Ein neues Fass
Die Haftpflichtversicherung wird für viele Gesundheitsberufe zu einem Problem. Die Prämien kennen nur einen Weg: nach oben. Besonders betroffen sind jene Gesundheitsberufe, bei denen Fehler nicht nur schwerwiegende, sondern auch langfristige Folgen haben. Damit geraten die Hebammen ins Blickfeld.
Zwar haben 30 Versicherungen Verträge für Geburtshelferinnen im Bestand, aber nur zwei Gruppen bieten noch neue Verträge an, eine nur noch bis Mitte 2015. Als Grund nennen die Versicherer die stark gestiegenen Ausgaben für Entschädigung, Verdienstausfall, Heil- und Pflegekosten, Anwalts- und Gutachterhonorare. Die hätten sich in den vergangenen Jahren vervielfacht. Die Assekuranz könne neue Tarife und Prämien kaum mehr kalkulieren.
Ehe man einen Verlust einfahre, verzichte man lieber auf das Nischengeschäft. Die, die im Geschäft bleiben, heben ihre Prämien an. Aktuell liegen die für freiberufliche Hebammen bei 4 000 Euro. Doch ab Jahresmitte werden 5 000 Euro und ein Jahr später 6 000 Euro fällig. Für viele Hebammen, sagen ihre Verbände, werde das zum Problem. Sie haben so lange öffentlich Rabatz geschlagen, bis sich Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) des Problems annahm. Doch das von ihren Verbänden verbreitete Bild, wonach die Prämien freiberufliche Hebammen mit Geburtshilfe ins Aus treiben, stimmt allenfalls zur Hälfte. Denn seit 2009 werden die Prämiensteigerungen durch die Krankenkassen ausgeglichen. Allerdings werden die Zuzahlungen auf das Honorar je Geburt aufgeschlagen. Der Effekt liegt auf der Hand: Hebammen, die viele Kinder auf die Welt holen, haben die Prämiensteigerung bald raus und streichen womöglich einen netten Extragewinn ein. Hebammen, die nur wenige Geburten begleiten, zahlen dagegen zu. Das dürften vor allem jene sein, die Hausgeburten anbieten, aber auch manche Beleghebammen in kleineren Krankenhäusern.
Bei Lichte besehen ist das Thema Haftpflichtkosten also zunächst kein Problem von zu wenig Geld, sondern der falschen Verteilung der Mittel unter den Hebammen. Um das zu lösen, müsste man wissen, welche Hebamme wo wie viele Geburten begleitet. Die Daten gibt es heute nicht. Sie sollen nun aber künftig erhoben werden. Doch Gröhe macht den zweiten vor dem ersten Schritt. Er will das Thema auf die übliche Art lösen, mit mehr Geld aus der Krankenversicherung. Genaugenommen plant der Minister einen Doppelschlag: Sicherungszuschläge für jene Hebammen, die sich die Versicherung mangels Fällen nicht leisten können und einen Haftungsdeckel für alle, damit die Versicherer im Schadensfall nicht so sehr bluten müssen. So will er den Prämienanstieg begrenzen und für mehr Anbieter und Wettbewerb im System sorgen. Die Kranken- und Pflegeversicherung soll künftig auf Regresse verzichten – und die Heil- und Pflegekosten stattdessen den Beitragszahlern aufbürden.
Dass damit eherne Grundsätze wie der Zusammenhang zwischen Verantwortung und Haftung oder der der Gleichbehandlung (in dem Fall aller Medizinberufe) auf der Strecke bleiben, nimmt der Jurist an der Spitze des Gesundheitsministeriums billigend in Kauf. Immerhin haben sich das Sozial- und das Justizministerium erst einmal quergelegt. Das lässt hoffen. Denn ist die Deckelung der Regresse durch die Kranken- und Pflegekassen erst einmal für eine Gruppe beschlossen, werden viele den Fluchtweg nutzen wollen, um sich aus ihrer Verantwortung zu stehlen.
Dass die Versicherungsbranche die Lösung auf Kosten Dritter bejubelt, versteht sich. Sie bleibt nicht allein. Schon klagen die Gynäkologen und die Chirurgen über untragbare Prämien ihrer Haftpflicht, die Krankenhäuser sowieso. Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, will die Steuer auf die ärztliche Haftpflichtversicherung von 19 auf 11 Prozent senken. Ob Gröhe schwant, dass er mit dem Versuch der Lösung eines Problems ein noch größeres geschaffen haben könnte?
Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.