Problemfeld Pflegeheim
Der Pflegereport vergleicht laut Barmer erstmals anhand von Routinedaten die zahnmedizinischen Leistungen für Pflegebedürftige mit denen Nicht-Pflegebedürftiger gleichen Alters, gleichen Geschlechts und gleicher Morbidität. Ein wesentliches konkretes Ergebnis: Bei Erkrankungen des Zahnhalteapparats sind Pflegebedürftige schlechter versorgt. Während beispielsweise 0,35 Prozent der nicht pflegebedürftigen Versicherten deswegen behandelt werden, liegt bei den Pflegebedürftigen die Inanspruchnahme um mehr als zwei Drittel niedriger (- 0,25 Prozentpunkte).
Zwar gelte die Mangelversorgung generell, unabhängig davon, ob die Pflegebedürftigen zu Hause oder stationär gepflegt werden. Dennoch ließe sich erkennen, dass die zahnmedizinische Versorgung schlechter ausfällt, wenn sich professionelle Pfleger um die älteren Menschen kümmern, also vorwiegend in den Pflegeheimen oder bei der häuslichen ambulanten Betreuung zu Hause, so Studienautor Prof. Heinz Rothgang vom Zentrum für Sozialpolitik der Uni Bremen. „Aus Studien wissen wir, dass für einige Pflegebedürftige der letzte Zahnarztbesuch schon Jahrzehnte zurückliegt“, betonte Rothgang. „Für mehr als 50 Prozent der Betroffenen liegt der letzte Gang zum Zahnarzt knapp zwei Jahre oder länger zurück. Umso wichtiger ist sicherzustellen, dass bei diesen Menschen die Zahngesundheit stetig beobachtet wird“, forderte er. Rothgang monierte, dass das Thema Zahngesundheit in Heimen bisweilen stiefmütterlich behandelt wird. Dies aber spiegele sich wiederum bei den Noten des „Pflege-TÜV“ nicht wider und müsse deswegen geändert werden. Pflegebedürftige, die von ihren Angehörigen gepflegt werden, wiesen hinsichtlich der Zahnarztbesuche hingegen die geringsten Unterschiede zur übrigen Bevölkerung auf.
Vor allem die Menschen in Pflegeheimen bräuchten daher einen leichteren Zugang zur zahnmedizinischen Versorgung. „Gerade auch, weil ihnen die Mitwirkung wegen ihrer Bedürftigkeit schwerfällt“, so Dr. Rolf-Ulrich Schlenker, stellvertretender Vorstands-vorsitzender der Barmer GEK. Er verwies auch darauf, dass bei der zahnmedizinischen Behandlung von Pflegebedürftigen, gleich ob sie zu Hause oder in Heimen gepflegt werden, auf die Anzahl und die Wirkungsweise der Medikamente, die die Patienten einnehmen, Rücksicht genommen werden müsse. Dies mache eine Behandlung nicht leichter.
Zugang erleichtern
Um dem Problem besser begegnen zu können, seien zum Beispiel mehr zahnärztliche Schwerpunktpraxen für Pflegebedürftige hilfreich, so Schlenker. Außerdem müsse die aufsuchende Behandlung ausgebaut werden.
Schlenker begrüßte, dass der Gesetzgeber im Versorgungsstärkungsgesetz Verbesserungen der zahnmedizinischen Prävention für Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderungen plant (siehe Kasten 1).
Welche konkreten Auswirkungen die schlechtere Versorgung auf die Mundgesundheit hat, ließe sich noch nicht sicher sagen, so Schlenker. „Wir können aber davon ausgehen, dass hier ein beträchtlicher gesundheitlicher Schaden entsteht.“ So sei aus Studien bekannt, dass der Karies-Index bei Pflegebedürftigen höher liegt als bei nicht Pflegebedürftigen. Im Durchschnitt seien bei ihnen mehr als 25 der 28 Zähne befallen oder entfernt. Zum Vergleich: Bei 65- bis 74-Jährigen insgesamt liegt der Index bei 22.
Heime zu oft zu nachlässig
Schlenker verwies darauf, dass es mittlerweile zwar eine ganze Reihe von Kooperationsvereinbarungen zwischen Zahnärzten und Pflegeheimen gibt, sich heute aber schon zeige, dass es weiterer Reformschritte bedarf. Neben einer stärkeren aufsuchenden Behandlung und mehr Schwerpunktpraxen für die zahnmedizinische Versorgung von Pflegebedürftigen müsse sich auch die Situation in den Pflegeheimen verändern. Die Mitarbeiter dort müssten zahnmedizinisch weitergebildet werden, um Probleme mit der Mundgesundheit früh erkennen und eine Behandlung veranlassen zu können. Dabei gehe es auch um ganz praktische Hilfen. Denn Pflegebedürftige hätten oft gar nicht mehr die Fähigkeit, selber auf ihre Mundgesundheit zu achten. Sie bräuchten deswegen zum Beispiel eine helfende Hand bei der Prothesenpflege. Außerdem sei es wichtig, dass in jedem Pflegeheim zumindest ein einfacher Behandlungsstuhl verfügbar ist. Das erleichtere die Arbeit der kooperierenden Zahnärzte wesentlich und baue damit Hürden ab.
Prävention mit Vorrang
In diesem Zusammenhang begrüßten die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) und die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) sowohl den Pflegereport der Barmer als auch das Vorhaben der Bundesregierung, ein zahnmedizinisches Präventionsmanagement im GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) festzuschreiben. Durch die geplante Regelung (§ 22a SGB V) sollen Pflegebedürftige einen rechtlich verbrieften Anspruch auf Leistungen zur Verhütung von Zahnerkrankungen erhalten. Dr. Wolfgang Eßer, Vorstandsvorsitzender der KZBV: „Ein solches Präventionsmanagement entspricht einer langjährigen Forderung der Zahnärzteschaft. Es ermöglicht Menschen in Pflegeeinrichtungen die gleichberechtigte und umfassende Teilhabe an moderner Zahnheilkunde.“ Die Initiative der Barmer GEK, mit dem aktuellen Pflegereport den derzeitigen Stand und die künftigen Aufgaben im Bereich ambulanter und stationärer Pflege aufzuzeigen, sei ein wichtiges Signal. „Die flächendeckende und wohnortnahe Sicherstellung und Ausweitung der zahnmedizinischen Versorgung von Pflegebedürftigen ist bereits seit vielen Jahren eines unserer vordringlichsten Anliegen“, so Eßer.
Fürsorgegedanken stärken
Prof. Dietmar Oesterreich, Vizepräsident der BZÄK, ergänzt: „Die Mundgesundheit von Älteren, Pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderung ist signifikant schlechter als die der übrigen Bevölkerung. Pflegebedürftige können sich oftmals nicht mehr ausreichend selbst um die Zahn- und Mundpflege kümmern. Auch die Möglichkeiten, regelmäßig eine Praxis aufzusuchen, sind begrenzt. Hier gilt es, durch eine Mischung aus klaren gesetzlichen Regelungen und einer besonderen Fürsorge der Zahnmedizin Verbesserungen herbeizuführen. Der geplante § 22a ist daher ein nachhaltiger Fortschritt für betroffene Patienten bei der zahnmedizinischen Prävention.“
Basierend auf dem zahnärztlichen Konzept des Jahres 2010 haben BZÄK und KZBV schon Ende des Jahres 2012 in ihrer „Agenda Mundgesundheit“ den weiteren Handlungsbedarf im Bereich der Alters- und Behindertenzahnmedizin beschrieben. Als Hauptziel der Vertragszahnärzteschaft für die kommenden Jahre wurde darin die weitere Verbesserung der Mundgesundheit der Bevölkerung formuliert. Dazu gehört, dass Menschen auch bei steigender Lebenserwartung ihre natürlichen Zähne möglichst bis zum Lebensende behalten und gesund erhalten können. So wurden mit dem Versorgungsstrukturgesetz (GKV-VStG) und mit dem Pflegeneuausrichtungsgesetz (PNG) bereits neue Leistungspositionen für die aufsuchende zahnmedizinische Betreuung beschlossen. Damit wurde erstmalig der erhöhte personelle, instrumentelle und zeitliche Aufwand der Vertragszahnärzte im Bereich Pflege berücksichtigt.
Zusätzliche BEMA-Ziffern
Durch das GKV-Versorgungsstrukturgesetz können Zahnärzte zudem eine zusätzliche Vergütung für die aufsuchende Versorgung von Pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderungen, die eine Zahnarztpraxis aufgrund ihrer Pflegebedürftigkeit oder Behinderung nicht oder nur mit hohem Aufwand aufsuchen können, abrechnen (§ 87 2i SGB V; Bema-Positionen 171a und 171b). Mit dem Gesetz zur Neuausrichtung der Pflegeversicherung wird diese Vergütung aus Gründen der Gleichbehandlung auf die aufsuchende Betreuung von immobilen Personen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz ausgeweitet. Zum 1. April 2014 wurden im Bema weitere Positionen für die Behandlung von Versicherten in Heimen im Rahmen von Kooperations- verträgen (§ 87 2j SGB V; BEMA-Positionen 172a-d) eingeführt.
Derzeit gibt es nach Angaben der KZBV insgesamt bereits etwa 2 000 abgeschlossene Verträge. Wichtig sei es nun, diesen anfänglichen Erfolg nicht abebben zu lassen. Deshalb seien die vertragszahnärztlichen Organisationen, die Kassen- und Pflegeverbände in der Pflicht, flankierend und nachhaltig für eine adäquate und umfassende Information hinsichtlich der Maßnahmen und Chancen Sorge zu tragen, die Pflegeeinrichtungen, Zahnärzten und Versicherten mit derartigen Kooperationen eröffnet werden.