darauf an, zu welchem Zweck ein Darlehen aufgenommen wurde. Wichtig ist, dass eine privat genutzte Immobilie damit finanziert wird.“ Die meisten Zahnärzte unter den Immobilienbesitzern haben ihre Häuser wohl privat gekauft.
Liegt die Praxis zum Beispiel im Eigenheim, kann der Zahnarzt die gewerblich genutzten Räume an sich selbst vermieten. Die Finanzierung der Immobilie aber ist privat. Das gilt auch für den Kauf von Mietshäusern, die der Altersvorsorge dienen.
Das bedeutet, erfüllt die Widerrufsbelehrung im Vertrag nicht die gesetzlich vorgegebenen Bedingungen, könnte ein Ausstieg ohne die Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung möglich sein. Wer sich informieren will, kann sich an die Verbraucherzentralen wenden. Gegen eine Gebühr von 70 Euro prüfen sie, wie groß die Chancen sind.
Zurzeit gibt es wegen des großen Andrangs erhebliche Wartezeiten. Doch selbst mit einem positiven Bescheid sollte sich der Kunde anwaltliche Hilfe holen. Sagt auch Verbraucherschützer Scobel: „Ich empfehle unseren Kunden immer, sich den Rat eines Fachanwalts zu holen. Mit Zahnschmerzen geht man ja auch zum Zahnarzt.“
Darlehenszweck ist entscheidend
Es gibt einfach zu viele Unwägbarkeiten bei der Auseinandersetzung mit der Bank. Diese wird auf jeden Fall versuchen, die Beschwerde abzuschmettern. Lässt sie sich im günstigsten Fall darauf ein, muss der Kunde das Restdarlehen sofort zurückzahlen. Das heißt, er muss ganz schnell eine Ersatzfinanzierung auf die Beine stellen. Gute Anwälte helfen ihm dabei. Sträubt die Bank sich, geht es darum, einen guten Vergleich auszuhandeln. Ist die Rechtslage aussichtsreich, kann der Betroffene auch vor Gericht gehen und eine Entscheidung erzwingen. Bislang gibt es nur Urteile von Gerichten in erster Instanz, deren Aussagekraft nicht reicht, um sie im Streitfall zitieren zu können.
Anwalt Tiffe gibt zu bedenken: „Jeder einzelne Fall muss genau betrachtet werden. Betroffene sollten sich den Schritt vor Gericht genau überlegen. Die Kosten sind sehr hoch.“ Deshalb zeigen sich auch Rechtsschutzversicherer bei solchen Auseinandersetzungen häufig zugeknöpft.
Sie fürchten die hohen Streitwerte, die die Gebühren treiben. Tiffes Taktik ist deshalb, erst einmal den Versuch zu starten, einen Vergleich mit der Bank auszuhandeln. Seine Überlegung dabei: „Aus Bankensicht kann sich ein Entgegenkommen lohnen. Verärgert sie den Kunden, wird er nach Rückzahlung des Kredits das Institut verlassen.“ Lässt sich die Bank auf eine vorzeitige Kündigung des Darlehens ein und gibt sich vielleicht mit einer kleinen Entschädigung zufrieden, lohnt sich das für den Kunden. Er kann einen langfristigen Vertrag abschließen, der ihm die derzeit sehr niedrigen Zinsen für vielleicht 15 Jahre sichert. Außerdem bietet sich damit die Chance der schnelleren Rückzahlung, weil er bei gleicher Rate den Tilgungsanteil hoch setzen kann.
Wer seinen Vertrag prüft und Abweichungen bei der Widerrufsbelehrung feststellt, sollte nicht gleich in Euphorie verfallen. Tiffe warnt: „Von den Fällen, die für eine Auseinandersetzung mit der Bank überhaupt infrage kommen, eignen sich meinem Gefühl nach nur ein Drittel für eine schnelle Lösung, bei einem Drittel wird es schwierig aber machbar und für ein Drittel sehe ich leider keine Chance.“Marlene EndruweitFachjournalistin für Wirtschaftm.endruweit@netcologne.de